Wahlplakate der SpitzenkandidatInnen Annalena Baerbock (Die Grünen), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU)
AP/Michael Sohn
Deutschland

Der Endspurt ist eröffnet

In Deutschland steuert ein Wahlkampf auf sein Finale am Sonntag zu. Entschieden ist noch nichts: Die Stimmung in den Umfragen war selten so dynamisch wie bei der ersten Bundestagswahl nach der Ära Merkel. Die Parteien gehen nun in der entscheidenden letzten Woche in die Offensive.

Bisher war es ein Wahlkampf mit vielen Wendungen: Der große Vorsprung der CDU aus den ersten Pandemiemonaten ist längst zusammengeschmolzen, auch nach einem zwischendurch vermuteten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und Grünen sieht es derzeit nicht aus. Stattdessen ist die an sich geschwächte SPD Schritt für Schritt auf Platz eins gerückt.

Doch auch SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz sitzt auf einem wackligen Spitzenplatz, ebenso ist die Lage für die anderen Parteien unsicher. Zusätzlich deuten Umfragen darauf hin, dass womöglich keine Zweierkoalition mehr möglich sein wird, weswegen auch Spekulationen über etwaige Dreierbündnisse den Wahlkampf anheizen.

„Am liebsten mit den Grünen“

Zum Auftakt der letzten Wahlkampfwoche gehen die Parteien vor diesem Hintergrund noch einmal in die Vollen. Ein Punktesieg für Scholz wurde dabei das letzte TV-Triell am Sonntag, bei dem er laut Blitzumfrage für 47 Prozent am besten abschnitt. Damit konnte er alle drei TV-Debatten für sich verbuchen.

Offenbar punktete der Finanzminister mit staatstragender Rhetorik und der Wiederholung seinen Kernanliegen, allen voran der Erhöhung des Mindestlohns. Auffällig: Der Schulterschluss mit der grünen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock, der in folgendem deutlichen Wunsch gipfelte: „Und dann will ich auch keinen Hehl machen daraus, dass ich am liebsten natürlich eine Regierung bilden würde zusammen mit den Grünen.“

Letzte große TV-Diskussion vor dem Wahltag

Armin Laschet (CDU), Annelena Baerbock (Die Grünen) und Olaf Scholz (SPD) sind am Sonntagabend zum letzten großen TV-Schlagabtausch vor der Deutschland-Wahl zusammengetroffen.

Laschet warnt vor Linksruck

Der ins Umfragetief gefallene CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet warnte daraufhin vor einem Linksruck in Deutschland: „Rot-Grün stand eng zusammen. Man hätte nur noch die Linke dazustellen können, dann wäre die neue Wunschkoalition von (SPD-Kanzlerkandidat) Olaf Scholz sichtbar geworden: Rot-Rot-Grün“, sagte der CDU-Chef am Montag vor einer Sitzung des Präsidiums seiner Partei in Berlin.

Die Union werbe um jene, die das nicht wollten. „Und mein Gefühl ist: Es ist eine große Mehrheit in Deutschland, die das, was wir gestern Abend erlebt haben, nicht will.“ Er forderte Scholz dazu auf, nicht nur ein Bündnis mit den Linken, sondern auch eine Duldung durch die Linkspartei auszuschließen. Die SPD müsse das auch für den Fall einer Minderheitsregierung erklären, so der CDU-Chef.

Geldwäscheermittlung wirbelt durch Wahlkampf

Scholz wurde am Montag auch in anderer Hinsicht Ziel von Attacken – und zwar in der für ihn unliebsamen Causa rund um angebliche Versäumnisse bei Geldwäscheermittlungen durch die Spezialeinheit FIU. Entgegen aller Erwartungen sagte Scholz dazu persönlich – und nicht wie geplant per Video – vor dem Bundestag aus. Gegen Scholz gibt es Vorwürfe aus der Opposition, aber auch aus CDU und CSU, die Geldwäschebekämpfung vernachlässigt zu haben.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz vor dem Finanzausschuss des Parlaments
Reuters/Michele Tantussi
Für Scholz – hier vor dem Ausschuss – kommen die Ermittlungen zur Unzeit

In den Ermittlungen hatte es vergangene Woche auch umstrittene Durchsuchungen im Finanzministerium gegeben. Scholz wies die Vorwürfe dazu nun in der Anhörung zurück, stattdessen verteidigte er die Einheit und verwies auf viele Reformen.

