Szene aus dem Stück „Barbiere Di Siviglia“
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Neuer „Barbier“

Wien kippt ins Rossini-Fieber

200 Jahre ist es her, dass Wien wegen der Anreise von Gioachino Rossini im „Rossini-Fieber“ lag. 2021 will man sich wenn an der mitreißenden Oper infizieren. Die Premiere des „Barbiere di Siviglia“ in der musikalischen Lesart von Michele Mariotti und in der sehr bunten Regie von Herbert Fritsch wurde am Dienstag an der Staatsoper ein Abend mit Tifosi-Faktor. Schon die Ouvertüre feierte man, als gäbe es nach sieben Minuten kein Morgen.

„Großes Kino“ sagt man in diesen Zeiten abgegriffener Sprachformen gerne zu Ereignissen unterschiedlicher Bauart, in denen nichts fehlt und sich so etwas wie volle Zufriedenheit einstellt. Großes Kino extra bunt war dann dieser „Barbiere“, bei dem nicht zuletzt das Format Oper als eine sehr innige Kommunikation zwischen Bühne und Publikum zelebriert wurde.

Rossini als Form der Publikumsverstörung wäre für sich ja schon eine Kunst. Das weiß auch Fritsch, der mit seiner Volksbühne-Vergangenheit nicht mit vorauseilender Liebe in einer Bastion wie der Staatsoper rechnen darf. Doch Hausherr Bogdan Roscic will ja vieles gegenüber der Vergangenheit ändern. Ein Muss für ihn ist die Entstaubung des Repertoires. Wie in Salzburg setzt er auf das Entdecken neuer Stars, was nur gelingen kann, wenn man sie wie einst Anna Netrebko auch beherzt auf die Bühne stellt und gerade bei den größten Klassikern an die Front der Prüfung schickt.

Szene aus dem Stück „Barbiere Di Siviglia“
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Nana, tralala: Paolo Bordogna als Bartolo konnte nicht immer „amused“ sein an diesem Abend. Etwa, wenn Juan-Diego Florez in verschiedenen Verkleidungen an sein Mündel Rosina (Vasilisa Berzhanskaya, in Schwarz) heran will. Daneben: Ruth Brauer-Kvam als nimmermüder Ambrogio und Arurora Marthens aus dem Opernstudio als Berta

Neues Leben im Über-Klassiker

Und so stehen beim neuen „Barbiere“ an der Oper neben Tenorstar Juan Diego Florez vorwiegend neuere und jüngere Sängerinnen und Sänger auf der Bühne und greifen den hier ausgelegten Faden intensiver Spielfreude und Selbstironie (auch so kann sich Volksbühne-Travestie fein wandeln!) auf – und sie beleben alle den Klassiker neu. Diese Oper ist einfach ein Fest musikalischer Motiveinfälle und Dynamisierung.

Der wie Rossini aus Pesaro stammende musikalische Leiter des Abends, Mariotti, hatte bei seinem Staatsoperndebüt ebenso wie der Regisseur Freude an einem gewitzten, manchmal freieren Umgang mit dem Original. Stets blieb Mariotti den Intentionen treu – aber den Film der Abgegriffenheit wollte er dieser Oper bewusst runterwaschen.

TV-Hinweis

Der ORF zeigt die neue Wiener Inszenierung des „Barbiere“ am 9. Oktober um 20.15 Uhr in ORF2.

Wien liebt kluge Lesarten bei der Musik

Da wurde schon in der Sinfonia zu Beginn geschickt innegehalten, um anzuzeigen, hier werde dynamisiert – und auch, wenn es sein muss, einmal zurückgenommen. Ein Pressing durch das Best-of dieser Oper war mit Mariotti nicht zu haben – und Wien lag dieser klugen Lesart sofort zu Füßen. Eigentlich kann sich Fritsch bei seinem musikalischen Leiter bedanken, dass hier der Dirigent das gesamte Setting so aufbereitet hat.

Auf dem Vorhang zeichnete sich vor seiner Öffnung schon das Schattenspiel der überzeichneten Figuren ab. Man sollte sich nicht identifizieren, sondern in Bestform unterhalten werden. Das ist im Sinn des Erschaffers, denn dass diese Oper „Barbier von Sevilla“ heißt, ist mit Verlaub eine Themenverfehlung oder wenn nur mit der bühnenwirksamen Kommentarfunktion des Barbiers zum Bühnengeschehen zu erklären.

