Evergrande Center in Shanghai
APA/AFP/Hector Retamal
300 Mrd. Dollar Schulden

Evergrande-Krise lässt Alarmglocken läuten

Die finanzielle Bredouille des chinesischen Immobiliengiganten Evergrande versetzt China wie auch internationale Aktienmärkte in höchste Alarmbereitschaft. Eine Pleite des Unternehmens könnte Chinas Wachstum rapide bremsen. Zu möglichen globalen Auswirkungen gibt es viele offene Fragen. Eine davon ist, ob und wie Peking auf die drohende Pleite von Evergrande reagiert.

Beim Abbau seines mindestens 300 Milliarden Dollar (256 Mrd. Euro) hohen Schuldenbergs ist Evergrande in Zahlungsverzug gekommen. Zunächst zeichnete sich bei Anlegern am Mittwoch eine leichte Entspannung ab, als das Unternehmen ankündigte, am Donnerstag 35,9 Mio. Dollar Zinszahlung pünktlich zu leisten. Es bleibt aber fraglich, ob das Unternehmen die in den nächsten Tagen fällig werdenden Zinsen in Höhe von 130 Mio. Dollar zahlen kann – fast 84 Mio. davon allein am Donnerstag.

Gründer und Verwaltungsratschef Hui Ka Yuan versicherte, dass das Unternehmen seinen Verpflichtungen nachkommen werde. Seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sprach er in einem Brief Mut zu. Er sei fest davon überzeugt, dass man den „dunkelsten Moment“ überwinden könne. Berichten zufolge geriet das Unternehmen aber bereits Anfang der Woche bei zwei Banken mit Zinszahlungen in Verzug. Es gibt eine Nachfrist von 30 Tagen, die dem Unternehmen Zeit verschaffen könnte.

Hui Ka Yan
Reuters/Bobby Yip
Xu Jiayin baute aus seinem vor 25 Jahren gegründeten Unternehmen einen Immobiliengiganten

Evergrande legte in der Folge am Donnerstag an der Hongkonger Börse kräftig zu. Die Aktie des Immobilienkonzerns machte zum Handelsauftakt einen Sprung von über 30 Prozent, reduzierte den Zuwachs bis Mittag jedoch auf ein Plus von rund zehn Prozent. Laut Beobachtern reagierten Anleger auf die Ankündigung vom Vortag, wonach sich der Konzern etwas Luft verschaffen konnte. Für große Verunsicherung sorgte jedoch, dass das Unternehmen noch immer keine Angaben zu einer weiteren in US-Dollar gehandelten Offshore-Anleihe gemacht hat.

Schuldenbremse für Immobilienbranche

Das 1996 von Xu Jiayin gegründete Unternehmen, früher bekannt als Hengda Group, ist eng verbunden mit dem chinesischen Immobilienboom und dem jahrelangen Aufschwung Chinas. Evergrande besitzt laut BBC mehr als 1.300 Projekte in über 280 chinesischen Städten. Die – auf Krediten basierte – Expansion von Evergrande war enorm.

Der Verschuldung von Unternehmen wollte die Regierung im vergangenen Jahr Einhalt gebieten und erlegte der gesamten Immobilienbranche Schranken auf, um ihre Verschuldung zu begrenzen und ausreichend Liquidität für kurzfristige Verbindlichkeiten zu sichern. Evergrande brachte diese politische Strategie, kreditfinanziertes Wachstum zurückzudrängen, ins Trudeln. Der Aktienkurs von Evergrande fiel in diesem Jahr bisher um rund 85 Prozent. Es fehlt an Liquidität. Anfang der Woche begann das Unternehmen, Anleger seines Vermögensverwaltungsgeschäfts mit Immobilien zu entschädigen.

Evergrande ist längst nicht mehr ein reines Immobilienunternehmen. 2010 kaufte der Konzern mit dem Guangzhou FC einen der erfolgreichsten Fußballclubs in China. Er investierte auch in Mineralwasser, Babymilch, Schweinefarmen und Elektroautos. Die Autofirma und die Marke Hengchi suchen – bisher ergebnislos – einen Käufer.

Staatliche Rettung unsicher

Unklar ist, ob die Regierung Evergrande retten oder ein Exempel statuieren wird. In einem Social-Media-Beitrag kommentierte der Chefredakteur der staatlich unterstützten Zeitung „Global Times“, Hu Xijin, dass sich Evergrande nicht auf eine staatliche Rettungsaktion verlassen sollte und sich stattdessen selbst retten müsse.

