Bild „Die Erzeugung von Raum“ von Max Peintner
Dorotheum
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Große Kunst für junge Käufer

Im Wiener Dorotheum werden die großen Werke traditionell im Juni versteigert, zuletzt etwa ein Lassnig-Bild, das für den Rekordpreis von 1,1 Millionen Euro den Besitzer wechselte. Ganz anders nun beim Zeitgenossentermin im Herbst: Das bunte Potpourri, das nun in der Auslage steht, ist eine Einladung auch an weniger begüterte Kunstbegeisterte. Die neue Zielgruppe: ein deutlich jüngeres Publikum.

Fünf Wilde auf ihrer Maschin‘ brausen da im Höllenritt, die Flammen züngeln nur so aus dem Auspuff. Am unteren Bildrand schreit ein Kerl „Hey!!! Rocker“, was auch gleich den Titel dieses eigenwillig-witzigen, Pop-inspirierten Großformats ausmacht. Curt Stenvert, der das Gemälde schuf, wird als einer der wichtigsten Künstler der Wiener Nachkriegsavantgarde gehandelt.

Sein gut 1,50 mal 1,70 m großes Bild ist vielleicht nicht die passende Deko für jede Wohnzimmerwand, aber sicher eines der geheimen Highlights der diesjährigen Dorotheums-Herbstauktion. Mit buntem Witz und – aus heutiger Perspektive – metaphorischer Energie, was die rasante Darstellung des motorisierten Wahnsinns anbelangt, hat der unter dem Namen Steinwendner geborene Künstler seine Hells Angels 1978 gemalt. Der Rufpreis: 2.600 Euro, was in etwa auch dem Startpreis vieler Werke bei der heurigen Herbstauktion des Dorotheums entspricht.

Fotostrecke mit 11 Bildern

Bild „Hey!!! Rocker“ von Curt Stenvert (Steinwendner)
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Von Curt Stenvert, der sich auch als Avantgarde-Filmer einen Namen machte, steht „Hey!!! Rocker“ (1978) zum Verkauf
Bild ohne Titel von Arnulf Rainer
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Arnulf Rainer, „Ohne Titel“, 1981, Fingermalerei, Öl auf Karton, 73,2 x 102 cm
Tierpräparat „Der Wolf – als Räuber – ertarnt sich seine begehrte Beute“ (Schaf mit Wolfskopf) von Deborah Sengl
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Tierpräparat „Der Wolf – als Räuber – ertarnt sich seine begehrte Beute“ (Schaf mit Wolfskopf) von Deborah Sengl, 2007
Bild „Luzid“ von Franz Graf
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Franz Graf, „Luzid“, 10-teilig, Graphit auf transparentem Papier
Bild ohne Titel von Gottfried Mairwöger
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Gottfried Mairwöger, „Ohne Titel“, 2001, Öl auf Leinwand
Bild „Surfboard“ von Hans Weigand
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Hans Weigand, “Surfboard", 2011, Mischtechnik auf Leinwand
Bild „Karolus“ von Koloman (Kolo) Moser
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Koloman Moser , “Karolus" (Sohn des Künstlers), 1914
Bild ohne Titel von Martha Jungwirth
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Martha Jungwirth, „Ohne Titel“, 1986, schwarze Kreide auf Papier
Bild „Waldteich im Abendlicht“ von Oskar Mulley
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Oskar Mulley, „Waldteich im Abendlicht“, Öl auf Leinwand
Bild „Rabe“ von Paul Flora
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Paul Flora, “Rabe", Feder, Tusche auf Papier
Bild „ICHSITZ EWIEDI ESCHEIS SGEDUL DAUFEI NEMDE NKMAL… mutter“ von Zenita Komad
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Zenita Komad, “ICHSITZ EWIEDI ESCHEIS SGEDUL DAUFEI NEMDE NKMAL… mutter", 2009, Mischtechnik auf Zeichenkarton

Damisch mit Geißeltierchen in Orange

„Ideal für Einsteiger, moderate Preise für gute Qualität“, so nennt die Dorotheums-Pressesprecherin Doris Krumpl im ORF.at-Gespräch die Ausrichtung der Auktion, die am 28. September über die Bühne geht – online, wobei die Werke vorher zu besichtigen sind. Das bunte und hochdiverse Kunstpotpourri, das in der Auslage steht, reicht von der klassischen Moderne über die Wiener Aktionisten hin zur Art Brut; Franz Graf ist ebenso dabei wie ein Warhol-Druck oder einige Künstlerinnen jüngerer Generation wie etwa die Österreicherin Zenita Komad.

Nicht fehlen dürfen auch die ehemals „Neue Wilden“, von denen ein 1,3 mal 1,1 Meter großes Gemälde von Gunter Damisch zu den Aushängeschildern des Termins zählt: In warmen Rot- und Orangetönen gehalten, lässt der 2016 an Krebs verstorbene Maler, der viele Jahre an der Akademie der bildenden Künste in Wien unterrichtete, eine Vielzahl von stacheligen Geißeltierchen seine Leinwand bevölkern. Mit den für ihn typischen Wischungen und Auskratzungen hat der Künstler hier eine ganz eigene, flimmernd-heimelige Welt geschaffen (16.000 bis 22.000 Euro).

