Er ist es, auf dem die Erwartungen ruhen: Paul Atreides ist der Held von „Dune“, der Neuadaption von Frank Herberts Romanserie unter der Regie des Kanadiers Villeneuve. Paul ist der Sohn des Herzogs Leto Atreides und seiner Konkubine Lady Jessica, Erbe des Hauses der Atreiden, das auf Befehl des Imperators die Herrschaft über den Wüstenplaneten Arrakis übernehmen soll, dem einzigen Ort im Universum, auf dem die bewusstseinserweiternde Substanz Spice natürlich vorkommt.
Spice ist für die interstellare Raumfahrt essenziell, der Abbau jedoch riskant aufgrund der ungeheuren Sandwürmer, die die Wüste verseuchen. Für die indigene Bevölkerung von Arrakis, die Fremen, ist Spice ein heiliger Stoff, die metaphorische Funktion in der Erzählung liegt irgendwo zwischen Opium und Erdöl. Die Fremen sind getrieben vom Glauben an einen Messias, dessen Ankunft unmittelbar bevorstehen soll.
Ohne zu ahnen, welche Aufgabe auf ihn wartet, bereitet Paul sich gewissenhaft auf den unbekannten Planeten vor. So bekommt auch das Kinopublikum eine übersichtliche Einführung in die Welt von „Dune“, einem der meisterwarteten Filme des Jahres, dessen Besetzung alle Generationen erfreut: In der Hauptrolle Timothee Chalamet, Lieblingsboyfriend des gesamten Internets, als sein Vater Oscar Isaac, als seine Mutter Rebecca Ferguson, daneben Josh Brolin, Charlotte Rampling und Jason Momoa, aufseiten der Fremen Javier Bardem und Teen-Star Zendaya, als Bösewichte Stellan Skarsgard und Dave Bautista.
Anspruchsvolle Vorlage
Es ist nicht der erste mit Erwartungen überfrachtete Science-Fiction-Stoff, den Villeneuve verfilmt. Nach seinem Erfolg mit dem Zukunftsepos „Arrival“ (2016), brachte er 2017 mit „Blade Runner 2046“ eine umstrittene Fortsetzung von Ridley Scotts Klassiker auf die Leinwand, monumental, schwerfällig und düster. Herberts „Dune“-Romane, eines der ganz großen Referenzwerke des Genres, sind eine noch anspruchsvollere Vorlage: Seit den 60er Jahren faszinieren sie nicht nur Generationen von Lesern, sondern auch von Filmschaffenden.
Zuerst war David Lean nach seinem Wüstenerfolg „Lawrence von Arabien“ (1962) für eine Verfilmung im Gespräch. Ein spannendes Ansinnen, zumal der historische „Lawrence von Arabien“, der britische Spion und Schriftsteller T. E. Lawrence, eine von Herberts wesentlichen Inspirationen für die Figur des Paul Atreides gewesen sein dürfte. Das Projekt kam jedoch nicht zustande, der Produzent starb unerwartet. Als Nächster interessierte sich der argentinische Surrealist Alejandro Jodorowsky für den Stoff. Der Schweizer H. R. Giger, später berühmt für das Design des Aliens im gleichnamigen Film, entwarf das Produktionsdesign, der französische Comiczeichner Moebius zeichnete das Storyboard.
David Lynch: „Dune“ statt „Star Wars“
Als Darsteller hatten Mick Jagger, Udo Kier und Salvador Dali zugesagt, Letzterer zu einem Fantasie-Minutenhonorar von 100.000 Dollar, dazu war ein Soundtrack von Pink Floyd geplant. Es fanden sich jedoch keine Geldgeber für das Unterfangen, der Dokumentarfilm „Jodorowsky’s Dune“ aus dem Jahr 2013 schildert das heroische Scheitern. Auch Ridley Scott versuchte sich zwischendurch an einer Adaption, fühlte sich dem Mammutprojekt dann aber nicht gewachsen.
