Kreml in Moskau
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Russland

Duma-Wahl von Putins Gnaden

Der russische Präsident Wladimir Putin und die regierende Partei Geeintes Russland wollten bei der von Freitag bis Sonntag dauernden Parlamentswahl nichts dem Zufall überlassen. Harte Repressionen gegen Kritiker, Wahlzuckerln für Staatsbedienstete und Pensionisten prägten die vergangenen Wochen und Monate. Dennoch sind die Parlaments- wie auch zugleich stattfindenden Kommunal- und Regionalwahlen ein wichtiger Gradmesser für Putin.

An einer Mehrheit für die Partei Geeintes Russland in der Duma zweifelt in Russland niemand, fehlen doch auch die Alternativen. Die Zustimmung zur Regierungspartei, die derzeit über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, ist allerdings gesunken, was auch mit der Lebenssituation eines großen Teils der Bevölkerung zu tun hat.

Das Realeinkommen ist seit 2014 um elf Prozent gesunken, im vergangenen Jahr wieder um drei Prozent. Zugleich stiegen die Lebensmittelpreise. Aber die russische Bevölkerung würde weniger schnell streiken als etwa Franzosen und Italiener, zieht Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) einen Vergleich. Vielmehr handle es sich um eine „schleichende Krise“. Langfristig könnte der sinkende Lebensstandard die politische Stabilität aber gefährden.

Vladimir Putin
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Die Duma-Wahl wird wenig Überraschendes bringen, gilt aber als Stimmungstest für Präsident Putin

Stimmungstest für Machterhalt

Es gehe darum, Oppositionswähler zu demotivieren, zur Wahl zu gehen und Wählerschichten, die vom Staat abhängig sind, zu mobilisieren, analysiert Russland-Experte Gerhard Mangott im ORF-III-Interview. In diesem Sinne sind auch die kurz vor der Wahl verteilten Finanzspritzen an Pensionisten, Polizisten und Soldaten zu sehen. Die Repressionen gegen Oppositionelle und kritische Medien seien unter Putin aber noch nie so scharf gewesen wie vor der aktuellen Wahl, ist Mangott überzeugt.

Trotz aller Vorkehrungen gilt die Wahl dennoch als Stimmungstest für das Vorhaben Machterhalt insbesondere von Putin aber auch der Regierungspartei. „Putin braucht eine persönliche Bestätigung seines Mandats und des Fehlens von Alternativen zu ihm“, sagte Russland-Expertin Tatjana Stanowaja gegenüber der „Financial Times“ („FT“).

Analyse von Russland-Experten Gerhard Mangott

Eigentlich hat Putin als Präsident, der nicht einmal Mitglied der Regierungspartei ist, bei der Duma-Wahl formell wenig zu sagen. Doch ist er für Mangott der Einzige, der die Regierungspartei zusammenhalten kann. Als Spitzenkandidaten für die angeknackste Partei schickte Putin die populärsten Minister, den 71-jährigen Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergei Schoigu, ins Rennen. Es gilt aber als ausgeschlossen, dass sie Abgeordnete der Duma werden.

Pro-Putin-Opposition darf bleiben

Abseits der Regierungsparteikandidaten bleiben Scheinkandidaten und Vertreter unwichtiger und vom Kreml tolerierter Gruppen übrig. Drei weitere Parteien abseits von Geeintes Russland werden vermutlich wieder in die Duma einziehen – alle angeführt von männlichen Kandidaten jenseits der 65. Sie ermöglichten 2020 die Verfassungsänderung, wonach Putin bis 2036 an der Macht bleiben dürfe. Bisher ließ Putin offen, ob er bei der anstehenden Präsidentschaftswahl 2024 antreten will.

Der jüngste Spitzenkandidat unter den putinfreundlichen Oppositionsparteien ist Sergej Mironow (68) von der Partei Gerechtes Russland (SRSP), auch der 75-jährige Rechtspopulist Wladimir Schirinowski (LDPR) und Gennadi Sjuganow (77), Parteichef der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), kandidieren. Für Astrov sind die Kommunisten „ein Ventil für die Unzufriedenheit vieler Menschen“, ohne zur Gefahr für Putin zu werden.

Kritische Oppositionelle von Kandidatur ausgeschlossen

Kritischen Oppositionellen wurde mit harten Repressionen begegnet. Diesmal wurden nicht mehr nur Unterstützungserklärungen zu Fälschungen erklärt oder aberkannt, sondern im Fall von Anhängern und Anhängerinnen der Partei des Oppositionellen Alexej Nawalny gleich eine Kandidatur verboten. Andere Oppositionelle wurden in Hausarrest gesteckt und verhaftet – wie Nawalny, der nach seiner Vergiftung mit einem Nervenkampfstoff Anfang des Jahres von Deutschland nach Russland zurückgekehrt war. Er sitzt nun in einem Straflager, ist aber dennoch politisch aktiv.

