Das Kunstwerk „Concert for Anarchy“ (1990).
Attilio Maranzano
Rebecca-Horn-Schau

Den Dingen Gefühle entlocken

Zuletzt war Rebecca Horns verkehrt hängender Flügel bei der Beethoven-Schau im Kunsthistorischen Museum (KHM) zu sehen, nun ist er wieder in Wien zu Gast – diesmal aber in Gesellschaft eines Querschnitts durch das Werk der Künstlerin im Wiener Kunstforum. Bei aller Vielschichtigkeit zeigt die Retrospektive vor allem eines: Horn spielt gerade mit ihren Installationen gekonnt auf der Klaviatur der Emotionen.

Bei aller Vielfältigkeit ihres Schaffens ist Horn vor allem wegen ihrer Installationen ein Begriff. Ganz gleich, ob man an den zehn Meter hohen vor sich hin rostendenden „Turm der Erinnerung“ am Strand Barcelonas oder an ihre Installation „Konzert für Buchenwald“ in Weimar, in der stumme Musikinstrumente die Abwesenheit der Opfer des Holocaust eindringlich markieren, denkt.

Die Schau im Kunstforum – die erste große in Österreich zu sehende Personale Horns seit über 30 Jahren – bietet einen kondensierten Überblick über das Schaffen der 1944 in Michelstadt im Odenwald geborenen Großkünstlerin und legt den Fokus dabei auf die Vielfältigkeit ihrer Ausdrucksmittel.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Ausstellungsansicht Rebecca Horn, Bank Austria Kunstforum 2021.
Bank Austria Kunstforum Wien/Gregor Titze
Bei „Concerto dei Sospiri“ für die Biennale di Venezia 1997 verwendete Horn Baumaterialien von zerfallenen venezianischen Häusern
Ausstellungsansicht Rebecca Horn, Bank Austria Kunstforum 2021.
Bank Austria Kunstforum Wien/Gregor Titze
In „High Moon“ drehen sich zwei Winchester-Gewehre im Raum, die Blutspur auf dem Boden lässt Übles erahnen
Die Fotografie „Handschuhfinger“ (1972) von Rebecca Horn.
Sammlung Rebecca Horn
„Handschuhfinger“ (1972), aus der Schaffensphase, in der Horn mit Körperprothesen experimentierte
Die Fotografie „Einhorn“ 1970 von Rebecca Horn.
Sammlung Rebecca Horn
Still aus dem 12-minütigem Super-8-Film „Einhorn“, 1970
Filmstill „Bleistiftmaske“ (1972) von Rebecca Horn.
Sammlung Rebecca Horn
Filmstill aus „Bleistiftmaske“ (1972)
Ausstellungsansicht Rebecca Horn, Bank Austria Kunstforum 2021.
Bank Austria Kunstforum Wien/Gregor Titze
Ausstellungsansicht: Im Vordergrund wuchern die kupfernen Trichter von „Concerto dei Sospiri“, im Hintergrund speit der von „Songs of Anarchy“ seine Tasten aus
Filmstill aus „Buster’s Bedroom“ (1990) von Rebecca Horn.
Sammlung Rebecca Horn
Filmstill aus dem Spielfilm „Buster’s Bedroom“

Konzert der Stimmungen

Bereits der erste Saal der am Dienstag eröffneten Ausstellung im Kunstforum wird von ihrer riesigen Arbeit "Concerto dei Sospiri (deutsch: „Konzert der Seufzer“) beherrscht: eine Anhäufung von Baupaletten und schwarzem Tuch, durchsetzt von Mauerresten und Trichtern aus Kupfer, die sich wie eine enorme Pflanze durch das Gebilde winden.

Erst nach und nach entfaltet die Installation ihre Wirkung: Stimmen murmeln einen Text, beim Umrunden strahlt das Objekt eine diffuse Melancholie aus – ein Gefühl, das in Horns Werk einen festen Platz zugewiesen bekommt. Überhaupt beeindruckt, wie viele Emotionen in den Arbeiten mitschwingen – Horn erzeugt Stimmungen, ohne dass deren Auslöser genau zu benennen wäre.

Melancholische Maschinen

Gleich um die Ecke befindet sich Horns berühmtes Klavier: „Concert for Anarchy“ (1990), von dem sich eine weitere Version in der Sammlung der Londoner Tate befindet, ist einer von Horns Automaten, die die Ausstellung beleben. Ständig setzt sich eines der Objekte in Bewegung.

