Eindrücke von der Isarphilarmonie in München
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Isarphilharmonie

Klassik trifft Maschendrahtzaun

Zwischenzeitliche Konzertsaal-Umzüge machen im Moment Schule. In Zürich wurde der Umzug des Tonhalle-Orchesters in die Industrielocation zum Kult. Jetzt zieht München nach und eröffnet in wenigen Tagen die Isarphilharmonie. Unweit des 1860er-Stadions, neben einer alten Trafohalle, entsteht einer der hippsten Konzertsäle Europas. Ganz in Schwarz verspricht man Kammerkonzert-Gänsehaut für knapp 2.000 Besucher. Und hofft mit Nachtsessions in der Industriehalle auf neues, jüngeres Publikum.

Wenn die Hamburger Elbphilharmonie ein hochkulturelles Flaggschiff und Stadtwahrzeichen sein will, dann setzt man in München dieser Tage auf das Gegenmodell. Europas größtes Kulturzentrum, der Backsteinbau am Gasteig mit Konzertsaal, Bibliotheken und Kunstschulungszentren, muss saniert werden. Für die lange Zeit des Umbaus wäre vor allem die Münchner Philharmonie heimatlos. Und mit ihr Stardirigent Waleri Gergijew, den man ohnedies gerne öfter und länger in München sähe.

Aus der Not entstand ein Projekt, das sich Isarphilharmonie nennt – und das in einem neuen Setting nicht nur den Konzertbetrieb weiter führen, sondern zum Magneten für neue Publikumsschichten werden soll. Das weiß auch Max Wagner, Chef des Gasteig, der den Spagat wagen muss zwischen den Abonnenten, die auch an den neuen Ort kommen sollen, und dem Anspruch, im Stadtteil Sendling, der sich auch zu einer Art Wien-Neubau in Groß verwandelt, neue, vor allem jüngere Publikumsschichten anzulocken.

Querschnitt durch die zwei Teile des Gebäudes
gmp Architekten
So soll die neue Isarphilharmonie funktionieren. Links die Konzerthalle, rechts die Nutzung der alten Trafohalle der Stadtwerke München

„Der HP8 wird Kult“

„Der Gasteig HP8 wird Kult“, zeigt sich Wagner bei einer Besichtigung des von Gerkan, Marg und Partner umgebauten Areals auf den Gründen der Münchner Stadtwerke überzeugt: „Schon jetzt spürt man die frische und innovative Ausstrahlung.“ Das Kürzel HP8 beim neuen, zwischenzeitlichen Gasteig steht simpel für Hans-Preißinger-Straße Nummer 8, also dem Standort des neuen Kulturzentrums, das momentan noch Ausweichquartier ist – aber förmlich nach einer Nachnutzung schreit. Drei Millionen Bücher ziehen in den nächsten Monaten um, damit das Gasteig seine Funktion als integratives Kulturzentrum fortsetzen kann. Am 8. Oktober wird die Konzerthalle, die man nebenan in einen Kubus gesetzt hat, eröffnet. Innen fast nur aus Stahl und Holz (mit zwei betonierten Seitenwänden für den Brandschutz) soll sie als Isarphilharmonie 1.800 Besuchern Platz bieten.

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Eindrücke von der Isarphilarmonie in München
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Zwischenbereich zwischen der alten Trafohalle und der neuen Isarphilharmonie
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Die alte Trafohalle soll der Magnet fürs breite Publikum werden
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Blick aus dem Regieraum in die Phiharmonie
Eindrücke von der Isarphilarmonie in München
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Foyer mit Industriecharme soll neues Publikum locken
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Besichtigung vor Ort. In der Mitte: Valerie Gergiew, der Akustikexperte Yasuhisa Toyota und Gasteigchef Max Wagner
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Industriecharme in allen Auf- und Abgängen im Haus
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Die Bühne mit dem speziellen Boden – er ist vor allem für den Klang im Haus verantwortlich
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Bücherregale auf Zeit in den Obergeschossen der Trafohalle
Eindrücke von der Isarphilarmonie in München
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Das Publikum soll leuchten, nicht der Saal
Eindrücke von der Isarphilarmonie in München
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Vieles war knapp vor der Eröffnung am Gasteig HP8 noch Baustelle

Sendling als Kulturhotspot

40 Millionen kostet die Errichtung der Isarphilharmonie, auf 70 Millionen taxiert man den Aufbau des gesamten neuen Gasteigs, der tatsächlich neue Schichten ansprechen könnte – und auch soll. Denn rund um die Kulturlocation prägen eher Werkstätten und Industriearchitektur das Setting. Aber auch die neue, junge Kreativ-„Industrie“ zieht es zunehmend nach Sendling. Gegenüber, am anderen Isar-Ufer, ist das Herzgebiet von 1860 München rund um das legendäre Stadion an der Grünwalder Straße. Wenn man so will, ist die Hochkultur in das Ur-München umgezogen, vergleicht man es mit dem Setting am alten Gasteig, das im Viertel Au doch eher in der wohlbestallten Gegend steht.

