Der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau
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Kanada

Trudeaus Wahlsieg mit Wermutstropfen

Die liberale Partei von Ministerpräsident Justin Trudeau hat nach ersten Ergebnissen die vorgezogene Parlamentswahl in Kanada gewonnen. Allerdings verfehlte sie ihr Ziel – eine absolute Mehrheit – deutlich. Auf Platz zwei liegen die Konservativen. Trudeaus Rechnung, seine Macht mit einer vorgezogenen Wahl zu festigen, ging nicht auf.

Die liberale Regierungspartei errang laut Bericht des öffentlich-rechtlichen kanadischen TV-Senders CBC bei der Wahl am Montag 156 Mandate, die Konservativen unter Erin O’Toole 122. Es handelte sich Dienstagfrüh allerdings noch um vorläufige Ergebnisse. Gegenüber der Wahl von 2019 ändert sich damit kaum etwas. Für eine absolute Mehrheit hätte die Liberal Party 170 Mandate erreichen müssen.

Trudeau ist damit auch künftig auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen. Die Mitte-links-Partei der Neuen Demokraten (NDP) kam in den Prognosen auf 29 Sitze, genauso die Regionalpartei aus Quebec, der Bloc Quebecois, die Grünen erreichten voraussichtlich zwei Mandate.

Grafik zur Wahl in Kanada
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: elections.ca/CBC

„Sie möchten, dass wir uns auf die Arbeit konzentrieren“

„Sie schicken uns mit einem klaren Auftrag zurück an die Arbeit, um Kanada durch diese Pandemie und in vor uns liegende, bessere Tage zu führen“, sagte Trudeau in seiner Siegesrede in der Nacht auf Dienstag. In seiner Rede ging Trudeau auch auf seine Skeptiker ein: „Ich habe sie gehört. Sie wollen nicht mehr, dass wir über Politik oder Wahlen reden. Sie möchten, dass wir uns auf die Arbeit konzentrieren.“ Der Premier nannte die Beendigung der Pandemie, den Kampf gegen die Klimakrise sowie bessere Angebote bei der Kinderbetreuung als Prioritäten. „Unser Team, unsere Regierung ist bereit“, so Trudeau.

Trudeau siegt bei Wahl in Kanada

Kanadas Premierminister Justin Trudeau hat bei der vorgezogenen Parlamentswahl den Sieg errungen, Prognosen von Montagabend (Ortszeit) zufolge fehlt seinen Liberalen jedoch eine stabile Mehrheit.

O’Toole räumte bereits seine Niederlage ein. Er habe Trudeau angerufen, um ihm zu gratulieren, sagte er in seinem Heimatwahlbezirk außerhalb von Toronto. Einmal mehr aber äußerte der Chef der Konservativen scharfe Kritik an Trudeau. Der Ministerpräsident habe auf einen schnellen Griff nach der Macht gehofft.

„Die Kanadier haben ihn mit einer weiteren Minderheitsregierung zum Preis von 600 Millionen Dollar und tieferen Spaltungen in unserem großartigen Land zurückgewiesen.“ Die Gräben in der Gesellschaft dürften nicht aus egoistischen Gründen vertieft werden. Er warf Trudeau dabei vor, innerhalb von 18 Monaten erneut eine vorgezogene Wahl anzustreben.

Der 49-jährige Trudeau hatte die Wahl vor wenigen Wochen mit der Hoffnung auf eine absolute Mehrheit unter anderem aufgrund der relativ erfolgreichen Politik seiner Regierung gegen die Coronavirus-Pandemie ausgerufen. Er argumentierte damit, dass die Pandemie auf das Land eine so drastische Auswirkung wie der Zweite Weltkrieg gehabt habe. Das Wahlvolk solle deshalb jetzt neu entscheiden, wer die nächsten wichtigen Zukunftsentscheidungen fällt.

