Warteschlange vor Wahllokal in Berlin
Reuters/Wolfgang Rattay
Pannenserie

Berliner Wahlchaos hat Nachspiel

Es begann am Sonntag mit Fotos von langen Warteschlangen vor Wahllokalen in Berlin. In den Tagen danach kamen täglich neue Versäumnisse ans Licht. Der Wahlsonntag in Berlin zeigt sich im Rückblick als Pannenserie. Inzwischen trat die Landeswahlleiterin zurück. Und zumindest in einzelnen Wahlkreisen könnte gar ein erneuter Urnengang nötig werden.

Die Berliner Landeswahlleiterin Petra Michaelis zog am Mittwoch die Konsequenzen. Wegen der „Umstände der Wahldurchführung“ stellte die oberste Aufseherin der Wahl in Berlin ihren Posten zur Verfügung. „Ich übernehme die Verantwortung im Rahmen meiner Funktion als Landeswahlleiterin für die Umstände der Wahldurchführung am 26.09.2021“, gab sie bekannt. Sie bitte den Senat von Berlin, sie nach den Sitzungen des Landeswahlausschusses „unverzüglich abzuberufen und einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu bestimmen“, so Michaelis.

Ob die Landeswahlleiterin tatsächlich die alleinige Schuld trifft, ist freilich eine andere Frage. Zwar hat diese die Verantwortung für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Abstimmungen. Im Detail werden die Wahlen aber auf Ebene der Berliner Bezirke organisiert, die jeweils vergleichbar mit Großstädten sind. Und tatsächlich scheint manches Malheur an dem Wahlsonntag auf dieser Ebene seinen Ausgang genommen haben.

Wahlchaos in Berlin

In Berlin kam es am deutschen Wahlsonntag zu einem absoluten Chaos und Tausenden ungültigen Stimmen. Es könnte sogar sein, dass die Berliner Landtagswahl wiederholt werden muss.

Neuwahl in einzelnen Bezirken möglich

In den kommenden Tagen soll nun ein Pannenbericht vorliegen. Die Prüfung aller Ergebnisse in den Bezirken wird wegen der 1,8 Millionen gültigen Stimmen allein bei der Abgeordnetenhauswahl aber wohl noch länger brauchen.

Welche Konsequenzen – abseits des Rücktritts der Wahlleiterin – die Pannenserie noch nach sich ziehen wird, ist offen. Im Moment gehen die Verantwortlichen nicht davon aus, dass die Bundestags- oder Abgeordnetenhauswahl als Ganzes wiederholt werden muss. In einzelnen Wahlkreisen oder -bezirken könnte aber eine Neuwahl erforderlich werden, wenn Unregelmäßigkeiten sich „mandatsrelevant“ ausgewirkt haben, etwa bei knappen Ergebnissen.

Stimmabgabe nach Wahlschluss

Dass es bei der Stimmabgabe in der deutschen Hauptstadt zu Problemen kommen könnte, hatte sich bereits Sonntagvormittag abgezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt begannen die ersten Fotos von langen Warteschlangen vor mancher der 2.257 Wahllokale zu kursieren. Im Laufe des Tages wurde dann bekannt, dass mancherorts auch die Stimmzettel ausgegangen waren – und neue erst mit Boten gebracht werden mussten.

Warteschlange vor Wahllokal in Berlin
Reuters/Wolfgang Rattay
Lange Schlangen vor den Wahllokalen waren am Sonntag in Berlin keine Seltenheit

Das führte dazu, dass die Wahlleitung am späteren Nachmittag versichern musste, dass tatsächlich auch jeder und jede, die sich vor 17.00 Uhr – und damit vor Wahlschluss – vor einem Wahllokal anstellten, auch tatsächlich ihre Stimme abgeben durften. Tatsächlich hielten manche Lokale dann bis nach 19.00 Uhr geöffnet. Bürgerinnen und Bürger konnten damit ihre Stimme zu einem Zeitpunkt abgeben, als bereits die Hochrechnungen über die Bildschirme flimmerten.

Bezirk veröffentlichte nur geschätzte Zahlen

An einigen Stellen erhielten Wählerinnen und Wähler falsche Stimmzettel aus anderen Bezirken oder Wahlkreisen, die später als ungültig gewertet wurden. Auch die Auszählung lief nicht überall glatt, wie Wahlhelferinnen und Wahlhelfer berichteten. Bis Mitte der Woche lagen aus mehreren Wahllokalen im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf noch keine Ergebnisse vor, im Internet wurden geschätzte Zahlen veröffentlicht.

Wie viele Wahllokale von der Pannenserie tatsächlich betroffen waren, war auch Mitte der Woche noch unklar. Am Montag hatte die Landeswahlleitung von Problemen in etwa 100 Wahllokalen gesprochen. Seitdem mehrten sich Berichte aus vielen Berliner Bezirken. Der Sender RBB berichtete am Mittwoch, allein in mindestens 99 Wahllokalen seien auffällig viele Stimmzettel ungültig gewesen. Es gehe um mindestens 13.120 Stimmen bei allen Wahlgängen.

Bei Dauer für Stimmabgabe verschätzt

Klar scheint jedenfalls: Das Chaos scheint nicht nur eine Ursache gehabt zu haben. Einer der Hauptgründe für die langen Schlangen dürfte schlicht gewesen sein, dass an diesem Sonntag in Berlin mehr als nur der Bundestag gewählt wurde. Auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksvertretungen wurden neu gewählt. Außerdem stimmten die Berlinerinnen und Berliner über eine Volksbefragung zur Enteignung im Immo-Sektor ab.

Insgesamt sechs Kreuze konnten die Wählerinnen und Wähler also machen. Und viele von ihnen brauchten dafür offenbar länger als erwartet. Fünf bis zehn Minuten hätten manche Menschen in der Kabine verbracht, berichteten Beobachter. Zwar hatte die Landeswahlleitung mehr als 400 zusätzliche Wahllokale eingerichtet, und die Zahl der Wahlhelferinnen und Wahlhelfer war von rund 20.000 auf 34.00 erhöht worden, die Aufstockungen waren aber augenscheinlich nicht weitreichend genug. In vielen Wahllokalen wären schlicht mehr Wahlkabinen nötig gewesen.

Luftaufnahme vom Berlin Marathon
Reuters/Annegret Hilse
Einen Marathon und gleich mehrere Wahlen an einem Tag abzuhalten ist womöglich nicht die beste Idee

Dass tagsüber Stimmzettel fehlten, lag zum Teil daran, dass die Wahlvorstände mehr Kartons als früher in ihr jeweiliges Wahllokal bringen mussten. Manche holten erst im Tagesverlauf restliche Kartons nach. Teilweise blieben nachträglich angeforderte Stimmzettel dann auf dem Weg ins Wahllokal hängen. Denn am Sonntag hatte Berlin nicht nur einen Superwahlsonntag zu managen. Die Stadt hielt überdies ihren jährlichen Marathon ab. Und wegen des Großevents waren viele Straßen gesperrt.