Der politische Gegner griff diese Vorlage auf. So warf Laschet Scholz am Montag mangelnde Aufklärung in Finanzaffären vor. Darin verbiss sich wiederum die SPD: Die Union betreibe eine „Skandalisierung“ der Ermittlungen, so der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans. Das sei offenbar ein „letzter Strohhalm“, offenbar mangle es der Union an Inhalten.

Merkel eilt zur Hilfe

Tatsächlich nagt die CDU weiterhin an der schlechten Performance ihres Spitzenkandidaten Laschet. Er gab sich am Montag aber trotzdem zuversichtlich: „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Union diese Bundestagswahl gewinnen wird. Wir befinden uns in einer Aufholjagd, und das Rennen ist offen wie nie zuvor“, betonte er. Es gebe viele historische Beispiele, bei denen Umfragen und Wahlergebnisse auseinandergelegen hätten.

Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Die Grünen) und Armin Laschet (CDU)
APA/AFP/Tobias Schwarz
Scholz, Baerbock und Laschet rittern um Platz eins

Die CDU dürfte nun versuchen, möglichst viele Stammwählerinnen und -stammwähler zu mobilisieren. Helfen soll dabei auch die scheidende Kanzlerin Angela Merkel, die sich bisher auffallend aus dem Wahlkampf gehalten hatte. Sie absolviert diese Woche noch mehrere Wahlkampfveranstaltungen mit Laschet. Zudem präsentierte die CDU am Montag ein Positionspapier, mit dem sie Wählerstimmen im Osten und in ländlichen Regionen ködern will – die „Agenda für gleichwertige Lebensverhältnisse“.

Gleichzeitig wurde am Montag in der Union aber auch diskutiert, was im Fall einer Wahlniederlage passieren soll. Teile der Union hatten die Frage aufgeworfen, ob man sich auch als Zweitplatzierte um die Bildung einer Regierung bemühen sollte – etwa mit SPD und FDP.

Grüne wollen „echten Aufbruch“

Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock warb indes am Montag für einen „echten Aufbruch“. In Berlin rief Wahlkampfmanager Michael Kellner zur Aufholjagd: „Bei der Bundestagswahl 2017 und bei der Europawahl 2019 ist es uns erfolgreich gelungen, in der letzten Woche Menschen für Grün zu überzeugen.“ Die Wahlergebnisse hätten über den letzten Umfragen gelegen. „Das wollen wir auch dieses Mal wiederholen.“

Den Pool der Unentschlossenen wollen auch die Grünen anzapfen: „Jeder Dritte ist noch unentschieden“, sagte Baerbock. „Das sind 20 Millionen Menschen.“ Das größte Risiko sei nun, nichts zu tun, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. „Wenn jetzt nicht alle Weichen auf Klimaschutz gestellt werden, dann landen wir in einer 2,7-Grad-Welt“, sagte Baerbock, die auf die Interessen vor allem jüngerer Menschen hinwies.

„Sehr viel Spielraum“

„Es wird jetzt auf die letzten Tage vor der Wahl ankommen, da ist noch sehr viel Spielraum“, sagte der Wahlforscher Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg der Nachrichtenagentur AFP. „Die Umfragen zeigen keinen eindeutigen Sieger.“ Korte verweist darauf, dass sich viele Wählerinnen und Wähler ihrer Entscheidung längst noch nicht sicher seien. In einer solch instabilen Ausgangslage sei auch wenige Tage vor der Wahl noch viel Bewegung möglich. Erst die neue Woche werde zeigen, „wie viel der vorhandenen Ratlosigkeit sich vielleicht in eine Richtung bewegt.“