Ein Passagier mit Rollkoffer und Tasche auf dem Flughafen Brüssel
Reuters/Yves Herman
Reisezirkus ade?

EU-Mandatare streiten über Onlinevotum

Von zu Hause aus arbeiten oder persönlich anwesend sein: Diese Debatte hat nun auch das EU-Parlament erreicht. Eine Gruppe von Abgeordneten spricht sich in einem gemeinsamen Brief dafür aus, weiterhin online abstimmen zu können. Damit würden sich viele Reisen nach Straßburg und Brüssel erübrigen. Die Idee ist aber nicht bei allen beliebt.

Büromenschen auf der ganzen Welt kennen die Debatte, inwieweit Homeoffice auch in Zukunft weitergeführt werden soll, schon zur Genüge. Oftmals ist ein Großteil der Betroffenen dafür, große Beraterfirmen halten eine Hybridform aus Homeoffice und Anwesenheit im Büro für die Zukunft des Arbeitens.

Ähnlich verhielt es sich in den vergangenen Monaten auch im EU-Parlament. Hier wurden zu Beginn der Pandemie Onlineabstimmungen eingeführt. Üblicherweise zieht das gesamte EU-Parlament einmal im Monat von Brüssel nach Straßburg um. Wegen der Pandemie gab es allerdings über ein Jahr lang keine Sitzungswochen in Straßburg mehr, votiert und gesprochen wurde online.

Zurück ins Plenum

Seit Kurzem haben die Abgeordneten wieder die Möglichkeit, zu den Sitzungen nach Straßburg zu kommen. Schon bald soll auch die Möglichkeit zur Onlineabstimmung wieder abgeschafft werden, zunächst war sogar die Rede davon, schon im Oktober wieder in den alten Modus zu wechseln. Spätestens im November soll es aber so weit sein. Für die weitere Abwesenheit der Mandatarinnen und Mandatare gebe es keinen Grund mehr.

Das sehen einige Abgeordnete allerdings anders: Sie sehen die Lebensrealitäten in der strikten Regel, präsent sein zu müssen, nicht widergespiegelt. Für ein Handzeichen extra nach Frankreich zu reisen, gehöre nicht zum sinnvollen Mandat. In einem Brief an das Präsidium des EU-Parlaments, der ORF.at vorliegt, appellierten die vorwiegend jüngeren Abgeordneten aus den Fraktionen von Sozialdemokraten, Volkspartei, Grünen und Liberalen dagegen, die Onlineabstimmungen wieder abzuschaffen.

Onlinevoting und Gleichstellung

„Wir halten dies für verfrüht und möchten Sie daher im Vorfeld Ihrer Sitzung dringend bitten, die Abstimmungsverfahren mit den Mitgliedern weiter zu besprechen“, heißt es darin. Mit den Onlineabstimmungen habe man die Beteiligung erhöht und Ressourcen gespart. Anstatt durch den Abstimmungsprozess zu hetzen, habe man so mehr Zeit, sich mit der Materie auseinanderzusetzen.

„Aber nicht nur das: Der mit Abstand wichtigste Vorteil der Fernabstimmung besteht darin, dass schwangere Europaabgeordnete und frischgebackene Eltern in Elternzeit ihr Mandat erfüllen können.“ Die Möglichkeit der Onlineabstimmung sei „der mit Abstand wichtigste Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter, den dieses Parlament selbst setzen kann“.

Wer hat wie gestimmt?

Die Initiative kam aus der liberalen Fraktion Renew Europe, unter anderem von der NEOS-Abgeordneten Claudia Gamon. „Bei Eltern oder auch jungen Abgeordneten ist die Vereinbarkeit ein großes Thema“, so Gamon zu ORF.at. „Das Parlament soll die Bevölkerung repräsentieren, und die Onlineabstimmung wäre eine enorme Erleichterung, etwa bei einer Karenz.“ Anstatt vier Tage die Woche in Straßburg sein zu müssen, könnten die Mandatarinnen und Mandatare mehr Zeit im eigenen Wahlkreis verbringen und den Menschen das EU-Parlament näherbringen. „Darin sehen gerade die Jungen einen wesentlichen Teil ihrer Arbeit.“

Ein Parlament, viele Sitze

Der offizielle Sitz und jener Ort, an dem die meisten Plenartagungen stattfinden, ist das französische Straßburg. Die parlamentarischen Ausschüsse treten in Brüssel zusammen, und offizieller Sitz des Generalsekretariats des Parlaments ist Luxemburg.

