Bild-Zeitung von Montag mit Kanzlerduell
Reuters/Andreas Gebert
Scholz gegen Laschet

Das Wettrennen in der K-Frage

Schlag 18.00 Uhr waren die Festlegungen des Wahlkampfs vergessen. Nur wer Erster würde, hätte den Auftrag zur Regierungsbildung, hatte CSU-Chef Markus Söder gefordert. Diese Ansagen waren rasch vergessen. Jetzt gelte es, die beste Regierung für das Land zu bilden, verkündete die Union. Und so stellen erstmals in Deutschland zwei Personen zugleich den Anspruch, eine Bundesregierung zu führen: der erstplatzierte Olaf Scholz (SPD) wie auch Armin Laschet (CDU), der ohne K-Ansage wohl rasch das Feld hätte räumen müssen. Nun liegt alles an Grünen und FDP.

Eine Dreierkoalition ist in Deutschland historisch nicht einmalig. Diese Situation habe es bereits 1949 gegeben, erinnerte der Politologe Karl-Rudolf Korte im ZDF. Einmalig ist freilich, dass in Deutschland gleich zwei Parteiführer den Kanzleranspruch stellen. Was demokratisch legitim ist, freilich nicht immer den Versprechungen vor der Wahl entspricht.

Für die Union hatte ja der unterlegene innerparteiliche Kandidat, Bayerns Ministerpräsident Söder von der CSU die Losung ausgegeben, dass man bei einer Wahl auf Sieg spiele – und nur der Gewinner auch den Kanzleranspruch stellen könne. Doch die CSU hat auch ihren Anteil am historisch schlechtesten Ergebnis der Union bei einer Bundestagswahl. In Bayern holte die Schwesterpartei der CDU gerade einmal 33 Prozent der Stimmen – für die Christsozialen im Süden alles andere als stark. Auch am Gesamtergebnis der Union trägt sie gerade einmal fünf Prozent bei.

Analyse: Wahlkampf der Parteien

Kopf-an-Kopf-Rennen nach der Bundestagswahl in Deutschland. Laut Hochrechnungen führt die SPD knapp vor der Union. Erst recht noch offen ist, welche Koalition künftig die Regierung bilden wird. Zu Gast: der SPD-Berater Frank Stauss, der Laschet-Biograf Moritz Küpper und die „taz“-Chefredakteurin Barbara Junge.

Rasch für neuen Spin

Paul Ziemiak, der Generalsekretär der CDU, hatte es entsprechend eilig, am Wahlabend den neuen Spin zu etablieren: jetzt die beste, stabile Regierung für das Land zu schaffen, im Wissen, dass sich die Deutschen vor allem nach Stabilität sehnten. Ziemiak meinte damit freilich nicht die „GroKo“, sondern das „Jamaika-Bündnis“ aus Union, Grünen und FDP.

Spitzenkandidat Armin Laschet legte im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel schon vor 19.00 Uhr nach und sprach von einem Ergebnis, mit dem „wir nicht zufrieden sein können“ – fügte aber rasch hinzu: „Wir haben einen klaren Auftrag erhalten, dass eine Stimme der Union eine Stimme gegen eine links geführte Bundesregierung ist. Deshalb werden wir alles daransetzen, eine Bundesregierung unter der Führung der Union zu stellen. Wir brauchen eine Zukunftskoalition. Koalition für eine bessere Welt. Dafür werde ich ab jetzt arbeiten.“

Kandidaten bei der ersten TV-Debatte nach der Wahl
Reuters/Sebastian Gollnow
„Berliner Runde“ mit der Frage nach der Kanzler-Perspektive

Laschet muss schnell für Klarheit sorgen

Dass Laschet es eilig hatte, die Marschrichtung anzusagen, liegt wohl an seiner eigenen prekären Situation. Nur mit der klaren Flucht nach vorn kann er die interne Debatte im Zaum halten. Sein Vorteil: Der stets neben Laschet großspurig ankündigende Söder hat an diesem Wahlabend auch nicht geliefert. Auch CSU-Generalsekretär Markus Blume bediente sich vieler Ausweichphrasen, die zwar eine gewisse Enttäuschung einräumten, aber rasch in Richtung einer „Jetzt Stabilität“-Losung zielten.

