Bundesvorsitzender der FDP Christian Lindner.
Reuters/Annegret Hilse
„Ampel“ oder „Jamaika“

FDP und Grüne machen ersten Schritt

Die potenziellen Juniorpartner einer „Ampel“- oder „Jamaika-Koalition“ in Deutschland wollen in einem ersten Schritt zunächst miteinander reden: Die FDP beschloss am Montag Gespräche mit den Grünen über eine mögliche Koalitionsbildung mit Union oder SPD. Die Grünen hatten sich zuvor an einem solchen Vorgehen interessiert gezeigt. Schwierig könnte es aber vor allem bei der Wahl des dritten Partners werden.

Die Parteiführung habe beschlossen, „Vorsondierungen“ mit den Grünen aufzunehmen, sagte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner am Montag. „Zwischen Grünen und FDP gibt es die größten inhaltlichen Unterschiede bei den Parteien des demokratischen Zentrums, die jetzt über eine Regierungsbildung miteinander sprechen könnten“, sagte er in Berlin nach den Beratungen von Bundesvorstand und Präsidium: „Deshalb macht es Sinn, angesichts dieser bisweilen bestehenden Polarisierung den gemeinsamen Grund zu suchen.“

Gemeinsam gegen Status quo?

FDP und Grüne seien zugleich die Parteien, die sich am stärksten gegen den Status quo der Großen Koalition gewandt hätten, sagte Lindner. „Und deshalb ist es sinnvoll, dass diese beiden zuerst miteinander das Gespräch suchen, um zu prüfen, ob daraus bei allen Unterschieden ein fortschrittliches Zentrum einer neuen Koalition werden könnte.“ Lindner betonte: „Weder die Union noch die SPD stehen für Aufbruch. Beide Parteien regieren lange.“

Nach diesen Gesprächen mit den Grünen sei die FDP offen, „Einladungen von CDU/CSU oder SPD anzunehmen, wenn sie denn kommen, über weitergehende Gespräche“, sagte Lindner. Angesprochen auf die von ihm genannte Polarisierung zwischen FDP und Grünen wies er auf die unterschiedliche Herangehensweise an das Thema Klimaschutz hin. Die FDP verfolge hier „eher ein technologisch getriebenes Modell“, die Grünen machten daraus bisweilen eine „Lebensstilfrage“.

Grüne gesprächsbereit

Bei den Grünen hatte sich Spitzenkandidatin Annalena Baerbock schon am Wahlabend gesprächsbereit gezeigt: „Die Zeit, wo einer, der Kanzler werden will, dann alle durchtelefoniert, ist vorbei.“ Am Montag kündigte auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, an, es werde zuerst in einem „sehr kleinen Kreis“ mit der FDP über die Bildung einer gemeinsamen Regierung gesprochen.

Aus seiner Erfahrung ergebe es Sinn, „dass die Parteien, die erst einmal am weitesten voneinander entfernt sind, (…) dass die mal schauen, ob die das zusammen hinkriegen“, sagte Grünen-Kochef Robert Habeck am Montag in NDR Info. Das seien nun einmal FDP und Grüne – „wir sind in sozial-, steuer-, finanzpolitischen Fragen wirklich konträr“. Später sagte er noch: „Da treffen Welten aufeinander.“

Gespräche im „kleinen Kreis“

Es gehe darum, die Regierung zu bilden, die am entschlossensten sei, die anstehenden Probleme zu lösen, betonte Habeck. „Es gibt aber eine gewisse Logik, die Gespräche mit der SPD und FDP zu führen.“ Dabei dürfe es jedoch nicht um eine „Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners gehen“.

Baerbock hob hervor, zentral sei, jetzt „die Erneuerung dieses Landes anzugehen“. Dabei müsse der Klimaschutz Querschnittaufgabe über alle Ressorts hinweg sein. „Robert Habeck und ich werden Gespräche mit den anderen Parteien führen“, kündigte auch Baerbock an. In einer ersten Phase sollten diese „im geschützten Raum“ und auch „im kleineren Kreis“ stattfinden.