Der Umzug als neue Chance

Waleri Gergijew im Interview zum Umzug des Gasteigs auf die andere Isarseite

Der alte Gasteig hat ja nicht ausgedient. Nach jahrelangen Diskussionen hat sich die Stadt für die Renovierung und radikale Modernisierung dieses markanten Backsteingebäudes ausgesprochen. Dass man irgendwann bei einer halben Milliarde Umgestaltungsausgaben angekommen ist, lässt sich auch in einer Stadt wie München nicht immer leicht argumentieren. Zumal man sieht, dass in München wie in vielen deutschen Großstädten im Westen die Infrastruktur marode geworden ist. Wer in München U-Bahn fährt, würde sich auch nicht wundern, wenn Gustl Bayrhammer mit dem Pumuckl ums Eck biegte, so sehr steht in manchen Bereichen die Zeit still.

Blick von Oben in die neue Isarphilharmonie
Sven Hoppe / dpa / picturedesk.com
1.800 Plätze in Schwarz. Dazwischen edles Holz und Maschendrahtzaun. Ein Ort für ein neues Klangerlebnis will die Isarphilharmonie sein.

Beispiel Zürich: Der Effekt der Tonhalle Maag

Zuletzt hat Zürich vorgemacht, dass der Umzug aus dem klassischen Setting in einen Ausweichbau fast so etwas wie das Überlebens-, bzw. Nachwuchsprogramm für den klassischen Kulturbetrieb ist. Überall fehlen am Ende die Jungen. Als die Tonhalle in die sogenannte Tonhalle Maag umgezogen ist, gab es, trotz zwischenzeitlicher Einschränkungen durch die Pandemie, starken Zulauf zum klassischen Orchester im Industriebau. 600 Leute brachte man in der Tonhalle Maag unter. In München denkt man deutlich größer und will neben der Bespielung der großen Halle aber vor allem den Fabriksraum aus den 1920ern nutzen. In den Obergeschoßen ist die Bibliothek untergebracht. Unten, in den großen Foyers, träumt man von Nightsessions – und hofft wohl wie überall, dass nicht wieder die Pandemie in die Rechnung reinfährt.

Blick in die Zürcher Tonhalle Maag
Christian Beutler / Keystone / picturedesk.com
Beispiel Tonhalle Maag in Zürich. Ins zwischenzeitliche Industriesetting konnten neue Publikumsgruppen gelockt werden

„Überhaupt muss man München gratulieren, dass sie das alles durchgezogen haben“, erzählt Chefdirigent Waleri Gergijew und fügt gegenüber ORF.at hinzu: „Wir setzen darauf, dass die Leute, neben unseren Abonnenten, die uns hoffentlich die Treue halten werden, hierherkommen, um selber zu schauen und zu erleben, was diese neue Isarphilharmonie kann.“ Die Akustik wurde ja vom japanischen Guru Yasuhisa Toyota eingerichtet, der bei der Besichtigung erzählte, wie man vor allem die Bühne als einen Resonanzraum einrichten müsse. „Das Holz hier an den Wänden, das ist gar nicht so wichtig“, deutet er auf die schwarzen Paneele an der Wand. Die Wände sind jedenfalls mit einfacher Tanne vertäfelt.

Gergijew vom neuen Raum begeistert

Die Gänge rundum sprechen alle die Sprache eines Industriebaus. Möglichst roh habe man alles belassen wollen, berichtet Architekt Stephan Schütz, dem mit seinem Team ein aufregender Umbau gelungen ist. Im Klassikbereich ist alles sehr dicht und fokussiert – in den Industriebau wiederum fällt durch viele Scheiben sehr viel Licht. Die offene Atmosphäre könnte gerade den Reiz des neuen, zwischenzeitlichen Gasteigs ausmachen – gerade auch im Vergleich zur verwinkelten Architektur des Altbaus.

Stiegen in der neuen Isarphilharmonie
Sven Hoppe / dpa / picturedesk.com
Das Publikum soll in der neuen Isarphilharmonie die Farbakzente setzen.

Gergijew, der große Meister der Klangführung, ist im Gespräch mit ORF.at jedenfalls angetan von den Möglichkeiten im Saal. „Hier wird man nicht pressen, sondern eine sehr feine Klangarchitektur bieten können. Viele Nuancen sollen fühlbar werden. Und interessant ist, wie rasch wir uns auf das neue Setting, in dem wir noch viel mit Aufstellungen herumprobieren werden, einstellen können.“

Ab 8. Oktober gibt es viel von den Stammorchestern Gergiews zu hören. Sowohl die Münchner Philharmoniker als auch das Mariinsky-Orchester sollen groß aufspielen. Ein Ort für neues Publikum, aber auch Klangpuristen soll hier in Sendling entstehen – in der Hoffnung, dass die Stadt das Zwischenquartier am Ende für eine andere Nutzung erhalten kann.