Wahlbox, in der ausgedruckte Onlinestimmen zu sehen sind
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Russland

Fehlende Wahlstimmen heizen Kritik an

Während die Partei des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Geeintes Russland, die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl am Wochenende feiert, mehren sich die Manipulationsvorwürfe. So fehlten zuerst lange die in der Hauptstadt Moskau online abgegebenen Stimmen, dann gab es plötzlich mehr Stimmen als Wahlberechtigte. Kritiker sahen sich in ihren Befürchtungen bestätigt.

In insgesamt sieben Regionen konnte bei der Duma-Wahl auch online gewählt werden. Die Ergebnisse von sechs Regionen wurden bereits Sonntagabend veröffentlicht, die Ergebnisse aus Moskau verzögerten sich am Montag über die Mittagszeit hinaus – obwohl auch diese nach Ende der Stimmabgaben sofort ermittelt werden sollten. Erst am frühen Nachmittag wurden die Ergebnisse aus Moskau veröffentlicht.

Kreml-Kritiker und Oppositionelle brachten die Verzögerung mit vermuteten großangelegten Manipulationen des Onlinewahlergebnisses in Verbindung, Vertreter der Kommunisten forderten die Annullierung. Die Opposition wirft dem Machtapparat Manipulationen der Wahl zugunsten der Kreml-Partei vor. Auch Medien wunderten sich, dass Stimmzettel von Hand schneller ausgezählt wurden als die der Onlineabstimmung.

Ein Mann blickt auf einen großen Screen, wo viele Wahllokale zu sehen sind
Reuters/Shamil Zhumatov
Die Wahlstationen wurden in Moskau von der Wahlkommission auch virtuell überwacht

Umfragen hatten Geeintes Russland angesichts der großen Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage in Russland vor der Wahl bei weniger als 30 Prozent gesehen. Laut vorläufigen Zahlen und einem Auszählungsstand von rund 95 Prozent kam die Partei auf 49,6 Prozent der Stimmen und erreicht laut Wahlkommission in Moskau erneut die absolute Mehrheit.

Mehr Stimmen als Wahlberechtigte

Die unabhängigen Wahlbeobachter und Wahlbeobachterinnen der Organisation Golos sprachen im Zusammenhang mit der Onlineabstimmung von einem klar belegbaren Betrug und forderten die Wahlkommission zur Annullierung der Ergebnisse auf. Es seien 78.000 Stimmzettel für die Onlineabstimmung mehr ausgewiesen worden, als an Wahlberechtigte ausgegeben wurden, so der Golos-Experte Roman Udot auf Facebook.

Es sei an einer Verlaufskurve klar erkennbar, dass gegen Ende der Abstimmung am Sonntag die Zahl der abgegebenen Stimmen die der registrierten deutlich überstiegen habe. „Wenn in einer Urne ein Stimmzettel mehr liegt als rechtmäßig ausgegeben, dann werden alle Wahlzettel für ungültig erklärt. Und wie ist das, wenn es 78.000 sind?“, sagte Udot.

In den Wahlkreisen der Hauptstadt hatten bei der Handauszählung der Stimmzettel mehrheitlich Kandidaten anderer Parteien als Geeintes Russland gewonnen. Nach Veröffentlichung der Ergebnisse der erstmals so organisierten elektronischen Abstimmung lagen plötzlich überall die Bewerber der Kreml-Partei vorn.

Als „ausländischer Agent“ eingestuft

Golos hatte zuvor über 4.900 Verstöße bei der Wahl aufgelistet und teilweise auch in sozialen Netzwerken gepostet. Besonders verbreitet waren laut den Angaben unter anderem erzwungene Stimmabgaben etwa unter Staatsbediensteten. Die staatliche Wahlkommission widersprach den Manipulationsangaben der Organisation, die von den russischen Behörden vor der Wahl als „ausländischer Agent“ eingestuft worden war.