Einen weiteren Vorteil sieht Gamon in der Nachvollziehbarkeit der Abstimmungen. „Es gibt immer noch viele Handabstimmungen, bei denen man nicht nachvollziehen kann, wer wie gestimmt hat. Beim Onlinevoten ist das nicht so“. Wenn Abgeordnete aber krank seien oder in Karenz, könnten sie ohne Onlinemöglichkeit schlicht ihren Job nicht machen, so Gamon, ganz abgesehen von den CO2-Emissionen, die die vielen Reisen nach Straßburg nach sich zögen.

Rückendeckung erhält Gamon von der Delegationsleiterin der Grünen im Europaparlament, Monika Vana. Wieder auf reinen Präsenzbetrieb umzuschalten, sei angesichts der aktuellen Infektionszahlen ein Risiko, so Vana zu ORF.at. „Die Onlineabstimmung hat nicht nur das Europaparlament von Beginn der Pandemie arbeitsfähig gemacht, sondern den Abgeordneten ermöglicht, mehr Termine in ihren Heimatländern wahrzunehmen.“ Gerade für die jungen Eltern sei das eine große Erleichterung gewesen.

Ein EU-Parlamentarier sitzt allein im EU-Parlament in Straßburg
APA/AFP/Julien Warnand
Wenig besucht: EU-Parlament in Pandemiezeiten

Gegen dauerhaftes „Parlament im Homeoffice“

Die großen Fraktionen im EU-Parlament sind da skeptischer. Die Delegationsleiterin der ÖVP im Europaparlament, Angelika Winzig, kann sich Ausschusssitzungen oder Fraktionssitzungen auch hybrid vorstellen, in bestimmten Situationen sei mehr Flexibilität sinnvoll. „Für Plenartagungen des Europäischen Parlaments wollen wir aber so rasch wie möglich zu einer persönlichen Anwesenheit der Europaabgeordneten zurückkehren, sofern es die Umstände zulassen“. Persönlicher Kontakt und Dialog seien wesentliche Elemente, so Winzig.

Auch die SPÖ kann sich „ein Parlament im Homeoffice“ nicht als Dauerlösung vorstellen. „Sobald es die Pandemielage gefahrlos zulässt, sollten wir zum klassischen Modus, des gemeinsamen Abstimmens vor Ort zurückkehren“, so SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder. Dass frei und direkt gewählte Abgeordnete an einem Ort zusammenkommen, sei „der Grundgedanke eines Parlaments als Herzstück der parlamentarischen Demokratie“.

Gamon glaubt an Unterstützung

„Strikt gegen die Forderung“ ist die FPÖ-Delegation. Man sei der Überzeugung, „dass gerade demokratische Prozesse wie Abstimmungen auch physische Präsenz erfordern. Mag es für manche Abgeordnete vielleicht bequemer sein, von zu Hause aus abzustimmen, so geht durch eine physische Distanzierung, die vor allem ein Ausdruck der Pandemie war, die Bedeutung der parlamentarischen Arbeit verloren“, so Harald Vilimsky, Delegationsleiter der FPÖ. Dazu gehörten auch Abstimmungen an einem zentralen Ort.

Dass sich die jungen Abgeordneten mit ihrem Wunsch nach Abstimmungen von zu Hause aus durchsetzen können, scheint angesichts der Gegenstimmen fraglich. Gamon glaubt, dass unter den Abgeordneten an sich eine Mehrheit wahrscheinlich wäre, die aber nicht durch die EU-Parlamentsführung repräsentiert sei. Nun sei nur die Frage, ob man genügend Mandatarinnen und Mandatare in die Debatte involvieren könne. „Weil es immer schon so war“, sei kein Argument.