Jugendliche auf der Wiener Mariahilfer Straße
ORF.at/Carina Kainz
Zielgruppen ansprechen

Wie Impf-Infos stichhaltiger sein könnten

Einzelne Gruppen gezielt anzusprechen und über die Coronavirus-Impfung zu informieren – das wäre schon vor Wochen das Gebot der Stunde gewesen, um die stagnierende Impfrate zu erhöhen. Das meinen viele Expertinnen und Experten bei einem Rundruf von ORF.at. So gut wie alle sind sich einige, dass ein zielgruppenorientiertes Vorgehen jetzt – spät, aber doch – noch sinnvoll wäre.

Mit dem Stand der bisherigen Kampagne gehen einige Experten hart ins Gericht. Jene Gruppen, um die es jetzt gehe, seien überhaupt nicht angesprochen worden. Die Vorschläge lassen sich grob in zwei – miteinander verwobene – Ansätze einteilen: So wird einerseits eine zielgruppenorientierte Impfkampagne vorgeschlagen, die die spezifischen Gruppen konkret und abseits der klassischen Medien- und Politikkanäle anspricht.

Andererseits werden die ausformulierten Grundsätze der Gesundheitskommunikation ins Spiel gebracht: möglichst transparente Information im persönlichen Gespräch, die nicht unbedingt eine „Überredung“ zur Impfung ist. Doch auch das müsse auf die Zielgruppe und auf deren Bedürfnisse abgestimmt sein.

Unterschiedliche Typen von Ungeimpften

Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien (IHS), sagt gegenüber ORF.at, die Hintergründe, warum sich Menschen nicht impfen lassen wollen, seien vielfältig: „Daher wäre es notwendig gewesen, zunächst diese Hintergründe zu erforschen und auf dieser Basis zielgruppenorientierte Maßnahmen zu entwickeln.“ Schon im Frühsommer hätte man, so Czypionka, solche Erhebungen anstoßen müssen, denn aus den Studien wisse man, dass entsprechende Maßnahmen für eine höhere Impfquote sehr geholfen hätten.

Von Datenerhebungen in anderen Ländern wisse man auch, dass es unterschiedliche Typen von Ungeimpften gebe, „die sich stark voneinander unterscheiden“. Die radikalen Impfverweigerer seien „eine kleine Minderheit“, diese würden aber „durch ihre mit Verve vorgetragene Falschinformation“ andere Gruppen stark beeinflussen. „Diese Menschen sind von einem starken Misstrauen gegenüber dem Staat und Experten geprägt, das an religiösen Fanatismus grenzt, neigen aber paradoxerweise dazu, andere Heilsversprechen recht unkritisch zu übernehmen.“

Konkrete Empfehlungen

Wesentlich bedeutender seien Skeptiker der „Schulmedizin“, die nicht an sich radikal seien, aber allem kritisch gegenüberstünden, was „ihren Körper und Geist beeinflussen könnte“. Diese würden aber viele anderen beeinflussen, die sich „Sorgen über mögliche Folgen machen, die sie ganz persönlich betreffen könnten“, so Czypionka.

Eine große Gruppe sein auch die Menschen mit „Intentions-Verhaltens-Lücke“, also solche, die zwar grundsätzlich Impfwillig sind, aber aufgrund etwa des geringen persönlichen Risikos nie „dazu kommen“, sich impfen zu lassen. Diese beiden Gruppen sollte man ansprechen – das sei auch durchaus erfolgversprechend.

Die „Ängstlichen“ könne man über vertrauenswürdige Kanäle wie „HausärztInnen und angesehene Community-Mitglieder“ erreichen. Sie benötigen „auf ihre Ängste zugeschnittene, vertrauenswürdige und einfach verständliche, ehrliche Kommunikation“. Die Menschen, die „nie dazukommen“, könne man, so Czypionka, vor allem durch Senken der Schwelle zur Impfung, Verstärkung der sozialen Norm und Bestärkung altruistischer Motive gewinnen.

Im Sommer verschlafen?

Ähnlich sehen das Jakob-Moritz Eberl und Julia Partheymüller vom Austrian Corona Panel Project an der Uni Wien. Sie verweisen auf ihre Untersuchungen, wonach insbesondere jüngere und mittlere Alterskohorten, Personen mit geringem Einkommen sowie politikferne Menschen häufiger zögerlich beim Impfen sind – aber mit einer gezielten Informationskampagne durchaus noch erreichbar wären. Diese Gruppen würden sich im Vergleich zu Geimpften nämlich deutlich schlechter informiert fühlen.

Zudem wisse man, dass die „Sorge vor Nebenwirkungen bei Frauen deutlich höher ist als bei Männern (Stichwort: Fruchtbarkeit)“. Da anzusetzen habe „die Bundesregierung leider den Sommer über verschlafen“. Insbesondere bei „Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat man es komplett verabsäumt, sie direkt zu adressieren“, so Eberl und Partheymüller. In kleinen Schritten werde momentan versucht, hier etwas nachzuholen.