Habeck warnte zugleich von Indiskretionen bei den Sondierungen und verwies auf das gescheiterte „Jamaika-Bündnis“ im Jahr 2017. Die Sondierungen seien „unter anderem schiefgegangen, weil man alles permanent ausgeplaudert hat“, so Habeck.

Deutliche Differenzen

Neben inhaltlichen Brücken wird bei den Gesprächen auch die Frage sein, welchen dritten Partner sich FDP und Grüne wünschen – und da gehend die Meinungen auseinander: Lindner bekräftigte seine Zweifel an einer „Ampelkoalition“. Es fehle ihm die Vorstellungskraft, welche Angebote SPD-Chef Olaf Scholz der FDP machen könne, die zugleich auf Begeisterung von SPD-Linken stoßen könnten. Höhere Steuern könne es nur für große Internetkonzerne geben, betonte er.

Christian Lindner
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FDP-Chef Christian Lindner, der ein „Jamaika-Bündnis“ bevorzugt, will erst mit den Grünen sprechen

Die Grünen machten in den vergangenen Wochen wiederum keinen Hehl daraus, dass sie der SPD näher stehen als der Union. Mit Blick auf ein Dreierbündnis verwies Hofreiter am Montag auch auf die seiner Ansicht nach katastrophalen Werte des Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet. „Die Nähe zur SPD ist nun wirklich größer als zur Union“, sagte auch der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, in der ARD. Habeck sagte, es gebe durch das Wahlergebnis eine gewisse Logik, zunächst über eine „Ampelkoalition“ mit SPD und FDP zu sprechen, sagt Habeck in Berlin. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht mit der Union reden werden.“

Annalena Baerbock und Robert Habeck
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Die Grünen-Spitze Annalena Baerbock und Robert Habeck scheint sich in einer „Ampelkoalition“ eher wiederzufinden

Kommentatoren sehen unklare Lage

Wie unklar die Lage ist, wird auch in ersten Analysen deutscher Medien deutlich. „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann sieht den Vorteil von „Jamaika“ etwa darin, dass einander Laschet und Lindner bereits aus einer Koalition in NRW kennen und schätzen. Nur für die Grünen gebe es seiner Ansicht nach in der Variante wenig zu gewinnen. Für die Grünen wäre die „Ampel“ die „erfolgversprechendere Alternative“ – für die FDP sieht er bei jenem Bündnis die „Chance zur Profilierung: als die Stimme der Vernunft“. Wesentlich sei für Grüne und FDP nun, dass sie „fünf Projekte definieren, die sie in einem Koalitionsvertrag festhalten wollen“.

„Verhandlungsgeschick muss vor allem Christian Lindner zeigen“, schreibt der „FAZ“-Journalist Jasper von Altenbockum. „Die Gefahr für die FDP, Wähler zu verprellen, die Lindner mit einer klaren Jamaika-Vision angelockt hat, ist groß“, schreibt er über eine mögliche „Ampelkoalition“. Aber: „Die Grünen werden der FDP trotzdem nicht den Gefallen tun, ohne Vermögensteuer, Mindestlohn und Klima-Hammer auf Scholz oder Laschet zu warten. Lindner wird also großes Geschick zeigen müssen, vielleicht sogar unter Hintanstellung eigener politischer Ambitionen.“

ARD-Journalistin Wenke Börnsen verweist in einem Kommentar auch darauf, dass Lindner gerade ob seiner größeren Nähe zur Union bei Gesprächen mit der SPD mehr für die Partei herausholen könnte als etwa mit der CDU/CSU. So oder so ist jetzt schon klar, sowohl Grüne als auch FDP werden ihren Preis für eine künftige Dreierkoalition in die Höhe treiben.