Taliban Kämpfer in Kabul
Reuters
Afghanistan

Taliban kämpfen mit Spezialkräften gegen IS

Rund eineinhalb Monate nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan gehen die militant-islamistischen Taliban mit Hilfe von Spezialeinsatzkräften gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vor. Die Truppen hätten bereits einige IS-Mitglieder getötet oder gefangen genommen, teilte ein Taliban-Sprecher am Mittwoch mit. Mit dem IS sind die Taliban trotz ähnlicher dschihadistischer Ideologie tief verfeindet. Sie haben in der Vergangenheit gegeneinander gekämpft.

Der von den Taliban als „aufrührerische Kraft“ bezeichnete IS hat laut Sprecher in Afghanistan keine Hochburg mehr. Ziel sei es nun, die „unsichtbare“ Präsenz des IS auf null zu reduzieren, hieß es weiter. Die Taliban gaben zunächst nicht bekannt, wo ihre Truppen im Einsatz gewesen sein sollen. Einige lokale Sender berichteten jedoch, dass die Taliban in der Hauptstadt Kabul und in der Provinz Nangarhar Einsätze gegen den IS begonnen hätten.

In den vergangenen Wochen hatte sich der IS zu einer Reihe von Angriffen auf die Taliban in östlichen Teilen des Landes, insbesondere in Nangarhar, bekannt. Der IS ist dort seit Langem präsent und kämpft gegen die Taliban. Der lokale IS-Ableger IS-K hatte auch den Angriff auf den Flughafen in Kabul Ende August für sich reklamiert, als Tausende versuchten, das Land zu verlassen.

Anschlag auf den Flughafen in Kabul
AP/Wali Sabawoon
Der afghanische Ableger des IS reklamiert den verheerenden Anschlag auf den Kabuler Flughafen am 26. August für sich

Bedrohung wächst

Ein Selbstmordattentäter hatte sich in die Luft gesprengt und Dutzende Menschen mit in den Tod gerissen, darunter 13 US-Soldaten und viele Taliban-Kämpfer. IS-K kündigte bereits weitere Anschläge an. Der IS-K wurde im Jänner 2015 als regionaler IS-Ableger gegründet. Dieser hatte ein halbes Jahr zuvor sein Kalifat in Syrien und dem Irak ausgerufen und war dort auf dem Zenit seiner Macht. Die IS-Führung erkannte IS-K offiziell als Ableger an. Über die Jahre soll sie ihn auch mit Geld unterstützt haben.

Aber nicht nur der IS steht den Taliban feindlich gegenüber, auch regionale Milizen könnten sich von den Taliban abwenden, sollte ihre Integration nicht gelingen. Hinzu kommt die Bedrohung durch rivalisierende Islamisten. Im Aufwind befindet sich bedingt durch den raschen US-Abzug vor allem das Terrornetzwerk al-Kaida, das immer noch in weiten Teilen Afghanistans präsent und mit dem IS verfeindet ist.

Taliban Kämpfer in Kabul
APA/AFP/Wakil Kohsar
Ein „Special Forces“-Taliban-Kämpfer patrouilliert in Kabul

USA gestehen Fehleinschätzungen ein

Das US-Militär hatte zahlreiche Fehleinschätzungen beim Abzug aus Afghanistan offengelegt und vor einer Terrorgefahr gewarnt. „Es ist klar, es ist offensichtlich, dass der Krieg in Afghanistan nicht zu den Bedingungen geendet hat, die wir wollten“, sagte Generalstabschef Mark Milley bei einer Anhörung im Senat am Dienstag. Dass Terrorgruppen wie der IS und al-Kaida von Afghanistan aus versuchen könnten, die USA anzugreifen, sei eine „sehr reale Möglichkeit“.

Milley hat den damaligen Präsidenten Donald Trump und seinen Nachfolger Joe Biden eigenen Angaben nach vor den Gefahren eines schnellen Abzugs gewarnt. Die letzten US-Truppen hatten Afghanistan Ende August verlassen. Damit endete der internationale Militäreinsatz in dem Land nach fast 20 Jahren – auch die militärische Evakuierungsmission war damit beendet worden.

Milley sagte außerdem, dass er bereits im Herbst 2020 davor gewarnt habe, dass ein zu schneller Abzug der Truppen aus Afghanistan zu einem „allgemeinen Bürgerkrieg“ führen könnte. „Das war vor einem Jahr, und meine Einschätzung ist bis heute gleich geblieben.“ Milley und General Kenneth McKenzie, der zuständige US-Kommandant für die Region, sagten außerdem, dass sie persönlich der Ansicht gewesen seien, es sei besser, etwa 2.500 US-Soldaten in dem Land zu belassen.

Al-Kaida im Aufwind

Biden hatte im April angekündigt, alle US-Soldaten spätestens bis zum 11. September bedingungslos aus Afghanistan abzuziehen. Im Juli zog Biden das Datum für den vollständigen Abzug auf den 31. August vor. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin gestand Fehler ein, verteidigte aber auch, dass die militärische Evakuierungsaktion am 31. August beendet wurde.

Biden argumentierte, das wesentliche Ziel des Einsatzes sei spätestens mit der Tötung von Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden vor gut zehn Jahren erreicht worden. Tatsächlich mussten die USA seit dem 11. September 2001 keinen ähnlichen Terrorangriff mehr durchleiden. Der Sieg der Taliban ist aber auch ein später Triumph der al-Kaida.

Nach Einschätzung der Denkfabrik Soufan Group ist die al-Kaida heute „unermesslich stärker“ als zum Zeitpunkt der Anschläge vor 20 Jahren. Das Netzwerk zählt demnach weltweit 30.000 bis 40.000 Mitglieder mit Ablegern unter anderem im Nahen Osten, Nordafrika, Südasien und auf der Arabischen Halbinsel. Trotz vieler Rückschläge könne al-Kaida nach dem US-Abzug jetzt auch in Afghanistan wieder Kraft sammeln und neue Mitglieder gewinnen.

G-20-Gipfel in Rom

Am 12. Oktober wird ein außerordentlicher G-20-Gipfel zu Afghanistan stattfinden. Das kündigte Italiens Ministerpräsident Mario Draghi am Mittwoch in Rom an. Italien hat derzeit den G-20-Vorsitz inne. Der Gipfel sei notwendig, um eine „soziale und zivile Katastrophe“ in Afghanistan abzuwenden, sagte Draghi.

Europa müsse viel mehr für Verteidigung ausgeben. Das sei angesichts der jüngsten internationalen Ereignisse eine Notwendigkeit, sagte Draghi. Die aktuell laufende Überprüfung der Haushaltsregeln der Europäischen Union werde „mit ziemlicher Sicherheit“ zu einigen Änderungen führen.