Ex-Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen
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Brisante Enthüllungen

Ex-Mitarbeiterin packt über Facebook aus

Eine ehemalige Mitarbeiterin hat Facebook in die schwerste Krise seit dem Skandal um Cambridge Analytica gestürzt. Die 37-jährige Frances Haugen lieferte Schlüsselinformationen für eine Artikelserie im „Wall Street Journal“, nach der Facebook unter erheblichen politischen Druck in den USA geriet. Den Enthüllungen zufolge stellt der US-Technologiekonzern Profit über die Sicherheit der Nutzerinnen und Nutzer.

Haugen gab sich in am Sonntag veröffentlichten Interviews erstmals als Whistleblowerin zu erkennen und gestand, konzerninterne Untersuchungsergebnisse an das „Wall Street Journal“ („WSJ“) weitergegeben zu haben. Wie am Sonntag bekanntwurde, kontaktierte Haugen die Zeitung bereits im Dezember vergangenen Jahres.

Sie fand nach eigenen Angaben zu ihrer Überraschung diverse Studien zum Einfluss auf Nutzerinnen und Nutzer, die praktisch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der internen Kommunikationsplattform des Onlinenetzwerks zugänglich gewesen seien. Sie habe solches Material gesammelt, bis sie Facebook im Frühjahr verlassen habe. Nach der Veröffentlichung beantragte sie bei US-Behörden offiziell Schutz als Whistleblowerin.

Mädchem mit virtuellem Katzengesicht
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Ob mit oder ohne Katzenohren – Instagram verzerrt das Körperbild von Jugendlichen, so die Kritik

Warum sie die Dokumente weitergegeben habe? Haugen sei frustriert gewesen, weil Facebook nicht ausreichend offen damit umgehe, dass das Onlinenetzwerk Schaden anrichten könne. Zu ihrem Job bei Facebook, den sie nach rund zwei Jahren aufgab, habe der Kampf gegen Manipulationsversuche bei Wahlen gehört. Sie habe jedoch schnell das Gefühl gehabt, dass ihr Team zu wenig Ressourcen habe, um etwas zu bewirken.

Schwere Vorwürfe gegen Facebook

Ihrem ehemaligen Arbeitgeber warf sie vor, Profit systematisch über Sicherheit zu stellen. Facebook „bezahlt seine Gewinne mit unserer Sicherheit“, sagte Haugen. „Es gab Interessenkonflikte zwischen dem, was für die Öffentlichkeit gut war und was für Facebook gut war“, sagte Haugen bei der CBS-Sendung „60 Minutes“. Und Facebook habe sich immer und immer wieder dafür entschieden, für eigene Interessen das Geschäft zu optimieren.

Sie habe in der Vergangenheit auch für andere Unternehmen der Branche wie Google und Pinterest gearbeitet, aber Facebook sei „bedeutend schlimmer“ als alles, was sie zuvor gesehen habe. „Die heutige Version von Facebook reißt unsere Gesellschaften auseinander und führt zu ethnischer Gewalt auf der ganzen Welt“, so Haugen.

Einfluss auf psychische Gesundheit

Aus der Serie von Berichten im „WSJ“ in den vergangenen Wochen schlug besonders jener Artikel schwer ein, in dem es um interne Untersuchungen zum Einfluss von Instagram auf junge Nutzerinnen und Nutzer ging.

Unter anderem hieß es in dem Bericht von Facebook-Forschern, bei zahlreichen Teenagern – vor allem Mädchen – verstärke Instagram die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, was wiederum Auswirkungen auf die psychische Gesundheit habe – etwa in Form von Essstörungen oder Depressionen.

Facebook sei bei seinen eigenen Untersuchungen also selbst zu dem Schluss gekommen, dass insbesondere die Plattform Instagram der psychischen Gesundheit von Jugendlichen schaden könne. So zitierte „WSJ“ den Satz: „Wir machen Probleme mit dem eigenen Körperbild für eine von drei Teenagerinnen schlimmer.“

Virtuelle Aussage vor dem Sentassausschuss von Frances Haugen
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Ende September fand im US-Senat eine Anhörung zum Thema Sicherheit und mentale Gesundheit der Instagram-Version für Kinder statt

Umstrittene Version für Kinder auf Eis

Facebook verwies nach dem Bericht darauf, dass weiteren Daten aus denselben Studien zufolge Teenager andere Themen als hilfreich bezeichnet hätten. Dennoch legte das Onlinenetzwerk vergangene Woche Pläne für eine Instagram-Version für Zehn- bis Zwölfjährige auf Eis.

