In einem seiner Klamaukfilme spielt der Komiker Louis de Funes einen gierigen Kunsthändler. Dieser glaubt, den Fund seines Lebens gemacht zu haben: Auf dem Rücken eines Veteranen entdeckt er einen echten Modigliani – als Tätowierung! Der Wunsch, dem Griesgram (herrlich: Jean Gabin) die Haut vom Rücken zu ziehen, treibt den Galeristen in den Ruin. Das tätowierte Frauenbild in der Komödie „Le Tatoue“ wird dem Meister zwar nicht gerecht, aber das ovale Gesicht, der überlange Hals und die leeren Augen sind charakteristisch.
Die Blockbusterschau zu Modigliani, mit der die Albertina diesen Herbst auftrumpft, sollte bereits 2020 zum 100. Todesjahr des Künstlers eröffnet werden. Am 24. Jänner 1920 hauchte der lebenslang kränkelnde Künstler mit nur 35 Jahren in Paris sein Leben aus. Die Pandemie verhinderte im Vorjahr, dass die teure Schau zustande kam. „Aus der Sammlung Batliner verfügt die Albertina über einen bedeutenden weiblichen Halbakt. Darin hat Modigliani eine Prostituierte im Hotel gemalt“, erzählt Direktor Klaus Albrecht Schröder im Gespräch mit ORF.at zum einzigen hausinternen Angelpunkt der jetzigen Präsentation.
Prostituierte am Bett
Amedeo Modigliani wurde 1884 im italienischen Livorno in eine Familie aus dem sephardisch-jüdischen Bürgertum geboren. Mit 14 Jahren erkrankte er lebensgefährlich an Typhus und fantasierte im Fieber von einer Künstlerkarriere. 1902 begann Modigliani in Florenz und Venedig Malerei und Bildhauerei zu studieren, 1906 übersiedelte er nach Paris. Dort traf der Italiener auf Avantgardisten wie Pablo Picasso, Constantin Brancusi und Andre Derain und teilte deren antiakademische Vorliebe für außereuropäische Kunst.
Er produzierte zunächst Steinskulpturen, aber weil der Staub seiner Lunge schadete, tauschte er 1914 den Meißel gegen den Pinsel. Fortan dominierten Porträts, Frauenbildnisse und Akte sein Werk. 1920 starb der für ausschweifenden Drogen- und Alkoholkonsum bekannte Künstler, ohne zu Lebzeiten großen Erfolg gehabt zu haben.
Dass die vielen Leihgeber der Schau trotz Aufschubs mitgemacht haben, ist nicht zuletzt dem französischen Kurator Marc Restellini zu verdanken. Dem Kunsthistoriker glückte bereits 2002 in Paris ein Blockbuster zu Modigliani; jetzt gibt er dessen neues Werkverzeichnis heraus. „Diese Schau ist ein Wunder!“, freute sich Restellini beim Ausstellungsrundgang.
Masken und Totems als Vorbild
Der chronologisch gehängte Parcours umfasst 128 Exponate, darunter 60 Gemälde. Restellinis Ziel war jedoch keine Retrospektive, sondern eine Neubewertung des Künstlers. Seine These: Modiglianis Hinwendung zur afrikanischen Kunst, zu den Skulpturen der Khmer in Kambodscha und den 4.000 Jahre alten Figuren der Kykladen wurde bisher zu wenig beachtet.
Ausstellungshinweis
„Modigliani. Revolution des Primitivismus“, bis 9. Jänner in der Albertina; täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
„Scheußlich“, „ein Flohmarkt voller Gestank“ – urteilte Picasso nach seinem ersten Besuch im Pariser Ethnografischen Museum, wo er 1907 afrikanische Masken und Totems sah. Die Stammeskunst, die Frankreich aus seinen Kolonien geraubt hatte, verstaubte seit 1878 in den Vitrinen des Palais Trocadero. Die Albertina zeigt nun, wie diese Objekte Derain und Picasso zur modernen Reduktion ihrer Figuren anregten. Auch Modiglianis erhabene Steinköpfe am Beginn der Ausstellung wären ohne die Begegnung mit außereuropäischer Kunst so nicht entstanden.
