Gelbes Latex-Abdruckobjekt von Heidi Bucher, frei hängend
ORF.at/heid
Heidi Bucher

Die Erinnerung als Latex-Haut

Es gibt unter den vielen Ausstellungen dieses Herbstes eine, die eine besondere Eindrücklichkeit zu erzeugen vermag. Die Schweizer Konzeptkünstlerin Heidi Bucher, die in ihren Arbeiten an Größen wie Antoni Tapies, Christo oder Rachel Whiteread zu erinnern vermag, ist gerade Gegenstand einer großen Werkschau im Münchner Haus der Kunst. Buchers eindrucksvolle Skulpturen, viele davon Abdrücke von verschwundenen, realen Räumen, arbeiten gegen die Monumentalität des Ausstellungsortes, eines Lieblingsbaus von Adolf Hitler.

„Eine Haut nach der andern ablösen, ablegen: das Verdrängte, das Vergessene, das Vernachlässigte, Verpasste, Versunkene, Verflachte, Verkehrte, Verfolgte, Verwundete.“ Mit ihrer klaren, ausdrucksstarken Poetik hat die Schweizer Künstlerin Heidi Bucher, die im Schatten des Bauhauses eines Johannes Itten in Zürich groß geworden und 1997 nach langer Zeit im Ausland in ihrer Schweizer Heimat gestorben ist, Objekte geschaffen, die heute so wirken mögen, als würden Christos Arbeiten durch die Luft fliegen und die Räume schweben.

Die Idee des Abdrucks bestimmt das Werk einer Frau, die sich zunächst der Textilkunst zuwenden musste, weil der direkte Weg der Frau in die schönen Künste in den 1940er Jahren immer noch verstellt war. Doch die Arbeit an Textilien sollte Bucher, die nach Trennung von ihrem Mann, dem Objektkünstler Carl Bucher, nach Kanada und schließlich Kalifornien auswanderte, in ihrer Kunstausrichtung zugutekommen.

Heidi Bucher beim Häutungsprozess von Herrenzimmer, 1978
The Estate of Heidi Bucher, Foto: Hans Peter Siffert
Die Zeit und das Zimmer: Heidi Bucher beim Abnehmen eines Abdrucks mit Latex und Stoff

Positionsbestimmung in den 1970ern

Mit dem aufkommenden Feminismus der 1970er Jahre in den USA schaffte es Bucher, eine Position zu finden, die das Thema weiblicher Ausgrenzung rasch und plastisch zum Thema machte – und zugleich eine stark politische Ausrichtung hatte. Räume, so Bucher, müsse man in Besitz nehmen. Sie umcodieren und zum Ort des Nachdenkens über Rollenbilder und die eigene Geschichte machen.

Kein Ort erscheint im deutschsprachigen Raum damit prädestinierter für die Präsentation von Buchers Arbeiten als das Münchner Haus der Kunst, jener klassizistische Nazi-Kunsttempel, der eigentlich errichtet wurde, um eine „Heileshalle“ für die deutsche Kunst zu errichten, in der man im Geist der Nazis zelebrierte und ausgrenzte. Auch die Propagandaschau gegen die Moderne, „Entartete Kunst“, war ja in diesem Bau zu sehen.

Heidi Bucher. Metamorphosen, Ausstellungsansicht / Installation view
Haus der Kunst, 2021, Foto: Markus Tretter
Heidi-Bucher-Arbeiten im Haus der Kunst in München. Archaik, Dünnhäutigkeit und Monumentalität treffen hier aufeinander.

Das Haus der Kunst, es steht also immer noch in der Erinnerung als Ausgrenzungsraum da. Und es steht in seinen Grundfesten unter Denkmalschutz – und wird umso mehr in seiner Nutzung zum Zentralort auch für das Hinterfragen von Geschichte und Geschichtsbildern. Den mühsamen Weg der Durchsetzung ihrer Arbeit, er wird im Haus der Kunst erlebbar. Bis die großen, teils schwebenden, Raumplastiken realisiert werden konnten, hatte Bucher auch ihre eigene Ausgrenzungsgeschichte als Frau hinter sich.

„Das Haus als Ort, der Schutz und Orientierung bietet, war zugleich von patriarchalen Strukturen definiert“, erinnert Kuratorin Jana Baumann. Eine der zentralen Arbeiten dieser Schau ist Buchers Arbeit „Herrenzimmer“, die auf einem Abdruck aus dem Haus ihrer Kindheit stammt.

Heidi Bucher, Hautraum (Ricks Kinderzimmer, Lindgut Winterthur), 1987
Migros Museum für Gegenwartskunst, Foto: Stefan Altenburger Photography, Zurich
Der Abdruck macht deutlich: Das Haus ist nicht immer der Ort des Schutzes

Die formbare Materie

Die Erinnerung als Haut zu bewahren – und den Versuch, mit der Erinnerung einen neuen Raum zu bauen, der eben bestenfalls ein symbolischer, leichter und durchlässiger sein kann, das lässt Bucher von den Augen der Betrachter entstehen. All ihre Werke laden Auseinandersetzungsformen, die ja nie greifbar sind, mit einer Form von Taktilität auf. Hyle nannte man im Altgriechischen, etwa bei Aristoteles, das erst Zugrundeliegende, bar aller Bestimmung. Hyle ist die formbare Materie, das Urmaterial, der Urstoff, der durch technē, die menschliche Arbeit, eine bestimmte Gestalt annimmt.

Ausstellungshinweis

Die Schau „Heidi Bucher. Metamorphosen“ ist noch bis 13. Februar 2022 im Münchner Haus der Kunst zu sehen.

Sich der Erinnerung stellen heißt, einen Raum betreten. Heißt bekanntlich auch, sich an den topoi, den Orten, wo sie greifbar wird, anzuhalten. Bucher, so politisch viele ihrer Arbeiten wirken, hat in den Räumen des Hauses der Kunst, so etwas wie eine elementare Begegnung des Menschseins und unserer Antriebe im Wachsen und Erwachsensein greifbar gemacht. Vieles wirkt elementar – und auch archaisch in diesem neoklassizistischen Ideologieambiente. Das Bekannte, es bekommt in Buchers Arbeit an der Erinnerung auch immer das nötige Moment der Verfremdung. Eine großartige Schau, die Nachdenken und Erleben aus einem Guss stiftet – für die man auch keinen einzigen Begleittext lesen müsste.