Aktuell dürfen Kinder im Alter ab 13 Jahren Instagram nutzen. Viele geben jedoch bei der Registrierung ein falsches Geburtsdatum an. Mit „Instagram Kids“ wollte Facebook nach eigenen Angaben auch dieses Problem angehen. Doch nach einer Anhörung im US-Senat wurde klar, dass das politisch nur noch schwer durchzusetzen gewesen wäre.

Instagram betonte in einer Stellungnahme für „60 Minutes“, dass man weiterhin eine Version für Jüngere für sinnvoll halte: „Die Realität ist, die Kinder sind bereits online.“

„Instagram ist diese erste Zigarette der Kindheit“

Die für Nutzersicherheit zuständige Managerin Antigone Davis drang bei den Senatoren mit ihren relativierenden Erklärungen nicht durch. So verglich der Demokrat Ed Markey die Vorgehensweise des Onlinenetzwerks vor allem bei Instagram mit verantwortungslosem Handeln der Tabakindustrie.

„Instagram ist diese erste Zigarette der Kindheit“, die Teenager früh abhängig machen solle und am Ende ihre Gesundheit gefährde, sagte Markey unter anderem. „Facebook agiert wie die großen Tabakkonzerne: Sie verbreiten ein Produkt, von dem sie wissen, dass es der Gesundheit junger Menschen schadet.“

Smartphone zeigt Fashion Posting
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„Facebook agiert wie die großen Tabakkonzerne: Sie verbreiten ein Produkt, von dem sie wissen, dass es der Gesundheit junger Menschen schadet“, so Ed Markey

Durch Aussagen wie diese scheint deutlich zu werden, dass Facebook vor allem in der US-Politik unter so starkem Druck steht wie seit dem Skandal um Cambridge Analytica 2018 nicht mehr. Damals war bekanntgeworden, dass Jahre zuvor eine Datenanalysefirma Informationen von Millionen Nutzern ohne deren Wissen abgreifen konnte.

Keine Stellungnahme von Zuckerberg

Facebook-Gründer und -Chef Mark Zuckerberg und auch die fürs operative Geschäft zuständige Topmanagerin Sheryl Sandberg äußerten sich bisher nicht zu der Kontroverse.

Ein Facebook-Sprecher erklärte dem „Wall Street Journal“ am Sonntag nach den Äußerungen Haugens, das Onlinenetzwerk versuche täglich, eine Balance zwischen dem Recht von Milliarden Menschen auf freie Meinungsäußerung und einer sicheren Umgebung für Nutzer zu finden.

Stärkere Aufsicht gefordert

Doch: Der Algorithmus, der festlegt, welche Inhalte Nutzern angezeigt werden, sei darauf ausgelegt, eine Reaktion hervorrufen – und „es ist einfacher, Menschen zu Wut zu inspirieren als zu anderen Emotionen“, sagte Haugen.

„Facebook hat erkannt, dass, wenn sie den Algorithmus ändern, um sicherer zu sein, die Leute weniger Zeit auf der Seite verbringen, weniger auf Anzeigen klicken“, wodurch das Unternehmen weniger Geld verdiene. Eine Facebook-Sprecherin sagte dazu: „Zu suggerieren, dass wir schlechte Inhalte fördern und nichts tun, ist einfach nicht wahr.“

Facebook CEO Mark Zuckerberg
Reuters/Charles Platiau
Wo verläuft die Grenze zwischen freier Meinungsäußerung und einer sicheren Umgebung? Zuckerberg blieb Antworten bisher schuldig.

Aussage im US-Senat erwartet

Haugen sagte zudem, dass die Plattform genutzt wurde, um den Angriff auf das US-Kapitol Anfang des Jahres zu organisieren, nachdem Sicherheitsanforderungen gesenkt worden waren. Der für die Außenkommunikation zuständige Facebook-Manager Nick Clegg nannte diese Anschuldigung „lächerlich“.

Haugen soll am Dienstag im US-Kongress aussagen. Senator Richard Blumenthal erklärte mit Blick auf das CBS-Interview bereits: „Die Handlungen von Facebook machen deutlich, dass wir nicht darauf vertrauen können, dass es sich selbst kontrolliert. Wir müssen eine stärkere Aufsicht in Betracht ziehen.“