Bewaffnete Polizisten aus dem Kosovo und protestierende Serben an der Grenze nahe Jarinje
Reuters/Laura Hasani
Serbien vs. Kosovo

Nummerntafeln schüren neue Unruhe

Die Stimmung zwischen Serbien und dem Kosovo ist derzeit angespannt wie seit Jahren nicht mehr. Serbien entsandte Truppen an die Grenze, der Kosovo schickte eine Sonderpolizeieinheit in den Norden des Landes. NATO und EU rufen zur Mäßigung auf. Auslöser für den neu angefachten Konflikt sind Autokennzeichen.

Im Kosovo gelten nun dieselben Regeln wie schon seit Jahren für die Kosovaren und Kosovarinnen in Serbien. Serbien verbietet kosovarische Kennzeichen in seinem Land schon seit der Unabhängigkeit des Kosovo im Jahr 2008. Würde Belgrad diese Nummerntafeln akzeptieren, käme das einer Anerkennung des Kosovo gleich. Kosovarische Autos müssen nach dem Grenzübertritt nach Serbien also provisorische Nummerntafeln kaufen, die für eine begrenzte Zeit gültig sind.

Diese Regelung führte nun auch der Kosovo für serbische Fahrzeuge ein. Ministerpräsident Albin Kurti sieht das als eine Maßnahme der „Gegenseitigkeit“. Seit Mitte September brauchen serbische Fahrzeuge nun ein provisorisches Kennzeichen im Kosovo. Es kostet umgerechnet fünf Euro und ist 60 Tage gültig. Betroffen sind vor allem Menschen, die in der serbischen Enklave um die Stadt Kosovska Mitrovica im Norden des Kosovo leben.

Kosovo-Serben passieren eine Sperre nahe der Grenze zwischen Kosovo und Serbien in Jarinje
Reuters/Laura Hasani
Kosovarische Serben passieren eine Sperre an der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien

Wahlen im Blick

Entsprechend groß ist dort der Widerstand. Wohl auch mit Rückendeckung aus Belgrad blockieren Serben aus der Enklave im Kosovo seit Tagen die Straßen zu zwei Grenzübergängen, am Wochenende gab es Angriffe auf Dienststellen des Innenministeriums im Nordkosovo und auf eine Kfz-Zulassungsstelle.

Belgrad verstärkte die Alarmbereitschaft von Einheiten an der Grenze, schickte Panzer und ließ ein Kampfflugzeug aufsteigen. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic spart nicht mit nationalistischen, kaum deeskalierenden Tönen. Er wolle die „Pogrome gegen Serben“ beenden und „für das serbische Volk kämpfen“.

Ulrich Ladurner sieht in der „Zeit“ einen möglichen Zusammenhang zwischen der für April 2022 geplanten Parlamentswahl in Serbien und der „martialischen Sprache“, derer sich Vucic nun gegenüber dem Kosovo bedient. Kurti warf Serbien vor, einen ernsthaften internationalen Konflikt zu provozieren: „Serbien will die Situation eindeutig militarisieren und eskalieren.“ Seine Nummerntafelentscheidung brachte den Konflikt aber wieder ins Rollen. Auch er hat möglicherweise Wählerstimmen vor Augen. Mitte Oktober finden im Kosovo Lokalwahlen statt.

Die kosovarischen Serben wollen ihre Blockaden nun so lange aufrechterhalten, bis Prishtina die Nummerntafelregelung zurücknimmt. Aus Belgrad hieß es, dass es „keine Fortsetzung des Dialogs“ gebe, solange sich die kosovarischen Sondereinheiten nicht zurückziehen.