Verweis auf Wahlkämpfe

Die beiden Politikwissenschaftler verweisen auch darauf, dass man junge Menschen mit klassischen Medien – und auch Facebook – nicht mehr erreiche, sondern eher per Instagram und TikTok. Dass „Targeted Advertising" in der Politik nicht unbekannt ist, hätten die Regierungsparteien in den vergangenen Wahlkämpfen schon unter Beweis gestellt. „Bei so einer Impfkampagne kann man sich das – zumindest in Sozialen Medien – ziemlich ähnlich vorstellen.“ Es brauche auch positive Botschaften, auch als Gegenmodell zur Rhetorik der Impfgegner. „Wenn eine Impfkampagne ausschließlich mit Ängsten und Sorgen spielt, kann das auch schnell nach hinten losgehen.“

An Vorbildern mangelt es nicht: Der Dachverband der englischen Lokalbehörden etwa veröffentlichte schon im März Leitfäden zu zielgruppenorientierter Information. Im Mai erschien ein Dokument der OECD, das zeigt, wie Regierungen das Vertrauen in die Impfung stärken können. Und auf der Website des britischen Parlaments wurde schon Anfang Juni ein Papier veröffentlicht, das zeigt, welche Gruppen aus welchen Gründen impfskeptisch sind – und wie man diesen begegnen kann.

Gartlehner: „Überfällig“

„Eine zielgruppenorientiert Kommunikation ist überfällig“, sagt auch der Epidemiologe Gerald Gartlehner gegenüber ORF.at. Die jetzige Kampagne sei „eher bemitleidenswert, damit erreicht man sicher keine jungen Personen oder MigrantInnen, sondern nur jene, die vermutlich ohnehin schon geimpft sind“.

Es brauche Kampagnen, die genau diese mit dort respektierten Testimonials erreichen können. Eine Kampagne müsse auch Emotionen ansprechen: „Ein Spot mit einer Ärztin, die 30 Sekunden nur redet, das kann es ja nicht sein. Da ist ja sogar die Zeckenimpfkampagne deutlich besser und emotionaler“, so Gartlehner. Eventuell könne man auch über Schockkampagnen mit Schilderungen von erkrankten Ungeimpften nachdenken, wie sie in den USA laufen.

Gesundheitsministerium verweist auf bisherige Arbeit

Bei den verantwortlichen Stellen verweist man indes auf die bisherige Arbeit: Im Gesundheitsministerium betont man, dass zielgruppenorientierte Kommunikation schon immer eine große Rolle gespielt habe. Ergänzend zur „Österreich impft“-Kampagne seien Verbände und Vereine individuell angesprochen worden. Für diese seien auch Materialien wie Folder und Factsheets zielgruppengerecht aufbereitet worden – auch in verschiedenen Sprachen, zudem habe man sich um den Austausch mit Multiplikatoren bemüht.

Social-Media-Kampagne mit Luft nach oben

Vonseiten der Kampagne „Österreich impft“ heißt es gegenüber ORF.at, dass man sich zunächst der Zielgruppe der Älteren und dann Risikogruppen sowie systemrelevanten Berufen zugewendet habe. Auch habe man sich später einzelnen Zielgruppen zugewendet wie Lehrerinnen und Lehrern, Kindergartenpersonal sowie Hausärztinnen und Hausärzten. Man verweist auch auf die Social-Media-Aktivitäten, wo man Teile der Kampagne, teilweise auch in Fremdsprachen „zielgruppengerecht verschaltet“ habe.

Ein Blick auf den Facebook- und Instagram-Account von „Österreich impft“ offenbart jedenfalls Potenzial nach oben: Es gibt jeweils ein paar tausend Follower, die Zahl der Likes einzelner Postings liegt – zumindest in den Sommermonaten – im knapp dreistelligen Bereich. Auf dem YouTube-Kanal können einige Videos aus dem Frühjahr sechsstellige Zugriffszahlen aufweisen. Das neueste Video stammt aber von Anfang Juli.

Screenshot Instagram: Österreich impft
www.instagram.com
„Österreich impft“ auf Instagram

Bundesländer werden aktiv

Gegenüber ORF.at argumentiert man, dass man schon bisher "auch politik- und medienferne junge Menschen als Zielgruppen adressiert und erreicht“ habe, schließlich habe man „in der Impfkampagne nie klassische Politiksettings“ verwendet. Und während der Sommermonate sei man „mit der Kampagne dorthin gegangen, wo sich junge Erwachsene aufhalten: auf Partnerbörsen wie Tinder“. Auch stark frequentierte Plätze wie in Wien den Donaukanal und den Karlsplatz habe man aufgesucht, das wolle man fortsetzen.

Mittlerweile werden auch einige Bundesländer verstärkt aktiv: Oberösterreich kündigte – im Wahlkampf – Informationen an, die junge Frauen in den Fokus nehmen, Wien will demnächst eine Social-Media-Kampagne für Jugendliche starten – mehr dazu in wien.ORF.at.

