Die US-Botschaft in Wien
ORF.at/Roland Winkler
„Havanna-Syndrom“

Wiener CIA-Leiter abgesetzt

Der US-Geheimdienst CIA hat offenbar den Leiter seines Büros in Wien abberufen, nachdem Kritik an dessen Management laut geworden war. Das berichtete die „Washington Post“ am Donnerstag (Ortszeit) unter Berufung auf informierte Kreise. Der CIA-Mitarbeiter soll sich der Zeitung zufolge unangemessen über Vorfälle geäußert haben, die mit der als „Havanna-Syndrom“ bekanntgewordenen mysteriösen Erkrankung von US-Diplomaten und -Diplomatinnen in Verbindung stehen.

Beschwerden wie Kopfschmerzen und Übelkeit hatten sich Medienberichten zufolge zuletzt bei US-Diplomaten in Wien gehäuft. Der CIA-Büroleiter soll sich jedoch skeptisch gegenüber der rätselhaften Krankheit gezeigt haben. Laut „Washington Post“ ist der Chefposten im CIA-Büro in Wien „einer der prestigeträchtigsten“ des US-Auslandsgeheimdienstes. Entsprechend solle mit der Abberufung des Büroleiters auch ein Zeichen an andere Topdiplomaten gesendet werden, Berichte über das Phänomen des „Havanna-Syndroms“ ernst zu nehmen, so die Zeitung weiter.

Laut Medienberichten wird in Wien nun die zweitgrößte Anzahl an Fällen außerhalb Havannas verzeichnet. Wie die „Washington Post“ berichtete, seien in Wien „Dutzende“ Personen – nicht nur Botschaftspersonal, sondern auch deren Angehörige, darunter Kinder – betroffen. Folglich sei auch der US-Einsatz in Österreich zurückgefahren worden, der Betrieb der US-Botschaft in Wien sei dadurch beeinträchtigt, berichtete ein US-Beamter, der anonym bleiben wollte.

Geheimdienstexperte: „Dramatische Eskalation“

Die US-Botschaft in Wien wollte sich auf APA-Anfrage nicht zu dem Bericht und den kolportierten Konsequenzen für den Betrieb der diplomatischen Vertretung äußern und verwies auf das Außenministerium in Washington. Dieses erklärte gegenüber der „Washington Post“, dass man den Botschaftsbetrieb oder spezifische Berichte darüber nicht kommentiere, man aber alle Berichte „extrem ernst“ nehme und sicherstelle, dass alle betroffenen Mitarbeiter die notwendige Unterstützung und Versorgung bekommen.

Sollten auch Kinder absichtlich Ziel dieser Attacken gewesen sein, sei diese eine „dramatische Eskalation“ der Causa, erklärten Geheimdienstexperten gegenüber der „Washington Post“. Die Zeitschrift „The New Yorker“ hatte Ende Juli vom „Havanna-Syndrom“ in Wien zum ersten Mal berichtet. Damals war von etwa zwei Dutzend US-Geheimdienstmitarbeitern, -Diplomaten und anderen US-Regierungsbeamten, aber nicht von Kindern die Rede.

USA tappen völlig im Dunkeln

Seit das Syndrom 2016 erstmals in der kubanischen Hauptstadt Havanna aufgetreten war, haben weltweit Dutzende Diplomaten darüber geklagt. Nach Angaben der CIA waren rund 200 Vertreter und Vertreterinnen der USA am „Havanna-Syndrom“ erkrankt. Die USA mutmaßen, dass die Betroffenen mit Funkfrequenzen angegriffen worden seien und dass Russland hinter den Attacken stecke. Die Regierung in Moskau weist das zurück.

Im Jahr 2019 schrieben Forscher, dass die Beschwerden möglicherweise auf Pestizide zurückgehen. Andere Theorien sprachen von Mikrowellenstrahlung feindlicher Geheimdienste und von Akustikattacken. Einige Experten glauben allerdings auch, dass die mysteriöse Erkrankung psychische Ursachen haben könnte, und führen diese auf das stressintensive Arbeitsumfeld zurück.

Die genaue Ursache ist aber weiterhin unklar. Trotz vier Jahren umfassender Ermittlungen konnte die US-Regierung bisher keine klaren Gründe für die Häufung der Erkrankungen und Beschwerden finden. Man wisse nicht, ob es sich bei diesen Vorfällen um eine Art Angriff handle oder was dahinterstecke, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, Ende Juli.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris kommt am 24. August 2021 am Flughafen in Hanoi an
APA/AFP/Evelyn Hockstein
Ein Flug von US-Vizepräsidentin Kamala Harris verzögerte sich wegen eines mutmaßlichen Auftritts des Syndroms

Harris-Flug verzögerte sich wegen Syndroms

Das „Havanna-Syndrom“ zeitigt auch direktere Auswirkungen auf die US-Regierung. So wurde Ende August die Reise von US-Vizepräsidentin Kamala Harris nach Vietnam wegen des Verdachts auf das „Havanna-Syndrom“ um drei Stunden verzögert. Das Büro von Harris sei über einen „anomalen gesundheitlichen Zwischenfall“ in Hanoi informiert worden, teilte die dortige US-Botschaft damals mit.

Details wurden nicht genannt. Mit der zitierten Formulierung nehmen die US-Behörden üblicherweise auf das „Havanna-Syndrom“ Bezug. „Nach sorgfältiger Abwägung sei die Entscheidung getroffen worden, die Reise der Vizepräsidentin fortzusetzen“, teilte die Botschaft dann mit. Harris befand sich auf ihrer Antrittsreise in mehrere asiatische Länder und wurde in Singapur über den Vorfall in Hanoi informiert.

Während eines Besuchs von CIA-Direktor William Burns in Indien Anfang September begab sich ein Beamter in seinem Gefolge laut „Washington Post“ wegen entsprechender Symptome in ärztliche Behandlung.

Verdachtsfälle auch in Deutschland

Auch aus Deutschland wurde der Verdacht auf das Syndrom gemeldet. Mindestens zwei US-Diplomaten sollen Medienberichten zufolge gesundheitliche Beschwerden gemeldet haben, die auf das „Havanna-Syndrom“ hindeuten, hatten der „Spiegel“ und das „Wall Street Journal“ Mitte August unisono gemeldet. Das „Wall Street Journal“ berief sich dabei auf namentlich nicht genannte US-Diplomaten und nannte als Symptome die mit dem Syndrom assoziierten, unter anderem Schwindel, schwere Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen, Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Trägheit.

Ein Sprecher des Außenministeriums sagte, Fälle mysteriöser gesundheitlicher Beschwerden von US-Diplomaten seien eine Priorität für US-Außenminister Antony Blinken. Es gebe nichts, was das Ministerium ernster nehme als die Gesundheit seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, wurde auch damals erneut betont.