Menschen auf der Straße in Porto
Reuters/Violeta Santos Moura
80 Prozent geimpft

Portugals Weg zum Impferfolg

Nur in wenigen Ländern war die Impfkampagne so erfolgreich wie in Portugal. Rund 80 Prozent aller 10,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind bereits vollständig geimpft. Gründe für die Erfolgsgeschichte gibt es mehrere: Die Portugiesen sind historisch bedingt impfaffin, auch der Verlauf der Pandemie dürfte dazu beigetragen haben. Vor allem aber gab es eine ausgeklügelte Impfstrategie – mit einer Galionsfigur an der Spitze.

Rund 81 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft, bis Ende September will man 85 Prozent erreicht haben. Beim Erststich liegt man bei 82,2 Prozent. Die über 60-Jährigen sind zu 99 Prozent vollständig geimpft, die 50- bis 64-Jährigen zu 97 Prozent. Bei den 25- bis 49-Jährigen sind es 87 Prozent. Bei den 18- bis 24-Jährigen sind drei von vier vollständig geimpft, bei den Zwölf- bis 17-Jährigen mehr als die Hälfte. 84 Prozent dieser Gruppe haben bereits den Erststich. Die Zahl der Impfgegner wird auf zwei, drei Prozent der Bevölkerung geschätzt.

In den ersten Monaten der Pandemie im Vorjahr galt Portugal bereits als Musterland: Mit einem Ausnahmezustand und einem harten Lockdown kam das Land in der ersten Welle vergleichsweise glimpflich davon. Die Politik handelte gemeinsam, auch die Bevölkerung zeigte Solidarität. Und mit einem zentral organisierten Gesundheitssystem gab es wenig föderalistischen Reibungsverlust.

Fatale Welle im Winter

Die zweite Welle im Spätherbst traf das Land hart: Die Regierung rief im Oktober den Katastrophenfall aus und musste den Notstand mehrmals verlängern. Im Dezember stabilisierte sich die Lage, doch dann wurde Portugal als eines der ersten Ländern Kontinentaleuropas von der aus Großbritannien kommenden Alpha-Variante heimgesucht. Die Zahl der Infektionen, Hospitalisierungen und auch Verstorbenen schoss in die Höhe, kaum ein Land war im Jänner 2021 derart schwer betroffen.

Vertrauen in Gesundheitssystem und Impfung

Die Auswirkungen dieser Welle und des scharfen Lockdowns hinterließen wohl Spuren in der portugiesischen Bevölkerung – und diese Erinnerung war vergleichsweise frisch, als heuer die Impfkampagne anlief. In Umfragen zeigen Portugiesen zwar ein hohes Vertrauen in ihr Gesundheitssystem – gleichzeitig wurde in den Wintermonaten aber auch klar, dass die Ressourcen begrenzt sind.

Ein Hauptgrund für die hohe Impfrate ist aber wohl ein historisch gewachsener: In sämtlichen Umfragen zu Vertrauen in Impfungen generell liegt Portugal in der EU an der Spitze, zuletzt wurde die Erhebung 2020 veröffentlicht. Auf Platz zwei liegt Spanien.

Erinnerungen an Epidemien

Beiden Ländern ist gemeinsam, dass die Erinnerung an Masern-, Pocken- und Polio-Epidemien in der Gesellschaft noch recht präsent ist. Spanien hatte etwa unter Franco erst sehr spät mit der Polio-Impfung begonnen, auch in den 70er Jahren gab es noch viel Fälle. Ähnlich verhielt es sich in Portugal – und das sei ein Grund für das hohe Vertrauen in Impfungen, analysiert die Tageszeitung „Publico“. Verwiesen wird auch darauf, dass Portugal 2014 ein Programm zur Steigerung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gestartet hat, das nun offenbar Früchte trägt.

Menschen warten auf ihre CoV-Impfung in Seixal, Lissabon
APA/AFP/Patricia De Melo Moreira
Impfzentrum in Lissabon

Impfeinladung per Anruf und SMS

Parallelen zwischen Spanien und Portugal gibt es auch bei der Abwicklung der Impfkampagne. Alle Bürgerinnen und Bürger werden telefonisch oder per SMS zu der Impfung eingeladen. Das schafft einerseits Verbindlichkeit, andererseits wird die persönliche Einladung von vielen als Wertschätzung gesehen. Beobachter aus anderen europäischen Ländern sehen vor allem in diesem System den Schlüssel zum Erfolg. Wieso es dann nicht einfach kopiert wird, ist unklar.

