Bundeskanzler Sebastian Kurz
ORF.at/Lukas Krummholz
Ermittlung gegen Kurz

Befragungsprotokoll sorgt für Aufsehen

Nach der Befragung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) durch einen Richter wegen des Verdachts auf Falschaussage im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss hat das 151-seitige Einvernahmeprotokoll den Weg an die Medien gefunden – auch der ZIB liegt das Protokoll seit Freitag vor. Schwere Kritik an Kurz kam am Samstag nun in Reaktion darauf seitens der Opposition.

Kurz sei „hochnervös“ und reite sogar bei seiner Einvernahme Attacken gegen die Justiz, empörte sich SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch am Samstag in einer Aussendung. Der FPÖ-Mandatar und Fraktionsführer im „Ibiza“-U-Ausschuss, Christian Hafenecker, erkannte ein „Sittenbild“ und „Ablenkungsversuche“, und auch NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos übte Kritik und attestierte Kurz „fehlenden Respekt vor Institutionen“.

Auch die ÖVP kommentierte die veröffentlichten Inhalte der Vernehmung: Der ÖVP-Fraktionsführer im „Ibiza“-U-Ausschuss, Andreas Hanger, äußerte in einer Aussendung die Ansicht, Kurz habe „alle falschen Vorwürfe (…) entkräften“ können.

Aufregung um Befragung von Kurz

Nach der Befragung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) durch einen Richter wegen des Verdachts auf Falschaussage im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss hat das 151-seitige Einvernahmeprotokoll den Weg an die Medien gefunden – auch der „ZIB“ liegt das Protokoll seit Freitag vor.

Verdacht auf Falschaussage im U-Ausschuss

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt nach einer Anzeige gegen Kurz wegen des Verdachts auf Falschaussage im „Ibiza“-U-Ausschuss. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie intensiv Kurz unter Türkis-Blau in die Reform der Staatsholding ÖBAG involviert war.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als Auskunftsperson im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
ORF.at/Peter Pfeiffer
Kurz bei seiner ersten Befragung im U-Ausschuss

Bei seiner Befragung im Ausschuss hatte der Kanzler seine Rolle bei der Auswahl des Aufsichtsrats sowie bei der Bestellung des umstrittenen Ex-ÖBAG-Chefs Thomas Schmid heruntergespielt und sinngemäß von normalen Vorgängen gesprochen. Später aufgetauchte Chatprotokolle legten allerdings eine enge Abstimmung zwischen Schmid und Kurz nahe.

Kurz wurde bereits am 3. September einvernommen, publik wurde das allerdings erst Mitte dieser Woche. Dass die Befragung durch einen Richter und nicht durch die WKStA erfolgte, mit der die ÖVP seit Längerem im Clinch liegt, war ein Anliegen von Kurz’ Anwalt Werner Suppan gewesen. Im Juli hatte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) entsprechend entschieden – „ausschließlich aus rechtlichen Erwägungen“, wie betont wurde.

„Ich bin kein Vollidiot“

In dem nun an mehrere Medien – darunter auch die ZIB2 sowie „Kronen Zeitung“, „Kurier“ und „Standard“ – gespielten Einvernahmeprotokoll der rund sechsstündigen Befragung (mit vier Pausen von 13.00 bis 19.20 Uhr) weist Kurz wie bereits auch öffentlich mehrfach jegliche Falschaussage von sich. „Ich weiß nicht, wie Sie mich einschätzen, aber ich bin kein Vollidiot. Wenn ich weiß, dass Sie alle SMS haben, wäre es ja absurd, etwas davon Abweichendes zu sagen, wohl wissend, dass das innerhalb von kürzester Zeit auffallen muss“, sagte Kurz etwa zum Richter.

Im Verlauf der Befragung reagierte Kurz mehrmals gereizt und musste vom Richter wiederholt eingebremst werden. Fragen des ebenfalls anwesenden Staatsanwaltes der WKStA wollte Kurz nicht beantworten: „Das funktioniert nicht so gut zwischen uns.“ Wie das auch der APA vorliegende Einvernahmeprotokoll zeigt, interessierte sich der Staatsanwalt unter anderem für türkis-blaue Personalabsprachen in der Staatswirtschaft.