Vorziehen der Wahl kam nicht gut an

Die Umfragen waren zuletzt allerdings knapper ausgefallen, als die Liberalen sie sich gewünscht hatten. Die Spitzenkandidaten der anderen Parteien und viele Kanadierinnen und Kanadier hatten ihnen vorgeworfen, trotz einer vierten Welle der Pandemie und einer relativ stabilen Minderheitsregierung nach der absoluten Mehrheit zu greifen – und damit Zeit im Kampf gegen Covid-19 zu verschwenden. Außerdem würde es die Gesundheit der Wählerinnen und Wähler potenziell gefährden.

Der konservative Politiker Erin O’Toole zusammen mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau.
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O’Toole und Trudeau bei der TV-Konfrontation

Seit 2015 im Amt, seit 2019 Minderheitsregierung

Generell kommt Trudeaus Liberalen das Wahlsystem in Kanada eher zugute. Die Mandate in den 338 Wahlbezirken werden nach dem Prinzip der absoluten Mehrheit verteilt. Entscheidend sind lediglich einige Dutzend umkämpfte Bezirke vor allem in den Vorstädten der Großstädte Toronto, Montreal und Vancouver. Das kanadische Wahlsystem ist dem in Großbritannien recht ähnlich.

Trudeau regiert das nordamerikanische Land mit knapp 38 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern seit 2015, seit 2019 führte er es nur noch mit einer Minderheit der Sitze des Parlaments in der Hauptstadt Ottawa.

Koalitionen haben keine Tradition

Traditionell gibt es in Kanada keine Koalitionen, sondern entweder absolute Mehrheiten oder Minderheitsregierungen mit durchschnittlich zweijähriger Halbwertszeit. Die letzte Wahl auf Bundesebene im Herbst 2019 brachte den Liberalen 157 Sitze, die Konservativen errangen damals 121. Die Liberalen stellten im politisch moderaten Kanada historisch gesehen am häufigsten Regierungen. In diesem Wahlkampf dominierten neben der Klimakrise vor allem innenpolitische Themen wie die steigenden Lebenshaltungskosten und die Gesundheitsversorgung.

Trudeau hat Experten und Meinungsforschern zufolge trotz einiger politischer Erfolge ein Glaubwürdigkeitsproblem in Teilen der Bevölkerung entwickelt. Das habe mit großen, aber nicht immer gehaltenen Versprechungen und mehreren Skandalen zu tun. 2017 etwa prüfte eine Ethikkommission einen Familienurlaub der Trudeaus auf einer Privatinsel des Multimilliardärs Aga Khan in der Karibik. 2019 rügte ihn eine Kommission, weil er unzulässigen Druck auf die frühere Justizministerin Jody Wilson-Raybould ausgeübt haben soll, um den Baukonzern SNC-Lavalin vor Strafverfolgung wegen Korruptionsvorwürfen zu schützen.

Kein optimaler Wahlkampf

Thematisch war der Wahlkampf des Liberalen nicht nach Plan verlaufen: Bei den großen Zukunftsthemen wie den steigenden Lebenshaltungskosten, der Gesundheitsversorgung und der Klimakrise wirkte Trudeau nicht sattelfest. Bei einer TV-Debatte geriet er entsprechend unter Druck und wirkte nicht immer souverän.

Freude bei Konservativen nach Wahl in Kanada
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O’Toole (nach der Wahl) war kein einfacher Gegner

Dominiert wurde der Wahlkampf von der Frage, wie die nächste Regierung die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise überwinden kann, Wachstum ankurbelt und dann das Budgetdefizit in den Griff bekommt.

O’Toole, der es erst im Vorjahr nach einigen Anläufen davor geschafft hatte, Parteichef der Konservativen zu werden, entpuppte sich als schwieriger Gegner, vor allem weil er gesellschaftspolitisch auch eher liberale Ansätze zeigt. Trudeau konnte erst punkten, als er ihm eine zu große Nähe zur Waffenlobby vorwarf.