Lastwagen in Cobham, Großbritannien
Reuters/Peter Cziborra
Versorgungsmängel

Briten wollen Lkw-Fahrer ins Land locken

Mit Tausenden Arbeitsvisa für ausländische Lastwagenfahrer will die britische Regierung die Versorgungsmängel beheben und auch noch das Weihnachtsfest retten. Wie das Verkehrsministerium in London in der Nacht auf Sonntag ankündigte, sollen von Oktober an und bis Weihnachten insgesamt 10.500 Spezialisten ins Land geholt werden. Doch das scheint zu wenig – so die Kritik aus der Wirtschaft.

Unter den 10.500 Spezialisten sind außer bis zu 5.000 Lkw-Fahrern auch 5.500 Facharbeiter für die Geflügelverarbeitung. Verkehrsminister Grant Shapps sagte, die Ausnahmegenehmigung solle „sicherstellen, dass die Vorbereitungen für die Weihnachtszeit im Plan bleiben“. „Nach sehr schwierigen 18 Monaten weiß ich, wie wichtig dieses Weihnachtsfest für uns alle ist, und deshalb unternehmen wir diese Schritte zum frühestmöglichen Zeitpunkt, um sicherzustellen, dass die Vorbereitungen auf Kurs bleiben“, sagte Shapps. Wirtschaftsvertreter reagierten prompt, aber skeptisch auf die Ankündigung.

Seit Wochen leidet die britische Wirtschaft unter erheblichen Lieferproblemen – denn dem Land fehlen bis zu 100.000 Lastwagenfahrer. Ein Grund dafür sind die schärferen Einwanderungsregeln seit dem Brexit. Nun wurden Sorgen laut, dass Lebensmittel für das Weihnachtsessen und Spielzeuge als Geschenke knapp werden könnten.

Supermarktkund vor leerem Regal in Harpenden,  Großbritannien
Reuters/Peter Cziborra
Die Regale in den Supermärkten sind teils leer

Lange Schlagen vor Tankstellen

Den Ausschlag für die Kehrtwende der Regierung, die bis vor Kurzem noch Visaausnahmen für Ausländer abgelehnt hatte, brachten offensichtlich Bilder von langen Schlangen an Tankstellen. Wegen der Lieferprobleme konnten Energiekonzerne Dutzende Tankstellen nicht mit Benzin und Diesel beliefern.

PKW-Warteschlange vor einer Tankstelle in London
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
Lange Schlangen vor Tankstellen

Shapps machte einen Logistikverband für Panikkäufe an Tankstellen verantwortlich. Es handle sich um eine „künstlich herbeigeführte Situation“, sagte Shapps am Sonntag dem Sender Sky News. Ein Transportverband habe die Medien mit Informationen über ein nicht öffentliches Treffen gefüttert. „Das hat, wie zu sehen ist, für ziemlich viel Besorgnis geführt, da die Menschen natürlich auf diese Dinge reagieren“, sagte Shapps.

Verband: 100.000 Fahrer benötigt

Er nannte den Verband nicht namentlich, aus Regierungskreisen wurde aber auf den größten Logistikverband Road Haulage Association (RHA) gedeutet, der seit Wochen schnelle Maßnahmen gegen einen eklatanten Lastwagenfahrermangel fordert. RHA schätzt, dass etwa 100.000 Fahrer benötigt werden. Shapps versuchte, die Bevölkerung zu beruhigen. „Die gute Nachricht ist, es gibt ausreichend Kraftstoff. Die schlechte Nachricht ist, dass wir weiterhin Schlangen (an Tankstellen) sehen werden, wenn alle weiterhin tanken, obwohl sie nicht müssen.“ Er forderte die Autofahrer auf, Maß zu halten und vernünftig zu bleiben.

Geschlossene Tankstelle in Südengland
APA/AFP/Ben Stansall
In Großbritannien schlossen erste Tankstellen wegen Versorgungsengpässen

Vertreter der Logistikbranche sowie der Nahrungsmittelindustrie begrüßten die Regierungspläne für Visa für Lkw-Fahrer. Zugleich machten sie deutlich, dass die insgesamt 10.500 Fachkräfte nicht ausreichten. Allein die Supermärkte benötigten mindestens 15.000 Lkw-Fahrer, damit die Geschäfte vor Weihnachten mit voller Kapazität arbeiten und Störungen oder Lieferprobleme vermieden werden, sagte Andrew Opie vom Einzelhandelsverband British Retail Consortium. Auch die Präsidentin der Britischen Handelskammer, Ruby McGregor-Smith, kritisierte, die Maßnahmen reichten bei Weitem nicht aus. „Das ist, als ob man ein Lagerfeuer mit einem Fingerhut Wasser löschen will“, sagte sie.

Lastwagen in Staffordshire, Großbritannien
Reuters/Carl Recine
Nicht genutzte Lastwagen auf einem Parkplatz, hier in Staffordshire

Auch weitere Maßnahmen gesetzt

Das Verkehrsministerium betonte, der Import von Arbeitskräften stelle keine nachhaltige Lösung des Problems dar. Helfen soll vielmehr ein Maßnahmenpaket. So ist vorgesehen, dass Fahrlehrer der Armee dabei helfen, den enormen Rückstau an Fahrprüfungen aufzuarbeiten, der auch durch die CoV-Pandemie entstanden ist. Zudem werden rund eine Million Briefe an ehemalige Lastwagenfahrer verschickt, um sie von einer Rückkehr in den Beruf zu überzeugen. Geworben werden soll mit höheren Löhnen, fixen Arbeitszeiten und besseren Arbeitsbedingungen. Auch kostenlose Umschulungen werden angeboten. Insgesamt sollen 50.000 Fahrprüfungen pro Jahr zusätzlich möglich werden.

Während Wirtschaftsvertreter einräumen, dass der Brexit ein Grund für die angespannte Lage ist, weist die Regierung einen Zusammenhang zurück. Die Pandemie habe die Situation verschärft, sagte Minister Shapps. Zuvor habe es in Großbritannien allerdings bereits Probleme gegeben. Shapps nannte eine alternde Belegschaft, niedrige Löhne und schlechte Bedingungen auf Autohöfen.