Steirischer herbst

„Echt“ Indisch und „echt“ Chinesisch?

ORF.at hat am Rande eines Kunstprojekts beim steirischen herbst mit Migrantinnen und Migranten über Sehnsüchte gesprochen, über geliebte Verwandte, über Heimweh – und vor allem über das Essen. Einer von ihnen hat zehn Onkel – und jeder von diesen hat ein Chinarestaurant. Aber stillen indische und Chinarestaurants Heimweh? Und hat deren Küche noch etwas mit dem Essen in den Heimatländern zu tun?

Der Künstler Hiwa K, schon auf Manifesta, Documenta und Biennale von Venedig geadelt, stammt aus dem kurdischen Irak. Er hat einem älteren Projekt für den steirischen herbst ein pandemisches Update verpasst und ein Street-Food-Fahrrad mit Kameras und einem Screen ausgestattet. Migrantinnen und Migranten in Graz waren während der letzten Wochen eingeladen, vor Publikum mit Verwandten zu skypen, von denen sie angeleitet wurden, traditionelle Rezepte aus der Heimat zu kochen. Dabei wurde geplaudert und am Ende das Essen verteilt.

Die Themen lagen auf der Hand: die Sehnsucht nach geliebten Verwandten, die Überwindung von Distanzen mit aktuellen Mitteln der Telekommunikation, das Verhandeln kultureller Identität anhand traditioneller Gerichte. Im Begleittext zum Projekt hieß es, es gehe um die politische Dimension des Essens. Was recht kopflastig klingt, war in Wahrheit ein Projekt, das all diese Themen auf so schöne und intensive Weise fühlbar machte, dass am Ende tatsächlich Liebe durch den Magen ging.

Die Kochtipps der Schwester

Pamir Harvey kochte mit seiner Schwester, die in Mumbai vor der Kamera saß. „No, no, no!“, rief sie, wenn er etwas falsch zu machen drohte, und reckte den Zeigefinger in die Höhe. In einem heillosen Durcheinander quatschten die beiden mit dem Dolmetscher, der hin und wieder etwas aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte, aber eigentlich lieber selbst über das Essen sprach. Inder lieben es, über das Essen zu sprechen. Darin waren sich die drei einig. Es wurde viel gelacht, das Publikum lachte mit.

Harvey ist, wenn er nicht gerade eine künstlerische Kochshow absolivert, soziokultureller Referent des Afro-Asiatischen Instituts der Universität Graz. Er wurde 1970 in Mumbai geboren und lebt seit Jahrzehnten in Österreich. Die Situation hier beim steirischen herbst war für ihn kein Fake. Mindestens einmal die Woche telefoniert oder skypt er mit seiner Schwester Suchitra. Immer wieder holt er sich von ihr Tipps fürs Kochen.

Suchitra ist ein paar Jahre älter als ihr Bruder und hat lange als Managerin in der internationalen Baubranche gearbeitet. Jetzt kümmert sie sich in Mumbai intensiv um den Vater der beiden. Auch nach der Kochshow muss sie rasch etwas für den Papa zubereiten, bevor sie Zeit für ein Interview hat.

Die Chinarestaurants einer Dynastie

Xiaoao Dong wiederum ist ein Start-up-Unternehmer, wie man ihn sich vorstellt. Jung, quirlig, kommt immer gerade von einem „Kundenevent“ und hat für seine Eisteefirma Marry Icetea bei der Fernsehshow „Zwei Minuten zwei Millionen“ nach Investoren geangelt. Er tritt nicht in die Fußstapfen seiner zehn Onkel und seiner Eltern. Die haben alle – wirklich alle – jeweils ein Chinarestaurant in Österreich. Wie kann das sein? Wandern alle Köche aus China aus?

Xiaoao erzählt, dass der älteste Onkel als Erster gekommen war, dann folgte einer nach dem anderen. Warum gerade nach Österreich, weiß er nicht. Bei seinen Eltern ging es darum, dass die wirtschaftliche Situation in China desaströs war. Und einmal in Österreich angekommen, standen einem auch nicht gerade Tür und Tor offen. Chinarestaurants zu eröffnen war naheliegend. 90 Prozent der Chinesen in Österreich, schätzt er, haben Chinarestaurants bzw. arbeiten in ihnen. Und die meisten von ihnen kämen aus derselben Region in China.

