Gemüsemarkt mit Graffiti im Hintergrund
ORF.at/Christian Öser
Deutschland

Verschiebung von Ost-West zu Regionen

In vielen Bereichen haben sich seit der Wende Ost- und Westdeutschland einander angenähert, in manchen Bereichen wie beim Gehalt sind die Unterschiede nach wie vor da. Allerdings verschieben sich die Trennlinien von Ost-West hin zur Unterscheidung nach Regionen, etwa bei der innerdeutschen Wanderbewegung.

Gingen vor dem Mauerbau und nach der Wende noch deutlich mehr Menschen vom Osten in den Westen als umgekehrt, ist das Saldo mittlerweile ausgeglichen, zeigen die offizielle Zahlen. Die Gründe sind vielfältig, etwa die Rückkehr in die Heimat in der Pension und der Zuzug wegen passender Arbeitsplätze – jeweils in beide Richtungen.

Dabei profitieren im Osten große Städte wie Leipzig, Jena und Dresden aufgrund der Jobmöglichkeiten durch viele große Firmen und Forschungszentren, aber auch der Ballungsraum um Berlin, der von den hohen Mietpreisen in der Hauptstadt profitiert. Dieselbe Entwicklung ist allerdings genauso im Westen zu beobachten, heißt es in einer Studie von Tom Thieme und Tom Mannewitz – Gewinner- und Verliererregionen gibt es auf beiden Seiten.

Weniger Ausländer, mehr Ausländerfeindlichkeit

Etwas anders verläuft die Entwicklung beim Zuzug von außen: Der Ausländeranteil im Osten macht schon aufgrund der Geschichte einen Bruchteil jenes im Westen aus. Erst ab Anfang 2015 kamen viele Ausländer auch in den Osten – auf weiter niedrigem Niveau. Laut offiziellen Zahlen hatten 2018 in Brandenburg 7,7 Prozent der Menschen Migrationshintergrund, in Thüringen gar nur 6,7 Prozent, wobei die Mehrheit aus Russland, Syrien und Polen kommt. In Hessen waren es hingegen 31,9 Prozent, in Baden-Württemberg 31,4 Prozent.

Indirekt proportional dazu verhält sich das Wahlverhalten: Die AfD erzielte bei der Bundestagswahl 2017 in den neuen Bundesländern Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern bei Weitem die höchste Zustimmung – ein Phänomen, das auch in anderen Ländern, darunter Österreich, zu beobachten ist.

Ostdeutsche in Spitzenpositionen unterrepräsentiert

Ähnlich verhält es sich mit der Demokratiezufriedenheit, die in den neuen Bundesländern geringer ausfällt. Ebenso ist das Vertrauen in politische Institutionen im Osten etwas geringer als im Westen – wobei es in beiden Teilen des Landes über die Jahrzehnte deutlich gewachsen ist.

Weiterhin sind Ostdeutsche in absoluten, bundesweiten Spitzenpositionen deutlich geringer vertreten: je nach Ebene im niedrigen einstelligen bzw. niedrigen zweistelligem Bereich, wobei etwa in den Landesregierungen mehr Politiker mit Regionalbezug sitzen. In der Wirtschaft sind Ostdeutsche in absoluten Spitzenpositionen mehr als unterrepräsentiert, erst in der zweiten Reihe von wirtschaftlichen Führungspositionen wächst der Anteil speziell im Osten, wenn auch ebenfalls von niedrigem Niveau aus.

Auch bei Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften sowie Universitätslehrenden sind Ostdeutsche mit fünf bis zehn Prozent mehr als unterrepräsentiert – selbst im Osten. Etwas anders verläuft die Entwicklung im regionalen Bereich wie der Verwaltung und den regionalen Medien, hier ist der Anteil deutlich höher.

Gehaltsniveau im Osten weiterhin niedriger

Angenähert hat sich die Arbeitslosenquote der beiden Landesteile, auch wenn immer noch ein konstanter Abstand besteht – zeitweise war die Arbeitslosigkeit im Osten allerdings doppelt so hoch wie im Westen. Mittlerweile, so die Studie von Thiem/Mannewitz, müsse man eher anhand von Regionen bzw. Bundesländern unterscheiden und anhand der Nord-Süd-Verteilung, wobei der Süden besser abschneidet.

Ein Problem bleibt die deutlich unterschiedliche Bezahlung: Zwar wachsen die Löhne parallel und kontinuierlich, im Osten lag das Gehaltsniveau 2019 aber nur auf 83,5 Prozent von dem des Westens (3.340 bzw. 2.790 Euro) – entsprechend liegen die fünf neuen Bundesländer am unteren Ende des Rankings. Zwar sind auch die Lebenshaltungskosten im Osten niedriger, aber nicht im gleichen Ausmaß wie der Abstand beim Gehalt.

Thieme/Mannewitz führen das auf die höhere Konkurrenzsituation um Fach- und Spitzenkräfte im Führungsbereich von großen Unternehmen im Westen zurück, während im Osten hauptsächlich produziert wird. Das Armutsrisiko habe sich dabei ebenfalls verlagert, weg vom Ost-West-Gefälle hin zu dem Hintergrund der jeweiligen sozialen Lage wie Ausbildung und Migrationshintergrund, heißt es in der Studie weiter.