Sebastian Kurz (ÖVP) beim Ibiza-U-Ausschuss
ORF.at/Lukas Krummholz
Verdacht der Falschaussage

Kurz-Einvernahme schon Anfang September

Gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird wegen mutmaßlicher Falschaussage im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss ermittelt. Dazu wurde der Kanzler bereits Anfang September einvernommen, wie es in einer schriftlichen Stellungnahme von Kurz heißt, die am Mittwoch bekanntwurde.

„Ich bin froh, nach Monaten falscher Vorwürfe Anfang September mehrere Stunden die Möglichkeit gehabt zu haben, vor einem Richter zu den falschen Vorwürfen, die aufgrund einer Anzeige durch die NEOS gegen mich erhoben wurden, Stellung zu nehmen“, heißt es in dem Statement des Kanzlers, der momentan bei der UNO in New York ist.

Die Einvernahme erfolgte vor einem Richter, laut „Presse“ war auch ein Vertreter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) dabei. Als konkretes Datum nannte die Zeitung den 3. September. Dass die Befragung durch einen Richter und nicht durch die WKStA erfolgte, mit der die ÖVP seit Längerem im Clinch liegt, war ein Anliegen von Kurz’ Anwalt Werner Suppan.

Im Juli hatte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) entsprechend entschieden. Betont wurde damals, dass die Entscheidung „ausschließlich aus rechtlichen Erwägungen“ getroffen worden und damit „keinerlei Vorbehalt des Justizministeriums gegenüber der fallführenden Staatsanwaltschaft“ verbunden sei.

Mutmaßliche Falschaussage im „Ibiza“-U-Ausschuss

Die WKStA ermittelt wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss. Kurz wird seit Mai als Beschuldigter geführt. Grund für die Ermittlungen sind die Vorgänge um die Bestellung des Aufsichtsrats und des Alleinvorstands der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG). Hier soll Kurz den U-Ausschuss falsch informiert haben. Basis war eine Anzeige von NEOS.

Im U-Ausschuss stehen Auskunftspersonen unter Wahrheitspflicht. Laut Paragraf 288 Strafgesetzbuch (StGB) ist ein „Zeuge“, der vor Gericht falsch aussagt, mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu bestrafen. Kurz hatte stets seine Unschuld beteuert und nicht mit Kritik an den Oppositionsparteien gespart.

Chatnachrichten von WKStA sichergestellt

Die WKStA hatte zig Chatnachrichten aus dem Smartphone des mittlerweile zurückgetretenen Alleinvorstandes Thomas Schmid ausgewertet. Kurz sei stärker als bekannt in die Suche nach Aufsichtsräten für die neu gegründete Staatsholding involviert gewesen, so die WKStA.

Im WKStA-Verdacht hieß es: Kurz habe unter anderem „tatsachenwidrig die ab Ende 2017 mit dem gemeinsamen Bestreben, MMag. Thomas Schmid für die ÖVP zum Alleinvorstand der ÖBAG zu nominieren, geführten Gespräche und Telefonate sowie (…) Chats mit diesem in Abrede gestellt und behauptet, er sei nur informiert, aber nicht darüber hinausgehend eingebunden gewesen“.

Aussage als Auskunftsperson im Juni

Kurz hatte bereits im Juni des vergangenen Jahres als Auskunftsperson ausgesagt. Der damalige Generalsekretär habe ihn über dessen Bewerbung informiert, sagte der Kanzler im U-Ausschuss. Auf die darauffolgende Frage von NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter, ob Kurz mit Schmid davor „nie darüber gesprochen“ habe, „dass er (Schmid, Anm.) das (ÖBAG-Alleinvorstand, Anm.) werden könnte“, sagte der Kanzler: „Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert, und es war sicherlich auch so, dass immer wieder davon gesprochen wurde, dass er ein potenziell qualifizierter Kandidat wäre.“

Aus Chatverläufen geht laut Opposition klar hervor, dass Kurz in der Bestellung Schmids stärker involviert war als behauptet. „Sebastian will mich nicht gehen lassen“, schrieb Schmid etwa in einem Chat zu seinen Ambitionen, in die ÖBAG-Vorläuferorganisation ÖBIB zu wechseln. Zwei Monate vor seinem Hearing schrieb er, dass alles „auf Schiene“ und „mit Sebastian“ abgestimmt sei.

In einer Nachricht an den Bundeskanzler bedankte sich der damalige Generalsekretär im Finanzministerium, Schmid, beim Kanzler für „alles“. Das war kurz vor der Bestellung der Aufsichtsräte im Februar 2019. Im März, noch vor der Bestellung von Schmid zum ÖBAG-Alleinvorstand, bat dieser den Bundeskanzler, ihn „nicht zu einem Vorstand ohne Mandate zu machen“. Kurz antwortete: „Kriegst eh alles was du willst.“ Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Kurz: „Nicht die geringste Absicht“ zu Falschaussage

In einer fünfseitigen schriftlichen Stellungnahme, die laut einem Sprecher des Kanzlers in Ergänzung zur mündlichen Aussage eingebracht wurde, wurde von Kurz erneut betont, dass seine Aussagen vor dem U-Ausschuss am 24. Juni 2020 „durchwegs meinem damaligen Wissens- und Erinnerungsstand“ entsprochen hätten: „Ich hatte nicht die geringste Absicht, vor dem Untersuchungsausschuss falsche Aussagen zu machen, und habe dies in Bezug auf meine damaligen Erinnerungen auch nicht getan. Auch nach mehrmaligem Studium der Vorwürfe und Unterlagen zeigt sich für mich, dass meine Aussagen zutreffend waren.“

Kurz rechtfertigt sich auch damit, dass er zu sämtlichen acht Beweisthemen des U-Ausschusses geladen worden sei. Eine detaillierte Vorbereitung sei ihm nicht möglich gewesen, weil man sich damals „in einer österreichweit, europaweit und weltweit noch nie da gewesenen Ausnahmesituation einer Pandemie“ befand, „die und deren Bewältigung mich seit dem Frühjahr 2020 täglich von sehr frühen Morgenstunden bis spät in die Nacht beschäftigt und beansprucht hat“.

Zum Abschluss merkte der Kanzler noch an, dass er zum Zeitpunkt seiner Einvernahme schon gewusst habe, dass Schmids elektronische Nachrichtenkommunikation von der WKStA sichergestellt worden war, „weshalb mir von vornherein klar war, dass jegliches Abweichen von meiner konkreten Erinnerung, soweit sie damals vorhanden war, völlig sinnlos und kontraproduktiv wäre und mir selbst ja nur Schaden zufügen könnte“.

SPÖ: „ÖVP augenscheinlich höchst nervös“

Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ist die Tatsache, dass Kurz seine Einvernahme erst nach drei Wochen publik gemacht hat, ein Indiz dafür, dass „die ÖVP augenscheinlich höchst nervös ist und es für Kurz alles andere als gut gelaufen ist“. In einer Aussendung bekräftigte Deutsch die SPÖ-Forderung nach einem Rücktritt des Kanzlers: Angesichts der enormen Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit, CoV-Welle und Pflegenotstand brauche es gerade jetzt einen Kanzler, „der sich voll und ganz auf die Arbeit für die Menschen im Land konzentrieren kann – und nicht mit sich selbst, seinen Skandalen und Gerichtsverfahren beschäftigt ist“.