Auch die US-Ratingagentur Standard & Poor’s meinte Anfang der Woche, dass nicht von einer Rettung des Konzerns ausgegangen werden könne. Peking wäre nur dann zum Eingreifen gezwungen, „wenn es zu einer weitreichenden Ansteckung käme, die den Zusammenbruch mehrerer großer Bauunternehmen zur Folge hätte und systemische Risiken für die Wirtschaft darstellen würde“, so die Agentur.

Wohnbauprojekt in Peking
AP/Wayne Zhang
Viele Evergrande-Projekte befinden sich in Bau – hier entsteht eine Wohnhausanlage in Peking

Der Zusammenbruch von Evergrande sollte als „kontrollierte Explosion“ gesehen werden, kommentierte die „Financial Times“ („FT“). Peking erteile dem Unternehmen eine „sehr öffentliche und schmerzhafte Lektion“.

Dominoeffekte nicht auszuschließen

Scheitert Evergrande, könnten die Konsequenzen für Chinas Wirtschaft fatal sein, würden doch viele Menschen, die Immobilien angezahlt, aber noch nicht bekommen haben, Unternehmen und Lieferanten in Schwierigkeiten kommen. Auch auf das chinesische Finanzsystem hätte eine Insolvenz von Evergrande große Auswirkungen.

Das Unternehmen schulde mehr als 170 chinesischen und 121 anderen Finanzunternehmen Geld, sagte Mattie Beking von der Economist Intelligence Unit (EIU) gegenüber der BBC. Würden Banken gezwungen, weniger Kredite zu vergeben, könnte das zu einer Kreditklemme führen – mit Auswirkungen auf das Wachstum in China.

Da Banken und Finanzinstitute auch bei Zulieferern von Evergrande engagiert seien, könnten Dominoeffekte in China nicht ausgeschlossen werden, so Analysten. Schätzungen zufolge trägt der Immobilienmarkt 29 Prozent zur jährlichen Wirtschaftsleistung Chinas bei. Geht dieser zurück, wird sich das auf das chinesische Wachstum auswirken.

Zweitgrößter Anteilseigner vor Ausstieg

Mit Chinese Estates Holdings plant indes der zweitgrößte Evergrande-Aktionär den Verkauf seiner gesamten Beteiligung an dem angeschlagenen Immobilienkonzern. Das Unternehmen schätzt, dass es bei dem Verkauf seines gesamten Anteils einen Verlust von umgerechnet rund einer Mrd. Euro für das Jahr 2021 erleiden wird.

„National begrenztes Kreditrisiko“

Was die internationalen Auswirkungen betrifft, gibt es viele offene Fragen und Unsicherheiten. Wie bei der Pleite Investmentbank Lehman Brothers 2008 in den USA mit großen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft herrscht auch hier Intransparenz. Laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) halten sich die europäischen Banken bedeckt, ob sie mit Evergrande verknüpft sind. Zu einer möglichen Beteiligung europäischer Banken an den Schulden von Evergrande wollte sich in den Instituten gegenüber der „FAZ“ niemand äußern. Es gebe kein Kommentar zu konkreten Kundenbeziehungen.

Evergrande-Krise: Mögliche weltweite Folgen

Die finanzielle Bredouille des chinesischen Immobiliengiganten Evergrande versetzt China wie auch internationale Aktienmärkte in höchste Alarmbereitschaft. Eine Pleite des Unternehmens könnte Chinas Wachstum rapide bremsen.

Mirko Wormuth vom deutsch-chinesischen Fonds Awesome Capital sieht jedenfalls ein „national begrenztes Kreditrisiko“. Für die meisten mittelgroßen bis großen Banken machten die Darlehen insgesamt keinen großen Bestandteil aus. Die Deutsche-Bank-Fondstochter DWS verweist darauf, dass „das direkte Engagement ausländischer Anleiheinhaber bei Evergrande relativ bescheiden zu sein scheint“.

Kein Lehman-Moment erwartet

Die Finanzmärkte sind aber wachsam. Anfang der Woche erlebten die Aktienmärkte von Europa bis in die USA deutliche Abwärtsbewegungen. „Es herrscht eine gewisse Sorge über die Möglichkeit einer Ansteckung“, hieß es von Analysten des Brokerhauses Bespoke in New York. Aber auf Teilen der Kreditmärkte, die meist ein gutes Warnsignal für größere Risiken seien, zeige sich die Besorgnis bisher nicht.

Eine Schockwelle wie beim Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, die international Finanzinstitute in die Bredouille brachte und die auf Pump finanzierte Immobilienblase in den USA platzen ließ, erwarten aber die meisten Beobachter nicht. Die japanische Zentralbank bewertete am Mittwoch die Finanzprobleme des Immobilienentwicklers nicht als Systemrisiko für die Weltwirtschaft. Diese Problematik betreffe den Immobiliensektor Chinas.