Das über Kopf hängende Klavier speit seine Tasten begleitet von dissonanten Tönen hervor, gegenüber klappern mit „Blue Monday Strip“ (1993) die an Stahlrohren hängenden antiken Schreibmaschinen der Arbeit.

Ausstellungseröffnung Rebecca Horn
Leisure Communications Christian Jobst
Die Schreibmaschinen in „Blue Monday Strip"(1993) tippen für sich selbst, zeigen eine Welt der Dinge, in der die Menschen fehlen

Es sind melancholische Maschinen, die vor sich hin rattern und von außen zwecklos und rätselhaft scheinen. Letztlich sind sie aber vor allem eines: Zeugen der Abwesenheit der Menschen, etwa einer Klavierspielerin oder eines Schreibenden, und das macht die unterschwellige Traurigkeit dieser Objekte aus.

Bezugsreiche Objekte

Zwischen Klavier und Schreibmaschinen öffnet und schließt eine Vorrichtung drei Franz-Kafka-Bände, die auf Glasschaukästen mit Eisenrahmung thronen. Darin finden sich einzelne Gegenstände, ein Paar Männerschuhe, ein Aktenkoffer, ein Regenschirm.

Auch ohne den Titel dieses „Kafka-Zyklus“ (1994) zu kennen, fühlt man sich an Kafkas literarischen Kosmos erinnert. Etwa an die Verwunderung des plötzlich mit einer undurchsichtigen Anklage konfrontierten Protagonisten K. im Prozess oder die Frustration des gleichnamigen Landvermessers in „Das Schloß“.

Ausstellungsansicht Rebecca Horn, Bank Austria Kunstforum 2021.
Bank Austria Kunstforum Wien/Gregor Titze
Stahlstäbe, die Türen durchschneiden – für Horn eine Metapher für den Umgang mit Vergangenheit

Gerade das macht Horns Schaffen aus: Wer mögliche Bezüge mitdenkt, bekommt von ihr einen Kommentar auf Weltliteratur, Geschichte und ästhetische Programme vom Surrealismus über die Arte Povera serviert. Dabei brauchen die Objekte diese Bezüge gar nicht, um zu wirken. Sie transportieren ihre Bedeutung über Stimmungen, sind zugleich uneitel und vielschichtig.

Kondensierter Überblick

Dokumentationen früher Performances und Filmarbeiten machen die Schaffensphase nachvollziehbar, in der Horn begann, den Körper auf verschiedene Arten in die umgebende Welt zu verlängern. Etwa mit ihren „Handschuhfingern“ (1970) und „Einhorn“ (1972), einem frühen Super-8-Film, in dem eine nackte Frau mit einem langen weißen Horn auf dem Kopf zu sehen ist.

Ausstellungshinweis

„Rebecca Horn“ ist im Kunstforum Wien bis zum 23.01.2022 täglich von 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr, freitags bis 21.00 Uhr zu sehen.

Diese Werke kann man als Gegenstücke zu den Installationen lesen, in denen keine Körper mehr vorhanden sind, menschliche Gefühle aber in den Gegenständen lebendig werden. So ist eine der schönsten Arbeiten der Schau „Straussenei von Blitz durchdrungen“ (1995), ein Sinnbild für ein Lebensgefühl zwischen Komfort in der Wohlstandsgesellschaft bei gleichzeitiger Bedrohung: Ein Straußenei – ebenso wie Federn und Geigen ein Leitmotiv von Horn, das in vielen Arbeiten auftaucht – wird geradezu liebevoll von Bürsten gereinigt und poliert, während es von zwei spitzen Stahlstäben durchbohrt zu werden droht.

Einblicke in das Filmschaffen

Trotz einer starken Konzentration auf Installationen der 1980er und 1990er Jahre bietet die Wiener Ausstellung anhand von Skizzen, Filmclips von Performances und vereinzelten Gemälden mehr als nur einen flüchtigen Eindruck des rund sechs Jahrzehnte umspannenden Werks.

Wer Zeit mitbringt, kann sich im Untergeschoß zudem in das Filmschaffen Horns vertiefen. Zum Beispiel ist dort „Buster’s Bedroom“ (1991) zu sehen, in dem eine junge Frau mit einer Obsession für Buster Keaton ein Sanatorium besucht, in dem der Schauspieler angeblich einst behandelt wurde und auf den seltsamen Chefarzt (Donald Sutherland) trifft. So viel sei verraten: Das Klavier aus der Installation „Song of Anarchy“ spielt darin eine tragende Rolle.