Veranstaltungshinweis

Am 9.10. finden um 12.30 und 15.00 Uhr noch Veranstaltungen im Rahmen des steirischen herbstes unter dem Motto „Cooking with Mama“ statt.

Legendäre Teigtaschen

Xiaoao ließ sich bei der Kochshow von seiner Mum Shin Fei per Videocall anleiten. Die saß aber nicht in China, sondern in Oberösterreich. Gekocht wurde Schweinebauch mit Reisnudeln und Gemüse. Die legendären Teigtaschen, für die Shin Fei berühmt ist, wären zu aufwendig, da müsste der Teig eine Stunde rasten. Xiaoao stellte sich geschickt an, Shin Fei hatte wenig zu tun in Sachen Support. Vielleicht war es ihr auch unangenehm, dass sie von Xiaoaos Bruder gedolmetscht werden musste.

Denn nach rund 30 Jahren in Österreich kann Shin Fei noch immer nicht Deutsch. Jetzt ist sie zu alt, sagt sie im Interview, sie hat Angst, noch eine Sprache zu lernen, weil sie nicht weiß, ob sie sich die Worte merken würde. Und am Anfang war alles immer so stressig mit den Restaurants. Die Mehrzahl von Restaurant ist hier angebracht – insgesamt hatten seine Eltern bisher acht, erzählt Xiaoao.

Das klassische Geschäftsmodell von Chinarestaurants

Die seien alle jeweils eingegangen. Das klassische Business-Modell der Chinarestaurants funktioniere eben nicht gut, erklärt Xiaoao, der sich mit Business-Modellen auskennt. Billigster Preis einerseits, dieselben europäisierten chinesischen Speisen wie in allen Restaurants andererseits, das bringe nichts. Xiaoaos Bruder hat deshalb das Konzept des elterlichen Restaurants auf moderne asiatische Fusion-Küche umgestellt. Und ähnlich ist das bei den Cousins und Cousinen von Xiaoao. Die nächste Generation denke um, sagt er.

Eine Abkehr von echter chinesischer Küche ist das nicht, die wurde auch bisher nicht serviert. Grundsätzlich, erzählt Xiaoao, habe seine Mutter immer für die Familie echtes chinesisches Essen gekocht – ganz anders als die Speisen für die Gäste im Restaurant. Österreicher essen würziger und deftiger als Chinesen, sagt Shin Fei. Und Xiaoao fügt hinzu, dass viele Zutaten verwendet werden in der chinesischen Küche, die Österreicher nicht mögen. Als Beispiel nennt er rohe Hühnerkrallen.

Nichts zu tun mit der Küche der Heimat

Ähnliches erzählt auch Pamir. Für ihn ist Essen wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, in die alte Heimat, in die Zeit, als er noch mit seiner Familie zusammenlebte. Trifft er unter Anleitung der Schwester einzelne Geschmacksnuancen so, wie er sie von der Küche seiner Mutter in Erinnerung hat, fühlt er sich zurückversetzt. In indischen Restaurants passiere das nie. Da fühlt er sich eher wie in einem exotischen Restaurant, das mit der Küche seiner Kindheit nichts zu tun hat.

Wie wichtig Essen ist, wenn es um eine Verbindung zur Vergangenheit geht, das merkt man Pamir und Sachitra an. Sie lachen und fühlen sich sichtlich nahe trotz der großen Distanz, wenn sie sich von früher erzählen. Als etwa der Papa der Mama immer gute Ratschläge gab, obwohl er selbst nie kochte und sie eine großartige Köchin war. Oder als Pamir sich liebevoll um die große Schwester kümmerte, als sie sich beim Kochen die Hände verbrannte.

Essen, sagt Pamir, bringt die Menschen zusammen: „Du bist hungrig? Dein Hunger und mein Hunger sind gleich. Dein Verlangen nach Nahrung und mein Verlangen nach Nahrung sind gleich. Ich kann mich damit wirklich identifizieren. Wir zwei sind also gleich.“ Das Verlangen nach Nahrung wurde beim steirischen herbst jedenfalls gestillt. Die Gäste waren zufrieden, es wurde alles aufgegessen.