Drei Personen mit SPÖ T-Shirts.
APA/Barbara Gindl
Perspektive fehlt

SPÖ kommt nicht vom Fleck

Mit einem kleinen Plus und einem noch kleineren Minus hat der Wahlsonntag für die SPÖ in Oberösterreich beziehungsweise Graz geendet – jeweils auf sehr bescheidenem Niveau. Zu glauben, dass das Schwächeln anderer automatisch zu Zugewinnen führe, sei ein „Trugschluss“, sagt der Politologe Peter Filzmaier. Überhaupt stehe es um die Perspektive der Sozialdemokratie nicht zum Besten.

„Es ist erfreulich, dass es unter schwierigen Bedingungen erstmals seit fast zwei Jahrzehnten wieder ein Plus bei der Landtagswahl für die SPÖ Oberösterreich gibt.“ Das Plus, über das sich Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch am Sonntag zu freuen vorgaben, betrug 0,2 Prozent, die 20-Prozent-Marke blieb unerreicht. Ein Stagnieren auf noch bescheidenerem Niveau brachte auch die Gemeinderatswahl in Graz für die SPÖ, hier hält man bei nicht einmal mehr zehn Prozent – der ersehnte Sprung zurück in den Stadtsenat wurde damit verfehlt.

Die Sozialdemokraten kommen nicht vom Fleck, auch dann nicht, wenn politische Mitbewerber straucheln, wie aktuell die FPÖ in Oberösterreich oder die ÖVP in Graz. Es sei ein „Kardinalfehler“ der etablierten Parteien, sagt Politologe Filzmaier gegenüber ORF.at, zu glauben, „dass wenn wer anderer Schwäche zeigt, man selbst automatisch Gewinner“ sei. Profitieren würden eher neue Kräfte.

„Klassische Regierungspartei“

Die SPÖ tue sich in der Oppositionsrolle insofern schwer, als sie die „letzten 40 von 50 Jahren“ in der Regierung gesessen ist und nicht glaubhaft vermitteln könne, was sie jetzt besser umsetzen sollte. Die Wahrnehmung der SPÖ als „klassische Regierungspartei“ spiegle sich in der Tatsache wider, dass Wahlerfolge unter Rendi-Wagner nur in jenen Bundesländern erzielt werden konnten, in denen die Partei den Landeshauptmann stellt: In Wien und dem Burgenland war das 2020 der Fall, in Kärnten 2018 (noch unter Christian Kern).

Bei den anderen Wahlgängen lief es nicht gut. Bei der EU- und Nationalratswahl nach dem „Ibiza“-Kollaps der türkis-blauen Regierung, auch bei der Landtagswahl in der Steiermark, musste die SPÖ jeweils ein Minus hinnehmen, obwohl die FPÖ stark einbrach. Nur in Vorarlberg gelang 2019 ein kleines Plus – das allerdings nicht reichte, um wieder über die Zehn-Prozent-Marke zu kommen. Immerhin wurde der Bürgermeistersessel in Bregenz erobert.

Themen von anderen besetzt

Ein großes Manko bestehe bei der Themenführerschaft, sagt Filzmaier, fast alle Bereiche seien durch andere Parteien nach außen hin besser abgedeckt: Umwelt durch die Grünen, Zuwanderung durch FPÖ und ÖVP, Bildung durch NEOS, das „ließe sich bei praktisch allen Themen durchdeklinieren“. Stärke zeige die Sozialdemokratie am ehesten dort, wo sie ihre Fachkompetenz unter Beweis stellen könne – aber eben nicht als SPÖ auftrete, sondern als Arbeiterkammer oder Gewerkschaft.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner
APA/Fotokerschi.at/Werner Kerschbaum
Um Rendi-Wagners Job herrscht derzeit alles andere als ein G’riss

Partei der „Ex-Hackler“

Das vielleicht größte Problem der SPÖ sei aber ein demografisches, sagt Filzmaier. Der typische Wähler sei längst kein „Hackler“ mehr, sondern ein „Ex-Hackler“ – der Anteil der Generation 60 plus unter den Parteigängern sei überproportional hoch, bei den unter 30-Jährigen befinde man sich dagegen „im Rennen um den vierten oder fünften Platz“. Bei den Wahlen in Oberösterreich etwa hätten doppelt so viele Menschen unter 30 Grüne (26 Prozent) als SPÖ (13 Prozent) gewählt. Bei jenen über 60 dagegen erzielte die SPÖ 23 Prozent und wäre damit deutlich vor der FPÖ gelandet. Auf Bundesebene sei der Trend vergleichbar.

Perspektivisch verheiße das natürlich nichts Gutes, so Filzmaier, und führe zudem zu einem „schwierigen Spagat“: Einerseits sei man den (älteren) Stammwählerinnen und Stammwählern verpflichtet, anderseits müsste man sich modern positionieren, um Jüngere zu gewinnen. Das alles führe dazu, dass der Chefposten bei der SPÖ „sehr unbeliebt“ sei – und Rendi-Wagner mangels Alternativen vorerst stabil im Sattel sitze.

Daran ändert auch nichts, dass nach dem aktuellen Wahlsonntag einige kritische Stimmen aus der SPÖ zu hören waren. Am prononciertesten äußerte sich der burgenländische Landesgeschäftsführer Roland Fürst im Ö1-"Mittagsjournal: Er forderte eine radikale Analyse, man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wenn man in der zweitgrößten Stadt nur noch auf Platz fünf liege und einstellig sei, habe das auch eine Gesamtbedeutung.

Niederösterreichs Landeschef Franz Schnabl sagte zur Oberösterreich-Wahl, das Ergebnis liege auch daran, dass der bundespolitische Rückenwind gefehlt habe. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser meinte hingegen, dass die Bundespolitik wenig Einfluss auf die regionalen Wahlausgänge gehabt habe: „weder im Bonus noch im Malus“.

Perspektiven für Parteispitze fehlen

„Charismatische Führungspersönlichkeiten“ wie der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil oder ÖGB-Chef Wolfgang Katzian wären eine Perspektive an der Parteispitze, aber würden wohl nicht den Sanktus der gesamten Partei finden, sagte Filzmaier. Und mit „halben Quereinsteigern“ wie Rendi-Wagner sei einerseits die Erfahrung nicht die beste, andererseits seien diese auch nicht parat.

Im kommenden Jahr stünden außer einigen Gemeinderatswahlen nur die Bundespräsidentenwahl an, vor dieser könne man sich gleichsam „drücken“ und etwa den amtierenden Präsidenten unterstützen, sagte Filzmaier. 2023 werde dafür regulär in gleich vier Bundesländern, nämlich Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg, eine neue Landesregierung gewählt. Und kurz davor einen neuen Parteichef oder eine neue Parteichefin zu finden, der oder die sich diesem Risiko aussetzen wolle, werde ein schwieriges Unterfangen. So sei die „Gretchenfrage“ des Parteivorsitzes bis auf Weiteres aufgeschoben.