Armin Laschet (CDU)
AP/Martin Meissner
CDU

Erste Rufe nach Laschet-Rückzug

Zwei Tage nach der deutschen Bundestagswahl kommen die Fraktionen von SPD, Union, Grünen und Linker am Dienstag zu ersten Beratungen zusammen. In der Union aus CDU und CSU wächst indes der Widerstand gegen die Strategie von Kanzlerkandidat Armin Laschet, trotz der historischen Niederlage bei der Wahl auf Sondierungen mit Grünen und FDP zu setzen. Vereinzelt wurden bereits Rufe nach Laschets Rückzug laut.

Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann sagte: „Wir sollten jetzt demütig und respektvoll den Wählerwillen annehmen, mit Anstand und Haltung. Es war Veränderung gewollt.“ Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier unterstrich: „Wir haben keinen Anspruch auf Regierungsverantwortung.“ Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, sagte: „Wir haben die Wahl verloren. Punkt.“ Der klare Auftrag liege bei SPD, Grünen und FDP.

Obwohl die Union auf 24,1 Prozent abstürzte und die SPD mit Olaf Scholz stärkste Partei wurde, hatte der Kanzlerkandidat der Union noch am Wahlabend bekräftigt, dass er eine „Jamaika-Koalition“ mit FDP und Grünen anstrebt – mit denen auch die SPD regieren möchte. Die Sozialdemokraten leiten aus dem Ergebnis von 25,7 Prozent einen klaren Wählerauftrag ab.

Altmaier fordert CDU-Neuaufstellung

Kurz vor der konstituierenden Sitzung der neuen Bundestagsfraktion von CDU und CSU am Dienstagnachmittag forderte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zügig eine personelle Neuaufstellung seiner Partei. Er hätte sich einen klaren Regierungsauftrag für die Union gewünscht, sagte Altmaier der „Rheinischen Post“. „Das ist jetzt schwieriger. Deshalb müssen wir zügig über die inhaltliche und personelle Aufstellung der CDU für die Zukunft sprechen.“ Altmaier empfahl seiner Partei eine „Portion Demut“.

Angesprochen auf seine Unterstützung für CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten sagte der Minister, er habe seine Position damals sowohl im CDU-Bundesvorstand als auch gegenüber Laschet deutlich gemacht, der schließlich zum Kanzlerkandidaten gekürt wurde. „Es ist nicht schön, wenn man am Ende sieht, dass die eigenen Befürchtungen von der Realität noch übertroffen wurden.“ Altmaier ergänzte, die Union habe viele Wechselwähler verloren. „Das muss dann auch unser weiteres Verhalten und unsere Aufstellung für die kommende Zeit bestimmen. Wir müssen das Signal der Bürgerinnen und Bürger hören.“

Kretschmer: Wechselstimmung gegen die CDU

Altmaier gratulierte auch SPD, Grünen und FDP zu deren Abschneiden bei der Bundestagswahl. Gleichzeitig stellte Altmaier am Dienstag in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv klar, dass die Union keinen Auftrag habe, die Regierungsbildung voranzutreiben.

Politologin über Laschet als Kanzler

Ein Kanzler Armin Laschet ist nach den Verlusten der Unionsparteien für Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele immer weniger wahrscheinlich.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte bereits am Montagvormittag im MDR Sachsen gesagt, das Wahlergebnis habe eine ganz klare Wechselstimmung gegen die CDU gezeigt. Ihm erschließe sich die Haltung im Adenauer-Haus – der CDU-Zentrale in Berlin – nicht, von einem Regierungsauftrag zu sprechen, sagte Kretschmer. Diese Linie liege genau auf dem bisherigen Kurs, der zum Absturz der Union geführt habe, und sei nicht zukunftsfähig.

CDU-Bundesvize Thomas Strobl erkennt indes für die SPD trotz des Wahlergebnisses keinen Regierungsanspruch. „Einen Regierungsanspruch, den gibt es nicht. Für niemanden“, sagte Strobl am Dienstag in Stuttgart.

Zündstoff auch in CDU-Fraktion

Bei der konstituierenden Sitzung der stark geschrumpften Unionsfraktion im Bundestag könnten schon erste Weichen gestellt werden. Auf der Tagesordnung steht auch die Neuwahl des Fraktionschefs, die für politischen Zündstoff sorgen könnte. Laschet hatte am Montag angekündigt, er wolle gemeinsam mit CSU-Chef Söder vorschlagen, dass der bisherige Vorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) „in der Phase dieser Koalitionsverhandlungen“ Fraktionschef sein solle.