Während sich aber Picasso nur einige Jahre von dem inspirieren ließ, was damals als „Negerplastik“ bezeichnet wurde, blieb sein italienischer Kollege der Vereinfachung auf kurvilineare Formen und maskenhafte Gesichter sein gesamtes Oeuvre über treu.
„Primitivismus“ als schillernder Begriff
Der Begriff des Primitivismus, den die Albertina jetzt ohne Anführungszeichen führt, ist seit Jahrzehnten umstritten. Ursprünglich wurde er von französischen Kunsthistorikern um 1860 für alte Meister aus Italien und Flandern verwendet, die sich Künstler im 19. Jahrhundert zum Vorbild nahmen. Das Kreuz mit der heutigen Stilbezeichnung ist schnell erklärt: Sie schreibt die Abwertung „primitiv“ für außereuropäische Kunst fort. Vor allem in den USA wurde die Debatte darüber, wie die kulturelle Aneignung der Pariser Avantgarde einzuordnen und präsentieren wäre, heftig geführt.
Der Albertina-Chef schwächt diese Diskussionen ab: „Primitivismus ist einfach ein kunsthistorischer Begriff, so wie etwa Fauvismus“, sagt Schröder und verweist auf jene Spielart des Expressionismus, dessen Maler als „fauves“, also „wilde Tiere“, beschimpft wurden. Kurator Restellini geht in seinem Katalogbeitrag genauer auf die Geschichte und Problematik des Begriffs ein. „Der Primitivismus ist ein Einfluss, eine Prägung, ein ästhetischer Ansatz, dem es eigentlich an einer klaren und präzisen Definition mangelt“, so seine Conclusio, mit der er kolonialismuskritische Kunsthistoriker wohl kaum zufriedenstellt.
Selbstbild als Pierrot
Auch wenn viele Fragen offen bleiben, oder gerade deshalb: Die Albertina hat schon lange keine so spannende Ausstellung mehr geboten. Vor allem die erste Hälfte der Schau hat es in sich. Der Bogen führt dort von den archaisch anmutenden Steinköpfen, die Modigliani ab 1911 zeichnete und meißelte, über seine Vorliebe für kambodschanische Kunst aus dem 12./13. Jahrhundert zu den Einflüssen von Derain, Picasso und dem radikalen Erneuerer der Bildhauerei, Brancusi. 4.000 Jahre alte Marmorfiguren von den griechischen Kykladen treffen auf Modiglianis Bilder von Karyatiden, also Gebälk tragende Frauenfiguren. Dazwischen hängt auch ein Selbstbildnis als Pierrot, in dem der Künstler ein Wortspiel einflicht, das ihn als „König der Steine“ ausweist.

Berührende Porträts
So hat das Publikum schon viel erlebt, ehe es den Hauptsaal mit den berühmten Frauenakten erreicht. Vor sein charakteristisches Rotbraun bettete der Künstler Frauenkörper, die trotz ihrer vereinfachten Kurven und ihrer oft leeren Augen große Sinnlichkeit ausstrahlen. In anderen Akten, wie etwa dem erwähnten Batliner-Bild, tritt der Einfluss der italienischen Renaissance zutage. In der finalen Porträtgalerie hängt auch ein Porträt von Modiglianis Frau, der Künstlerin Jeanne Hebuterne, hochschwanger im schwarzen Kleid. Tragischerweise brachte sie sich unmittelbar nach dem Tod ihres Geliebten um.

Wer genau hinsieht, kann erkennen, dass die Porträts einander weniger ähneln, als es zunächst den Anschein hat. Wiewohl Modigliani seine Handschrift gefunden hatte, hörte er nie auf zu experimentieren. So berührt im letzten Raum etwa das in sich geschlossene Porträt einer Dienstbotin, die ihre schweren Hände in den Schoß legt. Zu den vielen Überraschungen der Schau zählt auch jener Herr, der Louis de Funes zum Verwechseln ähnlich sieht. Ob der Komiker seinen Doppelgänger bei Modigliani, den französischen Dichter Max Jacob, wohl kannte?