Szene aus dem Stück „Barbiere Di Siviglia“
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Wenn drei Männer um eine Frau buhlen, freut sich der Vierte: Etienne Dupuis als Figaro

Drei Männer buhlen um eine Frau. Einer ist der „Ungustl“, einer der Edle – und einer steht in der Mitte, weil er zwar tolle Pläne hätte, dabei aber nicht so recht ins Tun kommt. Und nüchtern betrachtet siegt der Graf von Almaviva auf der Grundlage seines erhöhten Standes. Da zieht Basilio in der Mitte sicherheitshalber zurück, wenn die Perspektive ist, von Almaviva zwei Kugeln in den Kopf zu bekommen. Und Bartolo, der Vormund, der das Mündel heiraten will, ist, wie er selbst bekennen muss, „der Angeschmierte“, weil man schon bei Beaumarchais im 18. Jahrhundert einfach seine ökonomische Stellung nicht für die Findung einer Eheperspektive ausnützt (manche behaupten, hier ein Vorspiel der „#MeToo“-Debatte zu sehen).

Herbert Fritsch inszeniert Rossinis „Barbiere di Siviglia“

Rossinis Meisterwerk „Il Barbiere di Siviglia“ inszeniert der Spezialist für virtuose Komik, Herbert Fritsch. Für diese Produktion hat Fritsch mit einfachsten Mitteln eine Theatermaschine gebaut, die immer neue, verblüffende Räume schafft. Für Juan Diego Florez, der in der Rolle des Grafen Almaviva zu sehen ist, sind Rossinis narkotisch-berauschende Melodien „Champagner für die Stimme“.

So bekommt Rosina am Ende die reine Liebe, die sich dann doch dem großen Stand verdankt. Doch davor wurde ja in der Gestalt eines simplen Lindoro, in die Almaviva geschlüpft war, Süßholz unverdorbenster Machart geraspelt. Kein Wunder, dass sich der Figaro als ständiger Adabei bei diesem Treiben totlachen muss. Der Kanadier Etienne Dupuis erwies sich als Idealpartie für diese Rolle. Mit viel Spielwitz und Ironie ganselte er förmlich das Publikum auf. Nicht minder spielfreudig: Ildar Abdrazakov als Don Basilio. Paolo Bordogna war ein Bartolo, der mit dem Hang zur Selbstkarikatur weit über seine Rolle hinaus wirkte und samt maliziösem Gesichtsausdruck mitunter zu sagen schien: Okay, Leute, ich spiele mit bei diesem Treiben.

Szene aus dem Stück „Barbiere Di Siviglia“
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Eine Inszenierung als wilde Fahrt durch bunte Folien

Der Zug nach oben

Vasilisa Berzhanskaya als Rosina setzt ihren Zug nach oben fort. Schon in Salzburg bei den Festspielen bei „Orphee aux enfers“ hatte sie bewiesen, dass sie in zentralen Rollen zu bestehen und zu überzeugen vermag. Florez war als Star der Gentleman. Sein heller Tenor ist für diese Rolle geschaffen. Wie alle anderen auch liebte er aber das Schauspiel auf der Bühne.

Fritsch vertraute auf die Interaktionen und die Stärken der einzelnen Szenen. Die Kostüme und das Licht (Victoria Behr und Carsten Sander), sie brachten die Überbetonung. Statt Räume und Dekor gab es auf dieser Bühne große, bunte Folienpaneele, die unterschiedlich in den Guckkasten gezogen und auch einmal quer über die Bühne und nach vorne geschoben wurden. Zusammen mit der großartigen Lichtregie, die auch von einem Catwalk hätte kommen können, hielt diese Bauart der Oper tatsächlich über drei Stunden.

Szene aus dem Stück „Barbiere Di Siviglia“
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Gewitzt? Oder doch nur angeschmiert? Ildar Abdrazakov als Don Basilio und Paolo Bordogna als Bartolo

Scherenschnitt trifft Verner Panton

Scherenschnitt trifft Verner Panton – diese Ästhetik wandert nun ins Repertoire. Diesem Klassiker kann das nur guttun. Im Repertoire braucht man für diese Inszenierung freilich all das, was der Abend hatte. Musikalische Bestform und ein derartig überzeugendes Ensemble, das nicht zuletzt deshalb überzeugte, weil die Schauspielerin Ruth Brauer-Kvam als Ambrogio drei Stunden am Rand durchtänzelte und das Geschehen ständig auf Karikaturniveau hielt. Sie war das Alter Ego des Regisseurs, der sich zum Applaus reintragen ließ. Keine Angst, Herr Fritsch, wir hätten auf Ihre Leistung nicht vergessen!