Das sorgte für Unmut bei Brinkhaus, der sich wie üblich für ein Jahr wählen lassen wollte. In dem Fall fürchten Mitglieder der CDU-Führung Kampfkandidaturen um den Posten. Hintergrund: Sollte es Laschet nicht gelingen, eine „Jamaika-Koalition“ zu bilden, und die Union in der Opposition landen, wäre der Posten des Fraktionsvorsitzenden einer der mächtigsten in der Union. CSU-Chef Söder sagte am Montagabend in der ARD, mit Brinkhaus habe die CSU „sehr gute Erfahrungen“ gemacht.

Die CSU-Landesgruppe im Bundestag wählte indes ihren bisherigen Vorsitzenden Alexander Dobrindt in ihrer konstituierenden Sitzung wieder. Der CSU-Landesgruppe gehören nun 45 statt zuvor 46 Bundestagsabgeordnete an. Ihr Einfluss in der geschrumpften Unions-Gesamtfraktion mit nun 196 Parlamentariern ist deutlich gewachsen.

SPD: Erste Gespräche mit Grünen und FDP noch diese Woche

SPD-Kanzlerkandidat und Wahlsieger Scholz will rasch eine Regierung bilden, er sieht genügend Gemeinsamkeiten mit Grünen und FDP. „Es gibt ja Schnittmengen“, sagte er am Montagabend im ZDF. Die SPD forderte Laschet auf, auf Sondierungen zu verzichten: „Niemand will Armin Laschet als Kanzler, und ich hoffe, dass er das in den nächsten Tagen auch realisiert“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im Sender RTL.

Erste Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP könnten nach Aussage von Fraktionschef Rolf Mützenich noch in dieser Woche geführt werden. Die SPD sei bereit, „nicht nur schnelle, sondern auch verlässliche Gespräche zu führen“. Auch Mützenich forderte Laschet auf, nicht weiter nach dem Kanzleramt zu streben.

SPD-Fraktion konstituierte sich

Im deutschen Bundestag konstituierte sich die SPD-Fraktion. Die rund 100 neugewählten SPD-Abgeordneten stellten sich bei der Sitzung der bisherigen und neuen Fraktionsmitglieder der Reihe nach vor. Scholz, auch er wieder neu in den Bundestag gewählt, verkündete auf Twitter: „Jetzt machen wir uns gemeinsam an die Arbeit.“

Die Grünen sehen eine mögliche Koalition mit der Union offenbar skeptisch. Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sagte ebenfalls im ZDF, das Land sehne sich nach den Jahren der Großen Koalition nach einem neuen Aufbruch. Dreierbündnisse seien „nicht nur einfach, aber es kann eben auch das Momentum dafür geben, Dinge wirklich anders zu machen“.

Politologen: Formal haben beide recht

Scholz und ebenso Laschet haben formal recht, einen Regierungsauftrag für sich zu sehen, so Politologen. Es sei nicht so, dass die stimmenstärkste Partei automatisch den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt, sagte der Politikwissenschaftler Uwe Jun gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Wer mehr Stimmen habe, habe aber die größte Legitimität, eine Regierung zu bilden. Zudem habe die Union das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte eingefahren, meinte der deutsche Politologe Oskar Niedermayer: „Daraus einen Regierungsauftrag abzuleiten, erfordert einiges an argumentativem Geschick.“

Schallenberg wünscht sich rasch Klarheit

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) wünscht sich unterdessen schnell Klarheit bei der Regierungsbildung in Deutschland. „Auch wenn das Wahlergebnis vom Sonntag noch keine Schlüsse darauf zulässt, wie sich die neue deutsche Bundesregierung zusammensetzt, so sind für uns gerade in der Außenpolitik Kontinuität und Klarheit das A und O“, sagte Schallenberg der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Dienstag.

Unabhängig davon, welche Koalition künftig die Regierungsgeschäfte in Deutschland führen werde, sagte Schallenberg: „Ich baue darauf, dass der deutsche Kurs fortgesetzt wird, wenn es beispielsweise um die Zukunft der Westbalkanstaaten in der EU oder die strategische Ausrichtung in den transatlantischen Beziehungen geht.“