Nancy Pelosi und Kathy Castor
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Spannung vor Votum

Bidens Prestigeprojekte am seidenen Faden

Die entscheidende Woche im US-Kongress kommt zu ihrem Höhepunkt: Präsident Joe Biden hat zuletzt gleich auf mehreren Fronten gekämpft – gegen einen drohenden „Shutdown“, gegen einen möglichen Zahlungsausfall der Regierung und gegen ein Scheitern seiner großen Prestigeprojekte. Spannung herrscht nun am Donnerstag vor der Abstimmung über das Infrastrukturpaket.

Und diese Abstimmung ist deshalb von so besonderer Bedeutung, weil es indirekt um zwei zentrale Vorhaben von Bidens Amtszeit geht: einerseits um ein großangelegtes Paket für Investitionen in die Infrastruktur des Landes und andererseits um ein gigantisches Paket mit Investitionen für Soziales. Der gesamte finanzielle Umfang ist kaum greifbar: Er beträgt 4,5 Billionen Dollar (knapp vier Billionen Euro).

Mit dem ersten Paket sollen Straßen, Brücken sowie andere Verkehrs- und Energienetze in den USA modernisiert werden. Ein zweites Paket sieht einen deutlichen Ausbau der Sozialleistungen vor. Biden will etwa mehr in Bildung und Kinderbetreuung investieren, Familien stärker unterstützen und sie steuerlich entlasten sowie Geld für den Kampf gegen die Klimakrise in die Hand nehmen. Es ist das Herzstück seiner Reformideen.

Verknüpfung der Pakete als Druckmittel

Widerstand kam zuletzt aber ausgerechnet von Vertreterinnen und Vertretern aus Bidens eigenen Reihen – und letztlich geht es um den Einsatz eines Druckmittels: So drohten linke Abgeordnete damit, das Infrastrukturpaket zu blockieren, sofern nicht zugleich das finanziell um das Dreifache größere Sozialpaket gesichert sei. Sie fürchten, dass Letzteres im Senat versanden könnte, wenn das Infrastrukturpaket erst einmal beschlossen ist.

Das Capitol in Washington
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Das Kapitol in Washington als Schauplatz für das Ringen um Bidens Vorhaben

Einige moderate Demokratinnen und Demokraten sehen die hohen Ausgaben kritisch, während sich einige Progressive in der Partei mehr gewünscht hätten. Weil sich aber die Republikaner gegen das Sozialpaket stellen, wollen es die Demokraten mit einem parlamentarischen Sonderverfahren aus eigener Kraft durch den Kongress bringen. Sie haben in beiden Kammern aber nur knappe Mehrheiten, und auch bei ihnen sind die Pläne umstritten.

Biden sagte Reise nach Chicago ab

Ursprünglich hätte bereits am Montag über das Infrastrukturpaket abgestimmt werden sollen, doch wurde das Votum aufgrund der andauernden internen Verhandlungen auf Donnerstag verschoben. Biden äußerte sich zuletzt optimistisch, dass für beide Pakete Mehrheiten zustande zu bringen seien. Dennoch sagte er eine für Mittwoch geplante Reise nach Chicago ab: Biden werde im Weißen Haus bleiben, um seine beiden Investitionspakete voranzubringen, hieß es offiziell.

Apropos Mehrheiten – diese sind freilich auch für das Sozialpaket nötig: Weil die Demokraten im Senat nur über einen hauchdünnen Überhang verfügen, können sie sich nicht einen einzigen Abweichler leisten – sonst scheitert das Vorhaben. Beide Parteien stellen im Senat jeweils 50 Senatoren, in Pattsituationen gibt Vizepräsidentin Kamala Harris in ihrem Amt als Senatspräsidentin den Ausschlag.

Zwei demokratische Ausreißer

Finanziert werden soll das Sozialpaket durch höhere Steuern für Unternehmen und Reiche. Die oppositionellen Republikaner lehnen die Pläne entschieden ab. Allerdings haben auch demokratische Senatoren Vorbehalte, insbesondere die Mitte-Politiker Joe Manchin und Kyrsten Sinema. Ihnen ist der finanzielle Umfang des Pakets zu groß – aber letztlich geben wohl Interessen den Ausschlag für die ablehnende Haltung. Bis zuletzt versuchte Biden, die beiden auf seine Seite zu bekommen.

US-Senator Joe Manchin
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Das Weiße Haus und viele Demokraten hofften, dass der Widerstand von Demokrat Joe Manchin mit der Zeit bröckeln würde – bisher vergebens

Manchin – Bidens vermutlich größter innerparteilicher Widersacher, 74 Jahre alt, aus West Virginia und seit 2010 im Senat – steht selbst vor einem heiklen politischen Balanceakt, wie die „Financial Times“ schrieb. West Virginia ist einer der ärmsten Bundesstaaten des Landes und hat mit der sinkenden Nachfrage nach Kohle zu kämpfen, die seine Minen bedroht.