Vladimir Putin und Sergei Lavrov
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Der populäre Außenminister Lawrow (re.) wurde als Spitzenkandidat für die Regierungspartei ins Rennen geschickt

Alle Organisationen Nawalnys wurden wegen Extremismus verboten. Darüber hinaus wurde ein Gesetz beschlossen, wonach einfachen Beteiligten an einer seiner Organisationen für drei Jahre das passive Wahlrecht entzogen wird, führenden Beteiligten für fünf Jahre. Betroffen sind Berichten zufolge auch Oppositionelle, die Nawalny kritisch gegenüberstehen, aber dennoch dessen Freilassung forderten.

Opposition: Nawalny-App am Wahltag nicht verfügbar

Nawalny und sein Team versuchen nun mit einer App, Bürger und Bürgerinnen zum „klugen Wählen“ zu animieren. Wahlberechtigten sollen alternative Kandidaten zur Kreml-Partei vorgeschlagen werden, die aussichtsreich sind, den Kandidaten von Geeintes Russland und so das Machtmonopol der Partei zu brechen. Offen bleibt, wie stark sich diese vehement vom Kreml bekämpfte Kampagne auf das Wahlergebnis auswirken wird. In zahlreichen Wahlkreisen könnten angesichts einer erwarteten Wahlbeteiligung von knapp über 50 Prozent wenige Stimmen den Ausschlag geben.

Der Machtapparat zeigte sich jedenfalls wenig begeistert über Nawalnys App. Große Internetkonzerne wie Google und Apple wurden aufgefordert, die Inhalte zu blockieren. Nach der Weigerung der Konzerne drohte Moskau ihnen strafrechtliche Konsequenzen und hohe Geldstrafen an.

Alexei Navalny
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Nawalnys Organisationen wurden verboten. Er selbst sitzt im Straflager

Am ersten Wahltag hieß es vonseiten der Opposition, dass die Nawalny-App aus den App Stores von Google und Apple verschwunden sei. Der Vorsitzende von Nawalnys Antikorruptionsstiftung war den beiden US-Unternehmen am Freitag vor, die App gelöscht zu haben: „Die autoritäre russische Regierung und die Propaganda werden entzückt sein.“

„Man will keine Augenzeugen“

Darüber hinaus sei zusätzlichen Möglichkeiten der Wahlmanipulation der Weg geebnet worden, kritisiert etwa die auf Wahlbeobachtung spezialisierte Bewegung Golos. Sie wurde kürzlich vom russischen Justizministerium zum „ausländischen Agenten“ erklärt – wie Dutzende kritische Medien und Journalisten in den vergangenen Monaten. „Man will nicht, dass es Augenzeugen gibt, wie diese drei Abstimmungstage verliefen“, sagte Golos-Mitarbeiter Grigorij Melkonjanz gegenüber der deutschen „Tagesschau“.

Offiziell wurde die Wahl wegen CoV-Schutzmaßnahmen auf drei Tage ausgedehnt. Damit sei es aber ein Leichtes, in der Nacht Stimmzettel auszutauschen, so Mangott. Er erwartet keine unabhängigen Wahlbeobachter. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) schickte keine eigene Mission, weil Russland nur eine minimale Zahl an Beobachtern zugelassen hatte. Wahlbeobachter im Inland würden schikaniert. Es werde Wahlbeobachter aus GUS-Organisationen und Vertreter aus anderen Ländern geben, so Melkonjanz. Das seien aber „mehr oder weniger Wahltouristen, die herumkutschiert werden und sehen, wie ‚gut‘ alles ist“.

Gewinnspiel für Wähler

Als Einfallstor für Manipulation insbesondere durch Mobilisierung Regierungstreuer wird von Kritikern auch das vor allem in Moskau forcierte Onlinewahlverfahren gesehen. Das sei kaum überprüfbar, so die Kritik. Das offizielle Moskau sieht darin eine Möglichkeit, die Wahlbeteiligung zu erhöhen, und verlost unter Onlinewählern Autos und Wohnungen.

In einem kurz vor der Wahl veröffentlichten Video rief Putin, der sich derzeit wegen CoV-Kontakten in Selbstisolation befindet, noch selbst zur Stimmabgabe auf: „Ich zähle auf Ihr bürgerliches Gefühl für Verantwortung, Ausgewogenheit und Patriotismus (…).“