Für Scholz steht außer Frage, dass der Regierungsauftrag bei der SPD liege. Die Wähler hätten „sehr klar gesprochen“ und wollen die Union nicht mehr in der Regierung sehen. Er wolle eine „sozial-ökologisch-liberale Koalition“ bilden, sagte er am Montag nach Beratung der Gremien. Der SPD-Vorstand ernannte indes bereits ein sechsköpfiges Sondierungsteam, das die Chancen für eine Koalition ausloten soll.
Zum Team gehören Kanzlerkandidat Scholz, die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Man sei sich einig, dass vor den Gesprächen keine roten Linien formuliert würden.

FDP-Grüne-Gespräche „völlig okay“
Die Verhandlungen sollen abseits der Öffentlichkeit geführt werden – ohne Hektik und ohne undurchsichtige Manöver. Walter-Borjans sieht die Gefahr, öffentlich kommunizierte rote Linien könnten „ein kleines Fenster schließen, das für eine gemeinsame Grundlage wichtig wäre“. Denn es ist klar, dass SPD und Grüne mehr programmatische Überschneidungen miteinander haben als mit der FPD.
Entsprechend gibt es für den grünen Kochef Robert Habeck eine gewisse Logik, zunächst über eine „Ampelkoalition“ zu reden, FDP-Chef Christian Lindner hingegen äußerte bereits seine Zweifel an dieser Variante. Zunächst wollen aber die Liberalen und die Grünen miteinander reden. Beide Parteien schlossen weder Gespräche mit der SPD noch mit der Union aus, sollten Einladungen dazu kommen. FDP-Generalsekretär Volker Wissing stellte aber Montagabend im ZDF, dass eine „Regierung als reines Zweckbündnis, das den kleinsten gemeinsamen Nenner sucht“, nicht genüge.
Scholz betonte, eine Regierung bilden zu wollen, die „auf Vertrauen beruht“. Es sei „völlig okay“, dass FDP und Grüne zunächst miteinander reden wollen, reagierte Scholz am Montag auf den Vorstoß von Lindner. Als „abschreckendes Beispiel“ nannte der SPD-Chef die schwarz-gelbe Koalition der Jahre 2009 bis 2013, nach der die FDP aus dem Bundestag geflogen war.
Deutschland: Grüne und FDP als „Königsmacher“
Die potenziellen Juniorpartner einer „Ampel“- oder „Jamaika-Koalition“ in Deutschland wollen in einem ersten Schritt zunächst miteinander reden: Die FDP beschloss am Montag Gespräche mit den Grünen über eine mögliche Koalitionsbildung mit Union oder SPD. Die Grünen hatten sich zuvor an einem solchen Vorgehen interessiert gezeigt.
Scholz sieht „Gutes“ trotz unterschiedlicher Ausgangslagen
Die „Ampelkoalition“, die er nun bilden möchte, sieht er als „Fortschrittserzählung“, die auch mehr als eine Wahlperiode Bestand haben soll. Und er übt sich in Zweckoptimismus, denn die potenziellen Koalitionspartner liegen in mehreren Bereichen weit auseinander: „Wenn drei Parteien, die den Fortschritt am Beginn der 20er Jahre im Blick haben, zusammenarbeiten, kann das etwas Gutes werden, selbst wenn sie dafür unterschiedliche Ausgangslagen haben.“ Scholz wirbt wie Laschet für Verhandlungen auf Augenhöhe und mit dem Hinweis auf Gemeinsamkeiten bei Themen wie Bildung, Digitalisierung und Modernisierung.
Auch in einer ZDF-Sondersendung Montagabend betonte Scholz die Gemeinsamkeiten der potenziellen Partner einer „Ampelkoalition“: „Es gibt ja Schnittmengen.“ Alle drei Parteien hätten eine Vorstellung von Fortschritt.
Deutlicher wurde zuvor nur SPD-Fraktionschef Mützenich mit Blick auf die FDP und die 2017 von ihr abgebrochenen Sondierungen zu einer „Jamaika-Koalition“. Die SPD habe einen „Gestaltungs- und einen Regierungsanspruch“: „Die FDP muss sich gut überlegen, ob sie die Republik in eine Warteschleife schicken will.“ Viele Möglichkeiten, die FDP unter Druck zu setzen, hat die SPD aber auch nicht: Rechnerisch gibt es keine Möglichkeit für eine rot-grün-rote Regierung. Eine Große Koalition von SPD und Union wäre möglich, wird aber von beiden Seiten derzeit nicht gewünscht.
Analyse von ZIB-Korrespondentin Birgit Schwarz
Birgit Schwarz berichtet aus Berlin über Deutschland nach der Wahl.
Kein Automatismus bei Regierungsauftrag
Vor allem sehen sich sowohl Scholz als auch CDU-Chef Armin Laschet weiterhin im Rennen um das Kanzleramt. Zwar ging die SPD als stimmenstärkste Partei aus der Wahl hervor – allerdings mit einem knappen Abstand zur Union. Laschet will sich daher noch nicht geschlagen geben und sieht nicht nur sich selbst, sondern auch Scholz zur „gleichen Demut aufgerufen“.
Formal haben beide recht, so Politologen, einen Regierungsauftrag für sich zu sehen. Es sei nicht so, dass die stimmenstärkste Partei automatisch den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt, sagte der Politikwissenschaftler Uwe Jun gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Wer mehr Stimmen habe, habe aber die größte Legitimität, eine Regierung zu bilden. Zudem habe die Union das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte eingefahren, meinte der deutsche Politologe Oskar Niedermayer: „Daraus einen Regierungsauftrag abzuleiten, erfordert einiges an argumentativem Geschick.“