US-Präsident Joe Biden
AP/Evan Vucci
Entscheidende Tage

Billionenpoker in den USA

„Joe Biden hat sein ganzes Leben damit verbracht, sich auf diese Woche vorzubereiten“: So dramatisch formulierte CNN am Dienstag, was dem US-Präsidenten dieser Tage bevorsteht. Im Kongress wird um ein riesiges Infrastrukturpaket und ein noch größeres Investitionspaket für Sozialreformen gerungen, außerdem drohen ein „Shutdown“ und die Zahlungsunfähigkeit des Landes.

„Wenn man Präsident Joe Biden bitten würde, sein Leben – und seine politische Karriere – in einem einzigen Begriff zusammenzufassen, würde er wahrscheinlich ‚Dealmaker‘ sagen. Biden neigt dazu, viele Dinge selbstironisch zu betrachten, aber seine Fähigkeit, Vereinbarungen auszuverhandeln, gehört nicht dazu“, schrieb CNN.

Und Verhandlungsgeschick braucht Biden dieser Tage zuhauf. Zum einen kämpft er um die Durchsetzung zweier gewaltiger Investitionspakete: eines für die Infrastruktur des Landes und ein noch größeres für die Anhebung von Sozialausgaben. Insgesamt belaufen sich die veranschlagten Kosten auf über 4,5 Billionen Dollar (knapp vier Billionen Euro). Beide Vorhaben wackeln angesichts interner Diskussionen bei den Demokraten bedrohlich. Aufgrund der angespannten Lage sagte Biden eine geplante Reise nach Chicago ab.

„Shutdown“

„Shutdowns“ von Teilen der Regierung kommen in den USA öfter vor. Das heißt, Staatsbedienstete müssten zum Teil zwangsbeurlaubt werden oder vorübergehend ohne Bezahlung arbeiten. Je nach Länge könnten bestimmte Behördendienste eingeschränkt oder Zahlungen verzögert werden. In der Vergangenheit dauerten solche „Shutdowns“ manchmal nur wenige Tage oder Stunden, womit sich die Folgen in Grenzen halten, oder aber Wochen, was zu größeren Verwerfungen führen kann.

„Shutdown“ rückt bedrohlich näher

Zum anderen rückt die Gefahr eines teilweisen Stillstands der Regierungsgeschäfte ab Ende der Woche näher. Der laufende Jahreshaushalt endet mit Monatsende in der Nacht auf Freitag – und ein neuer Haushalt ist noch nicht beschlossen. Ohne Übergangshaushalt würde es zu einem „Shutdown“ kommen. Dann würden Hunderttausende Bundesbedienstete in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt, zahlreiche öffentliche Einrichtungen müssten schließen.

Die Demokraten haben bereits einen Übergangshaushalt vorgelegt – verknüpfen das aber mit einer Aussetzung der Schuldenobergrenze, was bei den Republikanern auf Widerstand trifft. Sie verweigerten daher dem Vorhaben der Demokraten am Montagabend im Senat die Zustimmung. Der republikanische Senatsvorsitzende Mitch McConnell blockierte am Dienstag eine Abstimmung, mit der die Schuldengrenze von 28,4 Billionen Dollar ausgesetzt worden wäre.

Das Capitol in Washington
Reuters/Sarah Silbiger
„Shutdowns“ von Teilen der Regierung sind in den USA keine Seltenheit

Zwei Pakete entscheiden über Bidens Erfolg

Vor allem das Zustandekommen der beiden Investitionspakete ist für Bidens innenpolitische Bilanz entscheidend. Der Senat hat bereits Anfang August für ein über eine Billion Dollar teures Infrastrukturpaket gestimmt, das Investitionen in Straßen, Brücken, Zugsstrecken, Breitbandinternet, Wasserleitungen und Klimamaßnahmen vorsieht. Neben Bidens Demokraten stimmten auch einige Republikaner für das Vorhaben. Es muss nun das Repräsentantenhaus passieren – doch es gibt Widerstand im progressiven Flügel von Bidens Demokraten.

Linke Abgeordnete wollen nur für das Infrastrukturpaket stimmen, wenn gleichzeitig das Sozialpaket vorankommt. Sie fürchten, dass Letzteres im Senat versanden könnte, wenn das Infrastrukturpaket erst einmal beschlossen ist und sie damit kein Druckmittel mehr haben. Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, verschob deswegen eine für Montag geplante Abstimmung über das Infrastrukturvorhaben auf Donnerstag. Damit soll Zeit für Beratungen über das Sozialpaket gewonnen werden.

Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi
APA/AFP/Getty Images/Drew Angerer
Pelosi hat dieser Tage viel zu tun, um die Demokraten auf eine Linie zu bringen

Sozialpaket der Superlative

Das Sozialpaket ist das Herz von Bidens Reformplänen und wäre der größte Ausbau des Sozialstaates in den USA seit Jahrzehnten. Es sieht über einen Zeitraum von zehn Jahren 3,5 Billionen Dollar für Bildung, Gesundheitsvorsorge, Familien und den Klimaschutz vor.

