Hauptquartier der Evergrande Group in Shenzhen
Reuters/Aly Song
Evergrande-Rivalen wackeln

Chinas Immokrise droht Dominoeffekt

Die Krise der chinesischen Immobilienunternehmen zieht weite Kreise – und die Angst vor einem Dominoeffekt wächst. Nachdem der schuldenbeladene Konzern Evergrande Zahlungsfristen für Anleihezinsen überschritten hatte, ließ nun auch der kleinere Rivale Fantasia Holdings eine Frist für Zinszahlungen verstreichen. Zudem stuften Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit des Immobilienentwicklers Sinic zurück und warnten vor Zahlungsausfällen.

Zwar sind Fantasia und Sinic auf dem chinesischen Immobilienmarkt kleinere Akteure als Evergrande, doch werfen die Probleme der Unternehmen erneut ein Schlaglicht auf den Sektor und mögliche Ansteckungsgefahren für die chinesische Wirtschaft. Fantasia teilte am Montag in Shenzhen mit, dass es die fristgerechte Zahlung von Verbindlichkeiten in Höhe von 205,7 Millionen Dollar (rund 177 Mio. Euro) versäumte.

Zudem erklärte die Immobilienverwaltungsfirma Country Garden Services Holdings, dass eine Unternehmenseinheit von Fantasia die fristgerechte Rückzahlung einer Anleihe in Höhe von umgerechnet rund 93 Millionen Euro verpasst habe und eine Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich sei.

„Teufelskreis“

Auch Sinic befinde sich in einer ernsten Liquiditätskrise, und die Fähigkeit zur Schuldenbedienung sei fast erschöpft, begründeten die Experten von S&P ihre Ratingsenkung. Mitte Oktober werden bei Sinic Anleihezinsen im Ausmaß von 246 Millionen Dollar fällig.

Wohnbauprojekt in Peking
AP/Wayne Zhang
Viele Evergrande-Projekte befinden sich im Bau – hier entsteht eine Wohnhausanlage in Peking

„Seit der Evergrande-Krise schauen die Anleger besorgter auf die Zahlungsfähigkeit chinesischer Immobilienentwickler“, sagte Thomas Kwok, Leiter des Aktiengeschäfts beim Brokerhaus Chief Securities: „Es ist ein Teufelskreis für die Immobilienentwickler, die nicht stark genug sind, denn es gibt nicht genügend Liquidität auf dem Markt für alle“, warnte Kwok. Viele Immobilienfirmen in China bekommen derzeit keine Kredite mehr zur Refinanzierung, und die Möglichkeit, Kapital durch Immobilienverkäufe zu lukrieren, ist zuletzt deutlich gesunken.

Aggressive Expansion – und rote Linien der Politik

Evergrande hat durch eine auf Pump finanzierte aggressive Expansion der vergangenen Jahre einen Schuldenberg von umgerechnet rund 260 Milliarden Euro angehäuft. Der Aktienkurs des Konzerns fiel seit Anfang des Jahres um rund 80 Prozent. Das Unternehmen ist aktuell weder in der Lage, seine Fälligkeiten umfassend zu bedienen, noch fertige Wohnungen an die Käufer zu übergeben.

TV-Hinweis

Das Wirtschaftsmagazin „ECO“ widmet sich am Donnerstag am 22.30 Uhr in ORF2 dem drohenden Kollaps des chinesischen Immobilienriesen – und der Frage, ob auch anderswo die nächste Immobilienblase platzen könnte – mehr dazu in tv.ORF.at

Konzerne wie Evergrande wuchsen in den vergangenen zehn Jahren rasant, weil die Immobilienpreise in China kräftig gestiegen sind und es einen Bauboom gab. Peking war es jedoch ein Dorn im Auge, dass die Verschuldung der Branche immer größere Dimensionen annahm. Nun setzt die Regierung strenge Regeln durch. Peking hat den Konzernen „drei rote Linien“ aufgezeigt.

So darf das Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten nicht mehr als 70 Prozent betragen. Hinzu kommt, dass der Nettoverschuldungsgrad nicht bei mehr als 100 Prozent liegen soll. Die dritte „rote Linie“ betrifft das Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten der Unternehmen, die über dem Faktor eins liegen muss.

Riesiger Mischkonzern

Evergrande baute nicht nur Häuser, sondern kaufte 2010 einen Fußballclub, investierte in andere Branchen von Mineralwasser über Babymilch bis zu Elektroautos. Sein Messestand auf der internationalen Autoshow im April in Schanghai gehörte zu den größten, obwohl das Unternehmen noch nicht einmal richtig angefangen hat, Autos zu produzieren. Im ersten Halbjahr verbuchte die E-Auto-Sparte allein einen Verlust von umgerechnet 630 Millionen Euro.

Eine Mann auf einem Scooter vor einem Wohnkomplex des Immobilienunternehmen „Evergrande“ in Henan, China.
APA/AFP/Jade Gao
Der Konzern ist in mehr als 280 chinesischen Städten präsent und eines der größten Privatunternehmen in der Volksrepublik

Derzeit will sich Evergrande mit milliardenschweren Anteilsverkäufen Luft verschaffen. Der Konzern will für mehr als fünf Milliarden Dollar 51 Prozent an seiner Immobilienverwaltungstochter Evergrande Property Services Group an den Wettbewerber Hopson Development verkaufen, wie die chinesische Staatszeitung „Global Times“ und andere Zeitungen berichteten.

Was macht die chinesische Führung?

Unklar ist nach wie vor, wie sich der chinesische Staat verhält: Viele hoffen deshalb auf staatliche Unterstützung. Die Regierung in Peking hatte Staatsfirmen dazu aufgefordert, Teile von Evergrande zu übernehmen, wie Reuters unter Berufung auf Insider berichtete. Tatenlos zusehen kann die Führung in Peking wohl nicht: Die Immobilienbranche trägt rund ein Viertel zur Wirtschaftsleistung der Volksrepublik bei und war zuletzt ein wichtiger Wachstumsmotor.

Einige Analysten sahen in den Entwicklungen bereits „Chinas Lehman-Moment“. Der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 führte zu schweren Kursverlusten und brachte das Finanzsystem zum Wanken. Andere Experten meinen, der Vergleich von Lehman und Evergrande hinke gewaltig. So habe Evergrande 90 Prozent seines Geschäfts in China und sei damit „ein national begrenztes Kreditrisiko“.

Dennoch hatte die Entwicklung in China zuletzt deutliche Schockwellen nach Europa und in die USA gesendet: Die Furcht vor Turbulenzen setzte auch zum Wochenstart Europas Börsen unter Druck. Auch in den USA belasteten die Sorgen um Evergrande die US-Indizes.