Erst 1984 kam eine erste Verfilmung ins Kino, unter der Regie von David Lynch. Kurz zuvor hatte Lynch das Angebot von George Lucas abgelehnt, mit „Die Rückkehr der Jedi“ den dritten „Star Wars“-Film zu inszenieren, wie er in seinem Buch „Lynch on Lynch“ schreibt. Kurze Zeit später bot Produzent Dino De Laurentiis ihm dann „Dune“ an, in der Hoffnung, in einem ähnlichen, wenn auch erwachseneren Weltraumsetting wie bei „Star Wars“ den kommerziellen Erfolg von Lucas zu wiederholen.
Drogen, Dünen und Duelle
Wie bereits von Jodorowsky geplant, spielt auch in Lynchs Adaption der Drogenaspekt eine große Rolle, viele Bilder wirken wie im Rausch. Sein „Dune“ war jedoch bei Kritik und Publikum ein gigantischer Flop, ein überladener Weltraumklamauk, inhaltlich fern den Romanen, wie Fans schon damals bemängelten. Tatsächlich taugt der Film, der in Österreich unter dem Titel „Der Wüstenplanet“ ins Kino kam, lediglich als originelles popkulturelles Zeitdokument, mit dem blutjungen Kyle McLachlan, Sting, Jürgen Prochnow, Patrick Stewart und Max von Sydow.
In Villeneuves Neuverfilmung, die trotz 155 Minuten Länge nur die erste Hälfte des ersten Romans umfasst, liegt der Schwerpunkt woanders: Wie die Vorlage handelt der neue „Dune“ im Kern von Ausbeutung und taktierender Wirtschaftspolitik, von Stammes- und dynastischen Fehden und von wohlmeinendem Kolonialismus. Doch gibt es so etwas überhaupt, ist das Konzept einer freundlichen Fremdherrschaft nicht ein Widerspruch in sich?
Auserwählter wider Willen
Das Haus der Atreiden, das von Pauls Vater Herzog Leto geführt wird, soll nach 80 Jahren erbarmungsloser Ausbeutung durch die Harkonnen eine gnädige Herrschaft auf Arrakis errichten, im Einklang mit den indigenen Fremen. Doch anders, als der offizielle Befehl des Imperators erwarten ließ, geht nach dem rituellen Empfang der neuen Herrscherfamilie alles schief, obwohl Pauls Abstammung und seine Fähigkeiten für die Fremen offenbar besondere Bedeutung haben.

Genau darin steckt die Crux der Geschichte, das Mitfiebern mit einem Underdog-Protagonisten, der qua Geburt und Ausbildung durch seine Mutter zum Auserwählten, gar zum Messias bestimmt ist, und der das nicht groß infrage stellt, sondern lakonisch den vorgesehenen Platz einnimmt.
Villeneuve nimmt sich viel Zeit und Platz, wenig Geschehen in epischer Breite zu erzählen, und er tut das weder langweilig noch langatmig, so grandios sind die Luftkämpfe der Libellenhubschrauber anzusehen ebenso wie die körperlichen Kämpfe der wehrhaften Frauen und Männer gegeneinander. Es geht hier weniger um ein Vorantreiben von Handlung als um die Etablierung einer Welt, deren Regeln und politische, wirtschaftliche und religiöse Verstrickungen.
Vielversprechende Ouvertüre für große Wüstenabenteuer
Da sind etwa die Bene Gesserit, jener mächtige Frauenorden, dem Pauls Mutter Jessica angehört, und in dessen Geheimnisse sie ihn eingeweiht hat, obwohl er keine Frau ist. Da ist die Frage der Ausbeutung einer natürlichen Umwelt, die sich, verkörpert durch die Sandwürmer, aktiv zu wehren beginnt. Und da sind auch die internen Streitigkeiten im rivalisierenden Haus Harkonnen zwischen dem erzbösen Baron Vladimir Harkonnen (Skarsgard) und seinem Neffen Glossu Rabban (Bautista), Anlass für einige der finster-witzigsten Momente des Films.
Vor allem aber ist diese Welt ein spektakuläres visuelles Konstrukt, dramaturgisch elegant und rasant geschnitten und mit erstaunlich realistischen Konflikten, kurz: eine vielversprechende Ouvertüre, die auf weitere Wüstenplanetenabenteuer hoffen lässt.