Er ist gespenstergrau, wie er sich da anstellt für den Ozeandampfer, ja doch, das Ticket gilt, auch das seiner Frau, sie werden durchgewunken. Die Kabine ist karg, aber es ist ja nur für ein paar Tage, und dann beginnt ein neues Leben. Das alte Leben in Wien, das war eine andere Welt. So beginnt die „Schachnovelle“, Stölzls Verfilmung von Zweigs berühmter gleichnamiger Novelle um einen Mann, der die Isolation einer Gestapo-Haft nur überlebt, weil er sich über Monate hinweg mit einem Büchlein der berühmtesten Schachpartien der Welt beschäftigen kann.
Diese Wiener Welt von gestern ist hier eine bunte, idyllische Walzerwelt. Der Anwalt Dr. B., der hier Josef Bartok heißt und von Oliver Masucci gespielt wird, bewohnt mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) eine luftige Jugendstilwohnung mit Klimts und Kandinskys an den Wänden. An schönen Tagen wird gefeiert, weil die Liebe in Wien eben beschwingt macht, und die schlechten politischen Nachrichten werden einfach weggelächelt, alle Momente fallen Plattheiten wie „Solange Wien tanzt, kann die Welt nicht untergehn“.

Masucci spielt diesen Anwalt mit einem Tobias-Moretti-haft larmoyantem Charisma, spielt so, als müsste er ein Theater ausfüllen. Das braucht es aber auch, denn alles andere ist ebenso laut: Es ist März 1938, und als sich Bartok mit seiner Frau zum Ball chauffieren lässt, drängen sich die Nazi-Horden um den Wagen, der „Anschluss“ steht unmittelbar bevor, die Fahrt zum Ball ist wie eine Sightseeingtour durch die schlimmsten Momente dieser Zeit.
Schach als Lebensrettung
Doch er ist nicht nur Zeuge, Bartok selbst ist in Gefahr. Seine diskrete Kanzlei verwaltet die Vermögen von Klöstern ebenso wie von wohlhabenden jüdischen Familien, und die SS will an dieses Geld herankommen. Während er auf dem Ball Kaffee trinkt und Dr. Sigmund Freud in der Herrenrunde einen kleinen Witz erzählt, wird Bartok eine Warnung zugesteckt: Die Gestapo hat Wind von seinen Klienten bekommen, eine dringende Flucht ist angeraten. Doch Bartok setzt nur seine Frau in den Zug, er selbst hofft, noch ein paar Unterlagen vernichten zu können.
Zu spät: Schon sind Uniformierte in seinem Büro, nehmen ihn mit ins Hotel Metropol, wo die Gestapo ihr Quartier aufgeschlagen hat. Hier wird Dr. Bartok von einem höflichen Mann in brauner Uniform gebeten, er möge doch die Nummernkonten preisgeben. Und als er nicht mitmacht, wird er höflich aufs Zimmer gebracht, alles sehr zivilisiert. Und dann beginnt die Hölle – denn Bartok wird dieses Zimmer viele Monate lang nur noch für Verhöre verlassen. Erst ein Büchlein mit berühmten Schachpartien hilft ihm, nicht völlig unter der „weißen Folter“ der Isolation zusammenzubrechen.
Mehr ist mehr
Zweigs „Schachnovelle“ beginnt mit einem Ich-Erzähler, der auf einem Ozeandampfer nach Südamerika einem singulär begabten bäuerlichen Schachgenie begegnet, an dem alle Schachspieler des Schiffes scheitern. Erst in den per Trauma erworbenen Fähigkeiten des Dr. B. findet der Schachmeister eine Herausforderung, was jedoch in der Katastrophe mündet.

In Stölzls Verfilmung gibt es diesen Ich-Erzähler nicht. Der Film ist ganz und gar aus Bartoks Perspektive erzählt, bleibt eng bei ihm in der Isolationshaft, die surreal übersteigert ist, um die Geistesverfassung des Häftlings zu schildern. Die Übersteigerung betrifft aber den ganzen Film, und vielleicht ist ein naturalistisches Verfilmen der Novelle gar nicht sinnvoll. Das Schachspiel dient ja ohnehin als Gleichnis für die psychische Ausnahmesituation.
Neuverfilmung der „Schachnovelle“
Die Schachnovelle war Stefan Zweigs bekanntestes und zugleich letztes Werk, Philip Stölzl hat es nun neu verfilmt.
Gerd Oswalds erste Verfilmung aus dem Jahr 1960, in der Curd Jürgens den traumatisierten Anwalt spielt, war ein schlanker Thriller irgendwo zwischen „Menschen im Hotel“ und Film Noir, doch Stölzl, für nicht eben differenzierte Interpretationen historischer Stoffe (etwa „Der Medicus“) bekannt, setzt auf Zweigs Vorlage immer noch eins drauf.
Stefan Zweigs letzter Text
Die Schachnovelle ist der letzte Text, den Zweig kurz vor seinem Suizid im brasilianischen Exil im Februar 1942 an seinen Verleger schickte. Die Umstände hat vor sechs Jahren Maria Schrader mit ihrem klugen Episodenfilm „Vor der Morgenröte“ zurückhaltend rekonstruiert. Ihr Film liefert den Kontext für diesen anderen, der mit einem ganz anderen Gestus agiert, dick aufträgt, nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich, damit alle mitbekommen, wer hier die Bösen und wer die Guten sind. Vielleicht ist das für eine subtilere Verfilmung auch schon zu lange her.

Doch wenn man zurückkehrt zum Text, steht da: „Nun hatten die Nationalsozialisten, längst ehe sie ihre Armeen gegen die Welt aufrüsteten, eine andere ebenso gefährliche und geschulte Armee in allen Nachbarländern zu organisieren begonnen, die Legion der Benachteiligten, der Zurückgesetzten, der Gekränkten“, und das klingt gar nicht so fern.
Diese Benachteiligten, die nun endlich auch etwas gelten dürfen, treten in Gestalt eines Gestapo-Polizisten auf, den Andreas Lust mit breitbeiniger Brutalität darstellt, doch tiefere Bedeutung hat die Gewalt der Zukurzgekommenen in Stölzls Verfilmung keine.
Der Gegner in der Doppelrolle
Wichtiger ist dafür das Gegenüber von Bartok im Hotel Metropol, ein von Albrecht Schuch gespielter Gestapo-Psychofolterknecht mit Engelsgesicht, der den Häftling mit gutem Whiskey und bösen Fragen an den Rand des Zusammenbruchs bringt.
Schuch hat noch eine zweite Rolle im Film, er spielt auch das einsilbige Schach-Urviech auf dem Ozeandampfer, zur Unkenntlichkeit bärtig und zerrupft. Die beiden Rollen liefern praktischerweise gleich die Interpretation mit: Zweimal ist er der Gegenspieler für den Josef Bartok, zwei Inkarnationen derselben stumpfen Gewalt, da muss man gar nicht mehr mitdenken.
Am auffallendsten ist jedoch die Besetzung des Dr. Bartok mit Masucci, der mit seiner kernigen Mundpartie und den blauen Augen gern als Nazi im Stil eines Udo Kier eingesetzt wird. Er ist letztlich die einzige Figur, die wirklich für sich existiert in der „Schachnovelle“, alle anderen existieren nur in Beziehung zu ihm, sind womöglich Einbildung, was die schablonenhafte Figurenzeichnung zumindest teilweise rechtfertigen würde. Masucci wurde für die Rolle beim bayrischen Filmpreis als bester Darsteller ausgezeichnet.