Archivbild von Thomas Schmid, damaliger Vorstand der ÖBAG, aus dem Jahr 2020
APA/Hans Punz
Die Bestellung Schmids war zentrales Thema bei der Befragung

In vier Blöcke aufgeteilt

Der Richter hatte die Befragung in vier Blöcke aufgeteilt. Zuerst wurden die drei inhaltlichen Themen abgearbeitet – also die Vorbereitung der ÖBAG-Reform, die Auswahl der Aufsichtsräte und die Bestellung Schmids zum Alleinvorstand der Staatsholding. Danach kamen Kurz’ Aussagen im Untersuchungsausschuss zur Sprache.

Die bei Schmid sichergestellten Chats legen insbesondere über die Auswahl der ÖBAG-Aufsichtsräte eine enge Abstimmung mit Kurz nahe: Einmal bittet Schmid den Kanzler um Gesprächstermine, ein anderes Mal ist davon die Rede, dass Kurz entweder informiert wurde oder vor Entscheidungen informiert werden musste. Kurz betonte, das im Ausschuss gar nicht abgestritten zu haben: „Ich habe auf die Frage, ob ich eingebunden war, mit ‚Ja‘ geantwortet.“ Aber entschieden habe Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP).

Kurz: Schmid wollte Job „möglichst machtvoll“ anlegen

Was die Bestellung Schmids zum Chef der Staatsholding angeht, beharrte Kurz darauf, nur „eingebunden im Sinne von informiert“ gewesen zu sein. Auch das berühmte „kriegst eh alles was du willst“, das Kurz zwei Wochen vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung an Schmid textete, will der Kanzler nicht als Unterstützung verstanden wissen.

Schmid habe damals versucht, seinen Job „möglichst machtvoll“ auszugestalten, erläuterte Kurz dem Richter, und die (mit drei Küsschen versehene, Anm.) Nachricht habe signalisieren wollen: „Jetzt krieg einmal den Hals voll.“ Und überhaupt betonte Kurz, hätte er seine Rolle bei dessen Bestellung herunterspielen wollen, dann hätte er gar nicht erst bestätigt, mit Schmid befreundet zu sein und ihn für qualifiziert gehalten zu haben.

Ärger etwa wegen Markierung belastender Passagen

Mit dem Staatsanwalt, der der Einvernahme über weite Strecken kommentarlos folgte, geriet Kurz gleich mehrmals aneinander. Einmal ärgerte sich der Kanzler, weil in den Unterlagen lediglich belastende und keine entlastenden Passagen markiert waren, und kreidete das der WKStA an. Tatsächlich hatte die Markierungen der Richter vorgenommen, um die Vorwürfe nachzeichnen zu können, wie er erklärte.

An anderer Stelle echauffierte sich Kurz so lange über eine politische Fehleinschätzung der Ermittler, dass der Richter darum bat, „mit dem Sprachgebrauch sich ein bisschen einzuschränken“. Und als der Staatsanwalt zum Ende der Einvernahme bei einer ihm unklaren Antwort nachfragte, reagierte Kurz gereizt: „Sie drehen mir schon wieder jedes Wort im Mund um, das ist ja unglaublich.“ Worauf der Richter den Kollegen in Schutz nahm: „Ich habe jetzt kein Wortumdrehen wahrgenommen.“

WKStA-Interesse an „Sideletter“ und Siegfried Wolf

Unter anderem interessierte sich der Staatsanwalt dafür, warum der von Kurz ins Spiel gebrachte Industrielle Siegfried Wolf nicht ÖBAG-Aufsichtsratschef wurde (was Kurz nicht mehr wusste). Außerdem fragte der Staatsanwalt nach einem Sideletter zur Personalpolitik der türkis-blauen Regierung. Kurz hatte zuvor gemeint, dass wichtige Personalfragen wie die Nominierung des VfGH-Präsidenten und des österreichischen EU-Kommissars bei den Koalitionsverhandlungen geklärt worden seien.