Der zur Debatte stehende Gesetzesentwurf würde Mittel für wirtschaftlich angeschlagene Gebiete wie Kohlebergbaugemeinden bereitstellen und ein wesentlich stärkeres soziales Sicherheitsnetz schaffen, das insbesondere Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen zugutekäme. Manchin wehrt sich jedoch gegen den hohen Preis des Gesetzentwurfs sowie gegen bestimmte Bestimmungen, darunter das Ausmaß der Maßnahmen zum Klimawandel und die Steuererhöhungen.

2018 gewann er die Wiederwahl mit einem äußerst knappen Vorsprung von 49,6 Prozent zu 46,3 Prozent. Der Großteil der Wähler und Wählerinnen ist ihm treu geblieben, obwohl die Region und der Bundesstaat Biden-Vorgänger Donald Trump bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen unterstützt haben und sich viele Einheimische von der Demokratischen Partei entfremdet fühlen.

Manchins großzügiger Geldgeber

Politische Fachleute führen Manchins Widerstand allerdings nicht nur auf die konservative Ausrichtung seines Bundesstaates zurück, sondern auch auf die Befürchtung, dass große Veränderungen die Großspenden aus West Virginia und anderswo beeinträchtigen könnten. Laut Open Secrets, einer in Washington ansässigen Organisation, die politische Ausgaben verfolgt, ist Tellurian, ein in Texas ansässiges Erdgasunternehmen, seit 2017 Manchins größter Geldgeber.

Streit von Drohkulisse begleitet

Doch ist das Ringen um Bidens Prestigeprojekte von einer Drohkulisse begleitet: Es könnte nämlich auch zu einem partiellen Stillstand der Regierungsgeschäfte kommen. So endet am Donnerstag das laufende Haushaltsjahr, das neue beginnt am 1. Oktober, also am Freitag. Ist bis dahin keine Budgetregelung zur vorläufigen Finanzierung der Regierung beschlossen, kommt es zu einem „Shutdown“ von Teilen des Regierungsapparats.

„Shutdowns“ von Teilen der Regierung kommen in den USA öfter vor. Das heißt, Staatsbedienstete müssen zum Teil zwangsbeurlaubt werden oder vorübergehend ohne Bezahlung arbeiten. Je nach Länge können bestimmte Behördendienste eingeschränkt oder Zahlungen verzögert werden. In der Vergangenheit dauerten solche „Shutdowns“ manchmal nur wenige Tage oder Stunden, womit sich die Folgen in Grenzen halten, oder aber Wochen, was zu größeren Verwerfungen führen kann.

Zahlungsausfall der Regierung?

Es droht aber noch größeres Ungemach: Sollte der Kongress nicht bald auch eine Anhebung oder Aussetzung der Schuldenobergrenze beschließen, könnten die Vereinigten Staaten ab Mitte Oktober zum ersten Mal in der Geschichte des Landes zahlungsunfähig werden, wie Finanzministerin Janet Yellen zuletzt sagte. Bisher gibt es über diese beiden Haushaltsfragen Streit zwischen Demokraten und Republikanern.

In einem Brief an die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nannte Yellen dafür das Datum 18. Oktober und schrieb: „Wir glauben, dass das Finanzministerium seine außerordentlichen Maßnahmen wahrscheinlich ausschöpfen wird, wenn der Kongress bis zum 18. Oktober keine Maßnahmen zur Anhebung oder Aussetzung der Schuldengrenze ergriffen hat. Wir gehen davon aus, dass dem Finanzministerium dann nur noch sehr begrenzte Mittel zur Verfügung stehen würden, die schnell aufgebraucht wären.“

Abstimmung über Übergangsbudget

Der demokratische Senatsführer Chuck Schumer kündigte nun an, dass der Senat noch am Donnerstag über eine Übergangsfinanzierung abstimmen wird, um den Zahlungsausfall vorerst zu verhindern. Eigentlich wollten die Demokraten diesen Beschluss mit einer Aussetzung der Schuldenobergrenze verbinden. Das scheiterte jedoch am Widerstand der Republikaner.

Der Übergangshaushalt, den der Senat nun beschließen will, würde die Finanzierung der Bundesbehörden bis zum 3. Dezember sicherstellen. Bei einer Haushaltssperre würden Hunderttausende Bundesbedienstete in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt, zahlreiche öffentliche Einrichtungen müssten schließen. Ein „Shutdown“ inmitten einer nationalen Krisensituation wie der CoV-Pandemie wäre ein Novum in der US-Geschichte.