Bild ohne Titel von Gunter Damisch
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Eines der drei Gunter-Damisch-Bilder: „Ohne Titel“, 2004/05

Mit Herbert Brandl steht von einem anderen ehemaligen „Neuen Wilden“ eine weitere, vergleichsweise expressivere Abstraktion zur Disposition, ebenfalls in Rot- und Ockertönen (5.000 bis 8.000 Euro). Ganz anders das großformatige „Surfboard“ von Hans Weigand (3.000 bis 5.000 Euro), das mit einer fein gezeichneten Maserung ins Auge sticht, die sich vom dominierenden Weiß der Leinwand absetzt.

Der aus Tirol stammende Künstler zählt mit seinen 67 Jahren zwar zur selben Künstlergeneration, hat mit seinen unter anderem von historischen Drucken inspirierten Arbeiten aber einen ganz anderen künstlerischen Weg eingeschlagen. Der Wellenritt beschäftigt Weigand schon länger: „Surfing“ war 2015 das Leitmotiv seiner großen Einzelausstellung im 21er Haus in Wien.

Schwelle zum Kunstkauf „niedriger geworden“

„Einsteiger greifen eher zu bekannteren Namen“, fasst Krumpl beim ORF.at-Besichtigungstermin die Kauftendenzen ihres Publikums zusammen. Warum sich jemand für ein Bild entscheide, habe teils ganz triviale Gründe, wie etwa an die eigene Kindheit erinnernde Orte, meint die Dorotheums-Mitarbeiterin. Und wer sind die Käuferinnen und Käufer eigentlich? „Ganz verschieden“, in den letzten Jahren habe sich die Kundschaft diversifiziert, die Schwelle sei durch Onlineauktionen und den pandemiebedingten Trend zur Häuslichkeit „niedriger geworden“, freut sich Krumpl.

Bild „DIE LIEBE KIRCHE VON LIEBN MARIAZELL“ von August Walla
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Buntstiftzeichnung „Die liebe Kirche von liebn Mariazell“ vom Gugginger Künstler August Walla

Und: Die Käuferinnen und Käufer seien heute oft jünger. Von diesem Trend berichtet auch eine aktuelle Studie der Art Basel: Die in den 1980er und 90er Jahren geborenen Millennials hätten im ersten Halbjahr 2021 dreimal so viel für Kunst ausgegeben wie ältere Generationen, hieß es vergangenen Mittwoch bei der Eröffnung der international wichtigsten Kunstmesse.

Schwerpunkt Art Brut

Was an der diesjährigen Dorotheum-Herbstauktion speziell ist, ist, dass vergleichsweise viel Art Brut zum Verkauf steht: Vom Gesamtwerkkünstler August Walla, der alles bemalte und beschriftete, was ihm unter die Finger kam, gibt es unter anderem die Zeichnung „Die liebe Kirche von liebn Mariazell“ (2.000 bis 3.500 Euro) zu ersteigern.

Martialischer, aber ebenso farbenstark geht es in der Zeichnung „Flugzeug/Kriegsschiff“ (6.000 bis 10.000 Euro) von Wallas Gugginger Kollegen Johann Hauser zu. Mit Josef Karl Rädler bietet man auch eine historische Position an: Seine Vogelbilder im Stile des naiven Realismus, entstanden in der Nervenheilanstalt Mauer-Öhling, sind mit Text kombiniert, ein typisches Merkmal für die Frühphase der Art Brut um 1910.

Bild „Simson“ von Oskar Laske
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Oskar Laske, „Simson“, Opus 64, 1928

Mit einem originellen, vergleichsweise hochpreisigen Apokalypsebild (24.000 bis 40.000 Euro) fällt Oskar Laske in der Sektion klassische Moderne auf: In dem Gemälde „Simson“ (1928), dem die alttestamentarische Geschichte der gleichnamigen Figur zugrunde liegt, lässt Laske zerberstende Mauern und Säulen einer Tempelanlage vom Himmel fallen. Die Schreckensvision konterkarieren dabei fröhlich-naiv dreinschauende Figuren, die, ebenfalls purzelnd, nicht so recht zu wissen scheinen, wie ihnen geschieht: Der heitere Erzählstil ist typisch für das 1874 geborene Hagenbund- und Secessionsmitglied.

Zeichnungen von Kolo Moser bis Martha Jungwirth

In der Kategorie Zeichnungen seien oft die persönlichsten Arbeiten zu finden, so Krumpl beim Rundgang, „da sieht man oft, wie der Künstler so tickt“. Ein echtes Schnäppchen dürfte da eine Kreidezeichnung von Koloman Moser sein, die er 1914 von seinem ältesten Sohn anfertigte (Startpreis 500 Euro).

Auf einer Tuschezeichnung laden „Nachbarskinder“ zum Tanz, festgehalten von Carry Hauser. Mit dynamischem Strich fällt dagegen Martha Jungwirths Blatt ins Auge. Auch ihm ist die Aufmerksamkeit sicher: Jungwirth wechselte erst dieses Jahr im Alter von 81 Jahren zu Thaddäus Ropac, ein Schritt, der die große österreichische Malerin nun international bekannt machen dürfte.