„Impfkompetenz stärken“

In Vorarlberg beschäftigt sich unter anderen die aks gesundheit mit der Vermittlung von Gesundheitsinformationen. Für Andrea Niemann muss gute Impfinformation Menschen in ihrer Impfkompetenz stärken, damit diese eine individuelle Impfentscheidung treffen können – mit leicht verständlichen Informationen, die genau die Punkte offen ansprechen, die sie verunsichern. Die aktuelle Faktenlage soll transparent dargestellt werden, aber auch offene Fragen in der Wissenschaft dürften nicht ausgespart bleiben.

Die Impfkommunikation sei in Österreich lange vernachlässigt worden, so Niemann, deshalb sei es nicht verwunderlich, dass sich die Österreicherinnen und Österreicher in der Pandemie so verhalten. Schon vor dem Coronavirus habe Österreich zu den Ländern mit der größten Impfskepsis gezählt. „Jetzt Menschen in ihrer Impfkompetenz stärken heißt, nachhaltig in eine bessere Impfkompetenz zu investieren.“ Niemann verweist auf die 15 Qualitätskriterien für Gesundheitskommunikation der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK). Für die flächendeckende Umsetzung brauche es aber auch eine Finanzierung des Bundes.

„Maßgeschneidert, verständlich und nützlich“

In diesen 15 Kriterien lautet gleich der erste Punkt, dass Gesundheitskommunikation „maßgeschneidert, verständlich und nützlich für ihre Zielgruppe“ sein müsse. Auch „Nutzen und Schaden“ seien ausgewogen darzustellen. Diese Standards seien entscheidend, sagt auch Public-Health-Experte Martin Sprenger. Er sieht eine zielgruppenspezifische Impfkommunikation als „unverzichtbar“ an: „Wir haben es ja mit enorm unterschiedlichen Risiken, aber auch sehr zielgruppenspezifischen Fragen zu tun.“ Ansprechen müsste man insbesondere jene, „die ein hohes Risiko haben, nach einer Infektion schwer zu erkranken oder zu versterben“.

Ein Großteil dieser Risikogruppen sei leicht zu erreichen, „schwierig ist es aber, die noch offenen Impflücken zu erkennen und zu schließen. Dazu braucht es innovative, niederschwellige und proaktive, also aufsuchende Zugänge“. Am besten geeignet seien dafür wohnortnahe „niedergelassene Vertrauensärzte, aber auch NGOs die Zugang zu bestimmten Bevölkerungsgruppen oder sogenannte ‚Community Leader‘, wenn es um bestimmte ethnische Gruppen geht“.

Christina Dietscher, Vorsitzende der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz, verweist zudem auf ein Factsheet der ÖPGK (PDF). Die Aufbereitung von guten und verlässlichen Informationen passiere häufig relativ lokal. Dabei sei es wichtig, die Vertreter der Zielgruppen einzubinden, wenn es darum geht, die wichtigen Fragen zu definieren und sicherzustellen, dass die Antworten gut auffindbar sind. Die „lokale Kommunikation vor Ort durch lokale ‚Influencer‘“ sei, das zeige die Erfahrung, „oft wirksamer“ als Kampagnen, so Dietscher.

Foitik: Überzeugungsarbeit von allen notwendig

In eine ähnliche Kerbe schlägt Gerry Foitik vom Roten Kreuz, im Vorjahr an vorderster Front bei der Pandemiekeämpfung an der Seite der Regierung. Schon damals hatte er in einem Paper vorgeschlagen, die Regierungskommunikation stärker auf Zielgruppen abzustimmen und mit anerkannten Galionsfiguren zu werben. Statt von Zielgruppen will er jetzt von Menschen reden, „die noch nicht vom Benefit einer Impfung überzeugt sind“. Diese gelte es von allen und überall zu überzeugen, „am Arbeitsplatz, in der Schule, im Freundeskreis, in der Familie, im Sportverein und überall sonst, wo wir mit Menschen in Kontakt sind“.

Dafür brauche es natürlich gut aufbereitete Argumente auf Basis von Fakten – das sei Aufgabe der Experten, der Ärzte, der Medien, der Kampagnenverantwortlichen und der Regierenden.

Ärztekammer: Fokussierung ratsam

Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferates der Österreichischen Ärztekammer, erklärt gegenüber ORF.at, dass eine größere Fokussierung in der Impfkommunikation sehr ratsam wäre: „Die Durchimpfungsrate ist in Österreich weiterhin nicht dort, wo sie sein müsste, um die Pandemie in den Griff zu bekommen.“ Man merke in der Praxis, dass die Informationen über die Schutzimpfungen oft an verschiedenen Bevölkerungsgruppen, etwa an Menschen mit Migrationshintergrund, „vorbeigeflossen“ seien.

Hier brauchte es eine treffsicherere Ansprache, so Schmitzberger. Vonseiten der Ärztekammer sei eine „spezielle Informationskampagne, die speziell jene Kolleginnen und Kollegen einbezieht, die mehrere Sprachen in ihrer Ordination anbieten“, in Planung.