Vereinbart worden sei auch, dass die Infrastruktur der „Sphäre“ der FPÖ zugeschlagen wurde und die sonstigen Beteiligungen der „ÖVP-Sphäre“. Von einer darüber hinausgehenden Vereinbarung über detaillierte Postenbesetzungen – geschlossen zwischen Schmid und FPÖ-Mann Arnold Schiefer – habe er aber nichts gewusst, betonte Kurz. Als der Staatsanwalt zum Ende der Einvernahme nachfragen wollte, ob die türkis-blauen Personalabsprachen auch schriftlich fixiert wurden, brach Kurz die Befragung schließlich ab: „Aber ich würde jetzt gerne wirklich einen Punkt machen. Das funktioniert nicht so gut zwischen uns.“

SPÖ: „Einvernahme für Kurz katastrophal verlaufen“

„Die Einvernahme ist für Kurz katastrophal verlaufen“, schlussfolgerte SPÖ-Manager Deutsch. „Der beschuldigte Kanzler war bei der richterlichen Einvernahme im Wiener Landesgericht für Strafsachen sehr emotional und aggressiv gegen den Richter und den anwesenden Staatsanwalt.“ Eine Falschaussage sei kein Kavaliersdelikt, sondern ein schweres Vergehen, bekräftigte Deutsch.

„Mit Kopfschütteln“ reagierte FPÖ-Mandatar Hafenecker: Es zeige sich einmal mehr „das Sittenbild einer durch und durch verlotterten türkisen ‚Familie‘“. Kurz solle damit aufhören, „semantische Ablenkungsversuche zu betreiben“, meinte Hafenecker in einer Aussendung, „er soll endlich die Konsequenzen ziehen und zugeben, dass er das Parlament belogen hat“. Die Einvernahme des Kanzlers sei offenbar „die für ihn so charakteristische Mischung aus Überheblichkeit und Wehleidigkeit gewesen“, resümiert Hafenecker. Die ÖVP habe ganz offensichtlich ein wirklich krasses Problem mit einer funktionierenden Justiz, die lediglich ihre Arbeit mache.

NEOS ortet „fehlenden Respekt“

Auch NEOS-Generalsekretär Hoyos befand in einer Aussendung, dass die Einvernahme „einmal mehr Kurz’ fehlenden Respekt vor den Institutionen, aber keinen Willen zur Aufklärung“ zeige. Als Beschuldigtem stünden Kurz selbstverständlich alle Rechte zu, die auch allen anderen Beschuldigten in einem Rechtsstaat zustehen, betonte Hoyos. „Aber als Kanzler ist er dringend aufgefordert, nicht noch weiter auf Zeit zu spielen und alles zu verzögern.“ Den Staatsanwalt „respektlos zu behandeln und seine Fragen nicht zu beantworten trägt nicht zur raschen Aufklärung bei“, meint Hoyos.

Hanger sieht „Beschuldigungen in Luft aufgelöst“

ÖVP-Mandatar Hanger teilte per Aussendung mit, Kurz habe „in seiner Einvernahme vor einem Richter alle falschen Vorwürfe der WKStA entkräften“ können. Damit hätten sich auch alle „ungerechtfertigten Beschuldigungen, die die WKStA nach einer Anzeige der NEOS erhoben hatte, in Luft aufgelöst“.

Die Protokolle der Einvernahme des Bundeskanzlers

Wie intensiv war Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unter der ÖVP-FPÖ-Regierung in die Reform der Staatsholding ÖBAG und der Bestellung ihres mittlerweile ehemaligen Chefs Thomas Schmid involviert? Nach einer Anzeige von NEOS wurden Ermittlungen gegen den Kanzler geführt. Kurz wurde Anfang September befragt. Der ZIB2 liegen die Protokolle vor.

„Nicht die geringste Absicht“ zu Falschaussage

Bereits am Mittwoch hatte es in einem Statement von Kurz geheißen: „Ich bin froh, nach Monaten falscher Vorwürfe Anfang September mehrere Stunden die Möglichkeit gehabt zu haben, vor einem Richter zu den falschen Vorwürfen, die aufgrund einer Anzeige durch die NEOS gegen mich erhoben wurden, Stellung zu nehmen.“

In einer fünfseitigen schriftlichen Stellungnahme, die laut einem Sprecher des Kanzlers in Ergänzung zur mündlichen Aussage eingebracht wurde, wurde von Kurz erneut betont, dass seine Aussagen vor dem U-Ausschuss am 24. Juni 2020 „durchwegs meinem damaligen Wissens- und Erinnerungsstand“ entsprochen hätten: „Ich hatte nicht die geringste Absicht, vor dem Untersuchungsausschuss falsche Aussagen zu machen, und habe dies in Bezug auf meine damaligen Erinnerungen auch nicht getan. Auch nach mehrmaligem Studium der Vorwürfe und Unterlagen zeigt sich für mich, dass meine Aussagen zutreffend waren.“