Finanziert werden sollen die Maßnahmen durch höhere Steuern für Unternehmen und Reiche. Die oppositionellen Republikaner lehnen die Pläne entschieden ab. Allerdings haben auch demokratische Senatoren Vorbehalte, insbesondere die Mitte-Politiker Joe Manchin und Kyrsten Sinema. Weil die Demokraten im Senat nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügen, können sie sich nicht einen einzigen Abweichler leisten – sonst scheitert das Sozialprogramm.

Beide Parteien stellen im Senat jeweils 50 Senatoren, in Pattsituationen gibt Vizepräsidentin Kamala Harris in ihrem Amt als Senatspräsidentin den Ausschlag. Damit überhaupt über den Gesetzestext debattiert wird, ist aber eine Mehrheit von 60 Stimmen notwendig. Deswegen sind die Demokraten auf die Unterstützung einiger republikanischer Senatoren angewiesen.

US-Senator Joe Manchin
Reuters/Elizabeth Frantz
Das Weiße Haus und viele Demokraten hofften, dass der Widerstand von Demokrat Joe Manchin mit der Zeit bröckeln würde – bisher vergebens

Widersacher aus West Virginia

Manchin – Bidens vermutlich größter innerparteilicher Widersacher, 74 Jahre alt, aus West Virginia und seit 2010 im Senat – steht selbst vor einem heiklen politischen Balanceakt, wie die „Financial Times“ schrieb. West Virginia ist einer der ärmsten Bundesstaaten des Landes und hat mit der sinkenden Nachfrage nach Kohle zu kämpfen, die seine Minen bedroht.

Der zur Debatte stehende Gesetzesentwurf würde Mittel für wirtschaftlich angeschlagene Gebiete wie Kohlebergbaugemeinden bereitstellen und ein wesentlich stärkeres soziales Sicherheitsnetz schaffen, das insbesondere Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen zugutekäme. Manchin wehrt sich jedoch gegen den hohen Preis des Gesetzentwurfs sowie gegen bestimmte Bestimmungen, darunter das Ausmaß der Maßnahmen zum Klimawandel und die Steuererhöhungen.

2018 gewann er die Wiederwahl mit einem äußerst knappen Vorsprung von 49,6 Prozent zu 46,3 Prozent. Der Großteil der Wähler und Wählerinnen ist ihm treu geblieben, obwohl die Region und der Bundesstaat Biden-Vorgänger Donald Trump bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen unterstützt haben und sich viele Einheimische von der Demokratischen Partei entfremdet fühlen.

Manchins großzügiger Geldgeber

Politische Fachleute führen Manchins Widerstand allerdings nicht nur auf die konservative Ausrichtung seines Bundesstaates zurück, sondern auch auf die Befürchtung, dass große Veränderungen die Großspenden aus West Virginia und anderswo beeinträchtigen könnten. Laut Open Secrets, einer in Washington ansässigen Organisation, die politische Ausgaben verfolgt, ist Tellurian, ein in Texas ansässiges Erdgasunternehmen, seit 2017 Manchins größter Geldgeber.

„Es gibt ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Hauptstadt, ein allgemeines Misstrauen gegenüber den Demokraten und ein allgemeines Misstrauen gegenüber dem Wort Billion“, sagte John Kilwein, Vorsitzender der Politikwissenschaft an der Universität West Virginia gegenüber der „Financial Times“. "Vor ein paar Monaten hätte ich noch 50 Dollar darauf gesetzt, dass er (Manchin, Anm.) es nicht durchziehen will, aber jetzt sind es vielleicht fünf Dollar. „Vielleicht rechnet er damit, dass er zurückkommen und sagen kann: ‚Seht her, ich habe sie aufgehalten.‘“

„Dealmaker“ Biden gefragt

Indessen warnte Finanzministerin Janet Yellen am Dienstag, dem Land drohe um den 18. Oktober die Zahlungsunfähigkeit, wenn die Schuldenobergrenze nicht angehoben oder ausgesetzt werde. Es sei unklar, ob die USA über dieses Datum hinaus ihre finanziellen Verpflichtungen erfüllen könnten.

„Es ist von größter Wichtigkeit, dass sich der Kongress rasch um das Schuldenlimit kümmert“, hielt die Ministerin in einem vorbereiteten Redetext fest. „Wenn der Kongress das nicht tut, würden die USA zum ersten Mal in ihrer Geschichte zahlungsunfähig werden.“ Das wäre „katastrophal“ für die US-Wirtschaft. Es wäre auch gefährlich, bis zur „letzten Minute“ mit einer Einigung zu warten. „Dealmaker“ Biden ist somit gefragter denn je.