Nummer zwei der britischen Labour-Partei, Angela Rayner
Reuters/Hannah Mckay
Angela Rayner

Labours Antwort auf „Abschaum“ Johnson

Authentisch, unverblümt und anfällig für den einen oder anderen politischen Fauxpas in Großbritannien: Die Rede ist nicht von Premierminister Boris Johnson, sondern von der Nummer zwei der Labour-Partei, Angela Rayner. Britische Medien nennen sie bereits die sozialistische Antwort auf Johnsons Konservative. Diese bezeichnete Rayner am Labour-Parteitag übrigens als einen „Haufen Abschaum“.

Im Wortlaut: „Wir können nicht schlimmer werden als ein Haufen Abschaum. Homophob, rassistisch, frauenfeindlich, absolut abscheulich … Bananenrepublik. Abscheuliche, böse Etonianer … ein Haufen Abschaum“, so Rayner über die Torys. Zur BBC sagte die 41-Jährige anschließend, sie werde sich bei Johnson für ihre Wortwahl nur dann entschuldigen, wenn er gewisse Kommentare, die er in der Vergangenheit von sich gegeben habe, zurücknehme.

Als Johnson noch Journalist war, bezeichnete er homosexuelle Männer als „Stricher in Tanktops“ und Schwarze als „Pikkaninnies“ mit „Wassermelonenlächeln“. „Pikaninny“ ist im Englischen ein abwertender Ausdruck für ein Kind mit nicht weißer Hautfarbe. Labour-Parteivorsitzender Keir Starmer reagierte auf Rayners „Abschaum“-Sager, er hätte nicht jene Worte seiner Vizechefin gewählt und werde mit seiner Stellvertreterin sprechen. Doch wie viel Einfluss Starmers Worte noch haben, ist wiederum fraglich.

Parteispitze? „Werde bestimmt nicht Nein sagen“

Denn die Labour-Partei befindet sich tief in der Krise. Der ganze Parteitag im südenglischen Brighton war nämlich nicht nur durch Rayners Äußerungen überschattet, sondern auch durch einen internen Streit der anderen Sorte. Unter dem Druck des linken Flügels, zu dem Rayner gehört, und Gewerkschaften strich Starmer seine Pläne, das innerparteiliche Wahlsystem zu reformieren. Es handle sich um einen „erniedrigenden Rückzug“, kommentierte der Sender Sky News anschließend.

 Angela Rayner am Rednerpult im britischen Parlament
APA/AFP/Uk Parliament/Jessica Taylor
„Auf den Putz hauen“ könne sie, so Rayner

Zu allem Übel für Starmer: Rayner äußerte unverhohlen ihr Interesse an der Parteispitze. Sie würde „bestimmt nicht Nein sagen“, wenn sie gefragt würde, sagte Rayner dem Magazin der „Times“. Starmer, der seit eineinhalb Jahren im Amt ist, steht also mächtig unter Druck. Trotz zahlreicher Fehler und Kehrtwenden der regierenden Konservativen Partei im Coronavirus-Krisenmanagement hinkt die einstige Regierungspartei in Umfragen hinterher. Zudem konnten die Tories mehrere Kommunalwahlen in bisherigen Labour-Bastionen gewinnen.

Schulabbrecherin, Alleinerzieherin

Rayner ist mit ihrem jüngsten Fettnäpfchen jedenfalls groß in den britischen Schlagzeilen – viel größer als Starmer. Eine Eigenschaft, die sie mit Premierminister Johnson teilt, obwohl das politische Hinterland der beiden nicht unterschiedlicher sein könnte. Beide schießen aus der Hüfte, und ihr Talent für treffende Formulierungen hat sie in der Vergangenheit in Schwierigkeiten gebracht.

Entscheidend ist, dass Rayner und Johnson unberechenbar sind. Sie sind, wie sie sind, mit all den Komplexitäten, die das Leben mit sich bringt: Johnson wird mit 57 Jahren noch einmal Vater und erweitert seine sechsköpfige Familie. Rayner war mit 37 bereits Großmutter, was ihr den Beinamen „Grangela“ einbrachte. „Gran“ ist im Englischen ein Spitzname für Oma.

Damit enden allerdings auch schon die Ähnlichkeiten. Während Johnson am Eton College und an der Universität Oxford ausgebildet wurde (Stichwort: „böse Etonianer“), verließ Rayner die Schule in der Stadt Stockport mit 16 Jahren, schwanger mit ihrem ersten Sohn und ohne Abschluss, bevor sie als alleinerziehende Mutter, die nachts als Pflegerin arbeitete, ihren Abschluss machte.

Aus dem Sozialbau ins Unterhaus

Vielleicht sind es gerade diese Unterschiede, die ihre Angriffe auf die britische Regierung wirkungsvoll machen. Wenn sie etwa die Regierung beschuldigt, einen Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von 18.000 Pfund mit einer Lohnkürzung von 1.100 Pfund zu belasten, tut sie das aus der Position einer Person, die in Armut aufgewachsen ist. Das „rothaarige Kind aus dem Sozialbau“, wie sie sich selbst beschreibt, hatte in ihrem Elternhaus kein warmes Wasser, sodass sie sonntags zu ihrer Großmutter ging, um zu baden. Im Alter von zehn Jahren wurde sie die Hauptpflegeperson für ihre psychisch kranke Mutter. Rayners Vater war gewalttätig.

Später, nach ihrer Ausbildung zur Pflegerin, wurde sie schließlich Gewerkschaftsvertreterin bei der Unison und trat der Labour-Partei bei. Sie heiratete Mark Rayner, einen Gewerkschafter, und bekam zwei weitere Söhne. Von ihrem Ehemann lebt die Politikerin heute getrennt. Rayner zog bei den Parlamentswahlen 2015 für den Wahlkreis Ashton-under-Lyne ins britische Unterhaus ein. 2016 wurde sie vom früheren Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn zur Schattenministerin für Pensionen ernannt und später zur Schattenministerin für Bildung, Frauen und Gleichberechtigung befördert.

„Die Leute unterschätzen mich“

Als Schattenbildungsministerin schlug sie die Schaffung eines Nationalen Bildungsdienstes (NES) nach dem Vorbild des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) vor. Bei den Wahlen zum Parteivorsitz der Labour Party 2020 unterstützte sie Rebecca Long-Bailey, die Starmer unterlag. Erfolgreich kandidierte Rayner für den stellvertretenden Parteivorsitz. Schon im Oktober 2020 nannte die Politikerin den konservativen Abgeordneten Chris Clarkson aus Heywood und Middleton „Abschaum“, als er eine Rede im Parlament hielt. Allerdings entschuldigte sie sich dafür später.

Rayner bezeichnet sich selbst als Sozialistin. Ihr politisches Engagement gelte der „Klimagerechtigkeit und ökonomischen Fairness“, so die Labour-Vizechefin kürzlich auf Twitter. „Diese zwei Themen sind unweigerlich miteinander verbunden“, schrieb sie. Immer schon habe sie für Gehaltserhöhungen der Arbeiterklasse als Systemerhalterinnen und -erhalter gekämpft, und werde das auch weiter tun. Dass man von Rayner in Zukunft noch öfter hören wird, scheint sicher. Zur „Times“ sagte sie kürzlich: „Die Leute unterschätzen mich. Ich genieße es, wenn sie das tun – das macht es einfacher, auf den Putz zu hauen.“