Schallenberg sieht Versagen des Westens in Afghanistan

Der Westen hat nach Ansicht von ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg in Afghanistan versagt – in mehrfacher Hinsicht –, wie er heute in der ORF-„Pressestunde“ sagte. Wörtlich sprach der Minister von einem multiplen internationalen Versagen. Allerdings: Es gebe keinen Grund für „Selbstgeißelung“ und zu sagen, das Engagement dort sei falsch gewesen.

Stattdessen müssten daraus die notwendigen Lehren gezogen werden, so Schallenberg sinngemäß. Es müsse die Frage gestellt werden, was denn überhaupt „schiefgelaufen“ sei. Es habe Fehleinschätzungen gegeben, vor allem, was das Tempo betrifft, mit dem die radikalislamischen Taliban das Land unter ihre Kontrolle gebraucht haben.

Abzug der US-Truppen aus Afghanistan

Wobei: Ein Machtfaktor seien sie immer gewesen, auch während der Präsenz der NATO. Dass sich die afghanische Armee und die afghanische Gesellschaft nicht stärker gewehrt hätten, habe verwundert und den Westen überrascht.

„Potenzial, gesamte Region mitzureißen“

Nach der Machtübernahme durch die Taliban befürchtet Schallenberg, dass Kabul sowohl „zu einem sicheren Hafen und einer Brutstätte“ als auch „zu einem Exporteur des internationalen Terrorismus und Extremismus“ werden könnte. Deshalb müsse die internationale Gemeinschaft „alles tun, damit Afghanistan sicherheitspolitisch nicht zu einem Schwarzen Loch wird“. Das hätte „das Potenzial, die gesamte Region mitzureißen“.

Gemeinsam mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will Schallenberg daher einen runden Tisch organisieren, zu dem die Nachbarstaaten Afghanistans sowie die großen UNO-Hilfsorganisationen, und andere eingeladen werden sollen, „um gemeinsam zu schauen, wo können wir stabilisierend wirken, wo müssen wir helfen, wo müssen wir ansetzen“.

Noch immer Österreicher in Afghanistan

Aktuell befänden sich noch „einige Dutzend“ österreichische Staatsbürger in Afghanistan, sagte der Minister. Diese versuche man, nachdem die Evakuierungsflüge eingestellt sind, nun auf dem Landweg aus dem Land zu bringen. Dazu habe das Außenministerium Krisenteams, die durch das Verteidigungs- und das Innenministerium verstärkt seien, in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad und der iranischen Hauptstadt Teheran.

Evakuierung der Österreicherinnen und Österreicher aus Afghanistan

217 Personen mit österreichischem Pass seien seit der Machtübernahme durch die Taliban bisher aus dem Krisenland geholt worden. Eine genaue Zahl zu nennen, wie viele sich noch dort aufhalten, sei schwierig, weil sich diese täglich ändere. Die Bemühungen, Menschen auf dem Landweg aus Afghanistan zu holen, sei „natürlich mit einem Risiko verbunden“, bisher sei man dabei aber „recht erfolgreich“.

„Herkulesaufgabe“ Integration

Was die Aufnahme weiterer Menschen aus dem Krisenland betrifft, blieb Schallenberg zurückhaltend. Zum Ersten, sagte er, seien seit dem Fall der afghanischen Hauptstadt Kabul bereits 120.000 Menschen evakuiert worden. Zum Zweiten gebe es in Österreich bereits eine große afghanische Community, laut dem Minister „die viertgrößte pro Kopf weltweit“, und Österreich habe „die Herkulesaufgabe vor uns, sie schrittweise zu integrieren“.

Integration von Afghanen in Österreich

U-Boot-Streit für Schallenberg keine Gefahr für NATO

Schallenberg äußerte sich in der „Pressestunde“ schließlich auch zu einem ganz anderen Thema, nämlich dem Streit zwischen Frankreich und Australien, nachdem Canberra ein lange ausgemachtes großes U-Boot-Geschäft hatte platzen lassen und nun in den USA einkaufen will. Paris hatte deshalb am Wochenende die Zukunft der NATO in Gefahr gesehen.

Abkommen der USA mit Großbritannien und Australien

Die sieht der Außenminister nicht: Frankreich sei „natürlich verschnupft“, betonte er. Die USA würden die große strategische Herausforderung seit Langem im Pazifik sehen, deshalb sei aber die Partnerschaft mit der EU nicht schwächer geworden. Und Schallenberg betonte, die USA seien Europas wichtigster Partner, wenn es darum gehe, das westliche liberale politische und gesellschaftliche System aufrechtzuerhalten.