Konsequenzen für EU

EU und NATO riefen die beiden Länder zur Mäßigung auf. Die NATO-Friedensmission im Kosovo (KFOR) erhöhte ihre Patrouillen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist derzeit in der Region unterwegs. Es sei wichtig, zu deeskalieren und an den Verhandlungstisch zurückzukehren, sagte sie nach einem Treffen mit Kurti am Mittwoch in Prishtina. Auf dem Flughafen in Podgorica traf von der Leyen auch mit Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zu einem kurzen Gespräch zusammen.

Auch wenn der Streit über Nummerntafeln als Geplänkel zwischen zwei Kontrahenten wirkt, steckt für die EU doch wesentlich mehr dahinter. In der Unabhängigkeitsfrage ist selbst die EU gespalten. Aufgrund von Autonomiebestrebungen in ihren Ländern erkennen auch Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien den Kosovo nicht als unabhängigen Staat an.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic
Reuters/Zorana Jevtic
Vucic steht Moskau und Peking offen gegenüber

Doch offizielle Linie der EU ist nach wie vor die Beitrittsperspektive für die Balkan-Staaten, befürchtet man doch sonst eine weitere Verschärfung der Instabilität in der Region. Auch geostrategische Faktoren spielen eine Rolle. Denn neben dem historischen Verbündeten Russland baut China seinen Einfluss auf dem Westbalkan zunehmend aus. Beide Mächte wollen eine Integration der Region in westliche Institutionen verhindern. Besonders bei Vucic stoßen die beiden Staaten auf offene Türen. Zugleich gilt der serbische Präsident als wichtiger Gesprächspartner der EU-Unterhändler.

„Gewalttätiger großserbischer Nationalismus“

Der Konflikt mit dem Kosovo ist nicht der einzige Unruheherd auf dem Balkan. Erst Anfang September kam es in Montenegro bei der Einführung des serbisch-orthodoxen Kirchenoberhaupts zu Ausschreitungen. Für Anhänger der Unabhängigkeit Montenegros war dieser Schritt eine Machtdemonstration des proserbischen Lagers.

Die Kritik an Vucic’ Politik ist groß. „Der gewalttätige großserbische Nationalismus, der im Zentrum der serbischen Staatspolitik steht, versucht dreist, Montenegro als einen weiteren serbischen Staat darzustellen, der seine Unabhängigkeit durch einen Fehler und eine Nachlässigkeit der früheren Belgrader Staatsführung erlangt hat“, sagte der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic in einem Interview mit „Jutarnji list“ vor wenigen Tagen. Er sieht Frieden und Stabilität genauso gefährdet wie in den 1990er Jahren.

Slowenien will EU-Beitritt beschleunigen

Sowohl Serbien als auch Montenegro führen bereits Beitrittsgespräche mit der EU. Die von Brüssel bemühte Beitrittsperspektive verlor mit den Jahren an Zugkraft. Fortschritte gab es nur wenige, die Hürden blieben. Im Kosovo wächst die Distanz zur EU, nicht zuletzt aufgrund der nach wie vor fehlenden Visaliberalisierung, ein EU-Beitritt ist angepeilt, aber noch in weiter Ferne. Auch für den EU-Beitrittskandidaten Serbien ist die fehlende Anerkennung eines unabhängigen Kosovo ein Hindernis für diesen Weg. Ein von der EU geförderter Dialog zwischen beiden Staaten erreichte bisher kaum Fortschritte.

Erst Mitte September mahnte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die EU zu mehr Geschwindigkeit beim Beitrittsprozess für den Westbalkan. Die EU habe ein „absolutes geostrategisches Interesse, diese Länder aufzunehmen“. Die slowenische Ratspräsidentschaft macht nun einen Schritt Richtung Beschleunigung und richtet am Mittwoch kommender Woche einen EU-Westbalkan-Gipfel aus. Als ein Tagesordnungspunkt ist die „Bekräftigung der europäischen Perspektive für den Westbalkan“ vorgesehen. Die Frage ist, wie lange das Versprechen einer Beitrittsperspektive ausreicht, ohne dieses in absehbarer Zukunft auch einzulösen.