Ein Erfolg von „Käptn Impfung“

Dass die Impfung in Portugal auch organisatorisch rund abläuft, ist vor allem einem zu verdanken: Henrique de Gouveia e Melo. Der Vizeadmiral der portugiesischen Marine übernahm im Februar die Taskforce zur Impfung, nachdem sein Vorgänger nach „Unregelmäßigkeiten“ bei der Auswahl der zu Impfenden zurückgetreten war. Der U-Boot-Kapitän und spätere Kommandant der portugiesischen Flotte navigierte die Impfkampagne höchst erfolgreich – in einigen portugiesischen Medien wurde er bereits als Nationalheld gefeiert.

Die Mischung aus generalstabsmäßiger Planung und einem durchaus empathischen Auftreten lässt sich schon an Bildern Gouveia e Melos ablesen: Einmal ist er im Camouflage-Look zu sehen, einmal erinnert er mit weißem Bart und Kapitänsmütze an die portugiesische Version von Käptn Iglo.

Henrique Gouveia e Melo
APA/AFP/Patricia De Melo Moreira

„Im Kampf vereint“

In der Wortwahl bleibt er meist dem militärischen Tonfall treu: „Wir haben bereits gegen dieses Virus gewonnen“, verkündete er diese Woche. „Zumindest die erste Schlacht ist gewonnen. Das ist eine große Erleichterung für uns alle“, sagte er. „Der Impfprozess hat das Virus besiegt, und jetzt müssen wir lernen, wie wir unsere Freiheit und unser Leben zurückgewinnen können. Natürlich müssen wir vorsichtig sein und wir dürfen auch nicht leichtsinnig sein“, sagte er vor Journalisten.

Seine Philosophie hatte er zuvor so umschrieben: „Wir Portugiesen (…) haben ein Gefühl der Gemeinschaft, wenn wir angegriffen werden. Wir sind von einem Virus angegriffen worden, das unser Leben zerstört hat, und wir reagieren auf die beste Art und Weise: vereint, um diese Pandemie gemeinsam zu besiegen“, sagte er gegenüber AFP.

Solidarität in Gesellschaft und Politik

Tatsächlich sticht Portugal im Vergleich zu anderen Ländern die gelebte Solidarität während der Krise heraus – auch in der Politik: „Wir haben es nicht mehr mit der sozialistischen Regierung zu tun, sondern mit der Regierung von Portugal“, sagte etwa ein Politiker der oppositionellen Konservativen vergangenes Jahr. Demonstrationen gegen die harten Lockdowns gab es praktisch nicht.

Einige Soziologen vermuten, dass die engeren Familiengefüge ein Grund für die hohe Impfrate unter den Jüngeren sind: Sie würden häufig noch länger bei ihren Eltern und Großeltern leben und sich auch aus Rücksicht auf diese impfen lassen.

Höchste Vertrauenswerte innerhalb der EU

Die Zahlen sprechen jedenfalls für sich: Laut einer Eurobarometer-Umfrage von dieser Woche, die vom Europäischen Parlament im Rahmen der Rede zur Lage der Union in Auftrag gegeben wurde, stimmen 87 Prozent der Portugiesen zu oder eher zu, dass die Vorteile des Impfstoffs die Risiken überwiegen. Das ist der höchste Wert unter den 27 Mitgliedsstaaten und liegt 15 Punkte über dem EU-Durchschnitt von 72 Prozent.

54 Prozent der portugiesischen Befragten stimmen zu oder stimmen eher zu (32 Prozent), dass die Impfung gegen Covid-19 „eine Bürgerpflicht“ ist – ebenfalls der höchste Anteil an positiven Antworten unter den Mitgliedsstaaten. Die große Mehrheit der Portugiesen (82 Prozent) ist mit der Art und Weise, wie die Regierung die Impfkampagne umgesetzt hat, zufrieden (58 Prozent) oder sehr zufrieden (24 Prozent) (EU: 50 Prozent). Auch die Arbeit der EU in der Impfstofffrage wird von den Portugiesen EU-Weit am positivsten gesehen.

Manche Beobachter bieten noch eine weitere mögliche Erklärung für den portugiesischen Impferfolg an: In einigen spitzen Kommentaren wird die Impfgegnerschaft, wie sie etwa in Deutschland und Österreich grassiert, als Folge einer Art Wohlstandsverwahrlosung gesehen. In Portugal als vergleichsweise armem Land kommt das naturgemäß eher selten vor.