Der kanadischen Premierminister Justin Trudeau.
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Kanada wählt

Trudeaus Glanz verblasst

Kanada wählt am Montag ein neues Parlament. Ministerpräsident Justin Trudeau hatte die Abstimmung um zwei Jahre vorgezogen, um seine Macht zu festigen. Doch das könnte schiefgehen: Trudeaus Glanz ist seit seinem Amtsantritt 2015 merklich verblasst. Das Vorziehen der Wahl nehmen ihm die Kanadier und Kanadierinnen besonders übel. Ein knappes Rennen wird erwartet.

2015 hatte Trudeau den Konservativen Stephen Harper mit einem historischen Sieg aus dem Amt geworfen. Damals versprach Trudeau „sonnige Wege“ – mehr Leichtigkeit, Moderne und Jugend. Er legalisierte Cannabis, führte die aktive Sterbehilfe und eine CO2-Steuer ein und setzte sich für die Aufnahme Zehntausender syrischer Flüchtlinge ein.

Seine Amtszeit wurde jedoch auch von einer Reihe von Skandalen überschattet. 2017 prüfte eine Ethikkommission einen Familienurlaub der Trudeaus auf einer Privatinsel des Multimilliardärs Aga Khan in der Karibik. 2019 rügte ihn eine Kommission, weil er unzulässigen Druck auf die frühere Justizministerin Jody Wilson-Raybould ausgeübt haben soll, um den Baukonzern SNC-Lavalin vor Strafverfolgung wegen Korruptionsvorwürfen zu schützen.

Neuwahl als Bumerang

Bei den Wahlen 2019 verlor seine Partei dann die Mehrheit im Parlament. Trudeau führt seitdem eine Minderheitsregierung. In der Bewältigung der Coronavirus-Krise konnte er dann punkten: Dank großzügiger Hilfszahlungen und eines allgemein positiv bewerteten Agierens der Behörden verbesserten sich die Zustimmungswerte. Mit diesem Rückenwind rief er im August Neuwahlen aus – in der Hoffnung, nach der absoluten Mehrheit greifen zu können. Er argumentierte damit, dass die Pandemie auf das Land eine so drastische Auswirkung wie der Zweite Weltkrieg gehabt habe. Das Wahlvolk solle deshalb jetzt neu entscheidenden, wer die nächsten wichtigen Zukunftsentscheidungen fällt.

Doch der Schuss ging nach hinten los: Angesichts einer vierten Coronavirus-Welle wurde die Kritik laut, dass teure und potenziell gesundheitsgefährdende Neuwahlen nicht wirklich nötig seien. Der konservative Spitzenkandidat Erin O’Toole brachte bei einer TV-Debatte die Kritik auf den Punkt: „Sie haben damit ihre eigenen politischen Interessen über das Wohlergehen von Tausenden von Menschen gestellt. Führung bedeutet, andere an die erste Stelle zu setzen, nicht sich selbst.“

Der konservative Politiker Erin O’Toole zusammen mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau.
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O’Toole und Trudeau bei der TV-Konfrontation

Kompromisse und Niederlagen

Nach sechs Jahren im Amt ist aber auch viel Glanz Trudeaus verblasst. Seine bejubelten Versprechungen werden nun viel kritischer gesehen, oft sei es mehr Schein als Sein, heißt es heute von vielen Seiten. Auch schmerzhafte Kompromisse durch das Agieren in einer Minderheitsregierung und politische Niederlagen haben Spuren hinterlassen. Einige vollmundige Versprechen wie eine Wahlrechtsreform konnte Trudeau nicht halten. „Er kandidierte als Kandidat des politischen Generationswechsels, um Politik anders zu machen. Eine Weile glaubten die Leute das, dann stauten sich die Dinge auf und sie glaubten es nicht mehr oder weniger“, sagte der politische Experte David Moscrop der dpa. Und nun leide seine Glaubwürdigkeit.

Kein optimaler Wahlkampf

Zu kämpfen hatte Trudeau in dem sonst eher beschaulichen Wahlkampf mit einer kleinen, aber lauten politischen Gruppe aus dem rechten Lager: Sie fordert ein Ende der Coronavirus-Einschränkungen und wehrt sich gegen die diskutierte Impfpflicht für bestimmte Personengruppen und Reisende. Bei einem Auftritt wurde Trudeau mit Schottersteinen beworfen.

Auch thematisch verlief der Wahlkampf des Liberalen nicht nach Plan: Bei den großen Zukunftsthemen wie den steigenden Lebenshaltungskosten, der Gesundheitsversorgung und der Klimakrise wirkte Trudeau nicht firm. Bei einer TV-Debatte geriet Trudeau entsprechend unter Druck und wirkte nicht immer souverän. Dominiert wurde der Wahlkampf von der Frage, wie die nächste Regierung die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise überwinden kann, Wachstum ankurbelt und dann das Budgetdefizit im Griff haben kann.

O’Toole, der es erst im Vorjahr nach einigen Anläufen davor geschafft hatte, Parteichef der Konservativen zu werden, entpuppte sich als schwieriger Gegner, vor allem weil er gesellschaftspolitisch auch eher liberale Ansätze zeigt. Trudeau konnte erst punkten, als er ihm eine zu große Nähe zur Waffenlobby vorwarf.

Sozialdemokraten und Separatisten auf den Plätzen

Erwartet wird nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Liberalen und der Konservativen. In Umfragen konnte auch die New Democratic Party von Jagmeet Singh punkten. Sie liegt bei 20 Prozent und könnte das Zünglein an der Waage sein. Allerdings lässt sich das Umfragefrageergebnis aufgrund des Wahlrechts nicht einfach in Mandate umrechnen.

Der kanadische Politiker und Chef der NDP-Partei Jagmeet Singh.
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Jagmeet Singh bei der TV-Debatte

Das kanadische Unterhaus wird im Wesentlichen wie das britische gewählt, mit einem Mehrheitswahlrecht in Wahlbezirken. Derzeit ist Singhs Partei sogar nur vierte Kraft, weil der separatistische Bloc Quebecois, der nur in der französischsprachigen Provinz Quebec antritt, dort auch sehr erfolgreich ist. Als fünfte Partei sind derzeit die Grünen im Unterhaus vertreten.

Neu ins Parlament schaffen könnte es die neu gegründete People’s Party of Canada, eine Abspaltung der Konservativen. Maxime Bernier hob die Partei aus der Taufe, nachdem er als Parteichef der Konservativen abgelöst worden war, und verfolgt seitdem einen deutlich rechteren Kurs. 2019 konnte man – obwohl die Partei in einer Mehrzahl der Wahlbezirke antrat – kein Mandat erringen. Auch heuer gehen mehr als 300 Kandidatinnen und Kandidaten für die Partei ins Rennen.