Wahlleiterin Ella Pamfilowa und das Innenministerium hatten einzelne Verstöße bestätigt und auch Tausende Wahlzettel annulliert. Sie sprachen aber von einer unbedeutenden Zahl an Beschwerden, die keinen Einfluss auf die Abstimmung insgesamt hätten. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte wegen Beschränkungen durch russische Behörden nicht – wie sonst üblich – Wahlbeobachter nach Russland geschickt.

Das Team des inhaftierten Kreml-Gegners Alexej Nawalny sprach von Wahlbetrug, den niemand hinnehmen sollte. Nawalnys Mitarbeiter Leonid Wolkow kritisierte auf Twitter: „Diese Wahlen sind schmutziger als die von 2011 – viel schmutziger.“ Heftige Kritik kam auch aus dem Ausland: Die EU kritisierte Einschüchterungsversuche gegen die Opposition, die deutsche Regierung zeigte sich besorgt über Vorwürfe der Wahlfälschung.

Kreml sieht Ergebnis „positiv“

Der Kreml selbst sprach Montagmittag von einer „freien und fairen“ Abstimmung und sah keinen Grund, am Ergebnis zu zweifeln. „In dieser Hinsicht bewerten wir die Wahl ziemlich positiv“, sagte Sprecher Dmitri Peskow. Zugleich zeigte sich der Kreml mit dem Abschneiden der Regierungspartei Geeintes Russland zufrieden.

„Die Partei hatte die Aufgabe, ihre führende Position zu verteidigen. Diese Aufgabe wurde sicherlich erfüllt“, so Peskow. Das Ergebnis reicht laut Parteiangaben für mindestens 315 der 450 Sitze im Parlament. Damit hätte Putin die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit weiterhin sicher.

Peskow zufolge gibt es derzeit keine Entscheidung, die Zusammensetzung der Regierung zu ändern. Bei der Wahl zur neuen Duma waren Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu als Spitzenkandidaten für Geeintes Russland angetreten.

Letzte Wahl vor Präsidentschaftswahl 2024

Für Putin galt die auf drei Tage angesetzte Abstimmung als wichtiger Stimmungstest. Die Parlamentswahl ist die letzte Abstimmung vor der Präsidentschaftswahl 2024. Putin, der im Oktober 69 Jahre alt wird, hat noch nicht gesagt, ob er kandidieren wird. Im Vergleich zur Wahl 2016 büßte die Partei jedoch an Stimmen ein; damals gewann sie noch mit mehr als 54 Prozent und erhielt 334 Sitze im Parlament.

Die Kommunistische Partei gewann hingegen bei dieser Wahl deutlich hinzu und konnte ihr Ergebnis von 13 Prozent laut vorläufigem Ergebnis auf 19,2 Prozent steigern. Viele Russen hatten die Kommunisten aus Protest gewählt. Peskow wertete das gute Abschneiden der Kommunisten als Beweis für den Wettbewerb bei der Wahl.

Drei weitere als regierungsnah geltende Parteien haben laut den vorläufigen Ergebnissen die Fünfprozenthürde für den Einzug in die Duma geschafft: die nationalistische LDPR, die Partei Gerechtes Russland, die beide jeweils über sieben Prozent kamen, und die neu gegründete Partei Neue Leute, die die Fünfprozenthürde knapp schaffte. Die Opposition um Nawalny war von der dreitätigen Abstimmung, an der 45 Prozent der Wahlberechtigten teilnahmen, ausgeschlossen.

In Russland und im Ausland waren rund 110 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen gewesen, eine neue Staatsduma für die kommenden fünf Jahre zu bestimmen. 14 Parteien standen zur Auswahl, unter den Kandidaten waren kaum echte Oppositionelle. Gewählt wurden auch neue Regional- und Stadtparlamente. Bei den insgesamt mehr als 4.400 Wahlen wurden mehr als 31.000 Mandate neu vergeben.