Koalitionsvarianten nach der Wahl in Deutschland
Grafik: ORF.at
Deutsche Koalitionsvarianten – wobei beim „Deutschland-Bündnis“ und „Kenia“ auch eine Zweierkoalition möglich wäre. Womit diese Varianten eher Kür als Option sind.

Der Wahlgewinner Scholz war deutlich gelassener und ruhiger, als er eine halbe Stunde später im Willi-Brandt-Haus vor seine Partei trat. Dass die SPD auf Platz eins landete und stark zulegen konnte, das hätte sich die vor sich hin siechende Partei nicht zugetraut. Als Begleitmusik gab es einen klaren Wahlsieg bei der Landeswahl in Mecklenburg-Vorpommern und eine Trendwende bei der Berlin-Wahl mit einem Gerade-noch-Platz-eins trotz Plagiatsaffäre der Spitzenkandidatin. Scholz machte es ruhig und klar. Auch er wolle eine Regierungskoalition anführen, richtete er nicht nur seinen Parteifreunden aus. „Deutschland braucht eine pragmatische Regierung“, so Scholz in der „Berliner Runde“ am Abend – und Deutschland brauche die Regierung rasch.

Ball liegt bei Grünen und FDP

Der Ball liegt jetzt bei den Grünen und der FPD. Und möglicherweise lehnt sich das Schicksal eine Spur mehr in Richtung Laschet und „Jamaika“, weil sich die FPD stets sehr klar wenn für eine unionsgeführte Regierung ausgesprochen hatte und sehr wenig Lust zeigte, ins dirigistische Fahrwasser von Rot und Grün zu steigen, um die Ampel zu ermöglichen. „Die Frage ist schlicht, wer fällt als Erster um“, skizzierte Korte die Sondierungslage uncharmant.

Die Grünen jedenfalls ließen in Gestalt von Koparteichef Robert Habeck rasch ausrichten, dass sie nicht nur mit dem Erstplatzierten, sondern „natürlich“ ebenso mit der Union reden würden. „Die Frage ist, welche Regierung zurzeit passt“, richtete Habeck aus und ließ damit alle Interpretationen offen. Der Spagat scheint bei „Jamaika“ jedenfalls leichter als bei der „Ampel“. Insofern könnte der Wahlgewinner nicht der sein, der auf dem ersten Platz liegt, sondern schneller seine Koalitionsarche gezimmert hat.

Alles war eigentlich schon da

„Jamaika“ hätte es zwar schon in der letzten Legislaturperiode geben können. Damals sagte FDP-Chef Christian Lindner Nein, und Deutschland bekam nach endlosen Verhandlungszeiten die Neuauflage der angeblich so ungeliebten Großen Koalition. Lindner ließ sich in allen Talkshows vor der Wahl jedenfalls als Finanzminister in spe hofieren – analysierte durchaus schon in der Amtsherrenart. Doch Wolfgang Kubicki, stets der Erste, wenn es für die Freidemokraten etwas zu sagen gibt, legte um 18.10 Uhr am Wahlabend die Rute rasch ins Fenster: „Lieber nicht mitregieren als schlecht mitregieren.“

Grüne und FDP werden ihren Preis hochtrieben. Es wird vor allem die Abstimmung zwischen den Emissären dieser beiden Parteien liegen, wie Koalitionsverhandlungen ausgehen. Viele, die jetzt in Berlin verhandeln, stammen aus den Ländern. Und dort hat man hinreichende Erfahrungen mit allen nun diskutierten Dreierbündnissen.

„Eigentlich müssen FDP und Grüne miteinander reden“

„Vielleicht müssen zunächst einmal die FDP und die Grünen miteinander reden“, so FDP-Chef Lindner in der „Berliner Runde“. Das sei für den Moment entscheidender als der Umstand, dass ein Parteichef von CDU oder SPD alle durchtelefoniere. Diese Sicht stützte auch die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock: „Die Zeit, wo einer, der Kanzler werden will und dann alle durchtelefoniert, ist vorbei. Die Herausforderungen gehen ja nicht weg, weil wir gerade eine Wahl hatten.“

Aus der Mitte des Bundestags müsse die Regierung entstehen – diese Losung machte Laschet am Abend erneut stark. Dass nicht der Erstplatzierte den Kanzler stellen muss, hat auch schon die Geschichte der BRD belegt.