Der britische Premier Boris Johnson
Reuters/Toby Melville
Tory-Parteitag

Johnson deutet Engpässe als gutes Zeichen

Mit einer Rede von Parteichef und Premierminister Boris Johnson geht die Konferenz der britischen Konservativen am Mittwoch zu Ende. Der Parteitag steht nicht unter dem besten Stern. Seit Wochen dominieren die Engpässe an Tankstellen und Supermärkten die Schlagzeilen. Doch dafür lieferte Johnson in mehreren BBC-Interviews schon vorab eine sehr eigene Erklärung: Das seien quasi Vorwehen für den großen Wirtschaftsaufschwung.

Der Premier wollte eigentlich die Erholung der britischen Wirtschaft in den Mittelpunkt des Parteitags in Manchester stellen. Die Schlagzeilen während der viertägigen Konferenz wurden aber von anderen Themen überschattet.

Neben den Versorgungsschwierigkeiten auch dem bröckelnden Vertrauen in die Polizei nach dem Mord an der Londonerin Sarah Everard und dem Entschluss der Regierung, härter gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten vorzugehen. Zudem brachten die Enthüllungen der Pandora-Papers über dubiose Finanzkonstrukte prominenten Mitgliedern wie Vizeparteichef Ben Elliot und auch von Parteispendern Unruhe in den Tory-Parteitag.

„Problem durch Erholung verursacht“

Doch Johnson zeigte sich von all dem unbeeindruckt: „Das Lieferkettenproblem wird überwiegend durch die wirtschaftliche Erholung verursacht“, sagte er am Dienstag der BBC. Die Schwierigkeiten hingen mit der Wiederbelebung der Wirtschaft zusammen, die er als „ein riesiges Erwachen“ bezeichnete. Er wolle aber nicht zum „gescheiterten Wirtschaftsmodell“ vor dem Brexit zurückkehren, das auf der Einwanderung von „Niedriglöhnern“ und „Geringqualifizierten“ fußte.

Die Probleme seien nur „Symptome“ des wirtschaftlichen Weges, auf dem sich das Land befinde, um einen langfristigen Produktivitätsmangel, niedrige Löhne und unzureichende Investitionen in Energie und Infrastruktur zu bekämpfen.

127 ausländische Lkw-Fahrer meldeten sich

Ein Teil des Problems bestehe darin, dass die Unternehmen lange Zeit in der Lage gewesen seien, „die Einwanderung zu Niedriglöhnen und niedrigen Kosten aufrechtzuerhalten“, so Johnson. Der Premier wiederholte seine Behauptung, dass die Lieferunterbrechungen nur vorübergehend sein würden. Sie seien Teil des Übergangs, um mehr Menschen bessere Löhne und Bedingungen zu bieten.

Parteitag der britischen Konservativen in Manchester
Reuters/Toby Melville
Der Tory-Parteitag findet in Manchester statt

Für die 5.000 Arbeitsvisas, die man ausländischen LKW-Fahrern bietet, gab es bisher genau 127 Anträge, musste Johnson eingestehen. Der Fahrermangel sei ein globales Problem, nannte er als Erklärung.

Personalmangel in vielen Branchen

Wie viele sich für Geflügelverarbeitung, gemeldet haben, wo ebenfalls ein großer Arbeitskräftemangel herrscht, ist unklar. Beim Parteitag demonstrierten Schweinezüchter, ihnen fehlen die Schlachter. Der Schweinebauernverband warnte, dass bis zu 120.000 Schweine gekeult werden müssten, falls nicht bald mehr Personal eingestellt werde. Zehntausende Pflegekräfte fehlen genauso wie Erntehelfer in der Landwirtschaft. Und viele Pubs, Restaurants und Cafes müssen Schließtage einlegen, weil das Personal fehlt.

Protest von Schweinebauern in Machester
Reuters/Toby Melville
Proteste von Schweinezüchtern

Löhne sollen steigen – aber wie?

Dennoch sagte Johnson: „Was man nicht tun kann, ist zu dem alten, gescheiterten Modell zurückzukehren, bei dem man niedrig bezahlte, gering qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt.“ „Unkontrollierte Einwanderung“ wie zu Zeiten der EU-Mitgliedschaft werde es nicht mehr geben, machte er deutlich.

Doch die Antwort, wie Löhne steigen sollen, blieb Johnson schuldig. Denn eine Anhebung der Mindestlöhne, was etwa die oppositionelle Labour-Partei es fordert, will Johnson nicht umsetzen. In einigen Bereichen gibt es nicht einmal Mindestlöhne. Und „Zero-Hour-Jobs“ boomen weiterhin: Bei diesen werden Arbeitnehmer quasi auf Abruf ins Unternehmen geholt – teilweise auch nur stundenweise.

Gleichzeitig läuft derzeit die temporäre Erhöhung des Universal Credit, der Sozialhilfe, aus. Dass sie nicht verlängert wird, brachte er ebenfalls mit seinen Bemühungen um Lohnerhöhungen in Verbindung. „Was wir nicht tun werden, ist mehr Steuergelder zu nehmen, um niedrige Löhne über das Sozialsystem zu subventionieren“, sagte er.

Mord von Polizisten schockierte das Land

Auch der Mord an der Londonerin Sarah Everard und anderen Verbrechen von britischen Polizisten sorgt für Unruhe in Großbritannien: Johnson will einen Kulturwandel in der Polizei erreichen. „Einer der besten Wege, diesen Wandel zu erreichen, ist, mehr Frauen als Polizistinnen zu haben“, sagte Johnson am Dienstag dem Sender LBC. In der Londoner Metropolitan Police liege der Frauenanteil aktuell bei 40 Prozent.

Johnson lehnte es hingegen ab, Gewalt gegen Frauen als Hasskriminalität einzustufen, was in der rechtlichen Behandlung solcher Fälle Konsequenzen hätte. Stattdessen müssten bestehende Straftatbestände besser durchgesetzt und Verfahren schneller abgearbeitet werden, so der konservative Politiker.

Die Londonerin Sarah Everard war im März entführt, vergewaltigt und ermordet worden. Später stellte sich heraus, dass der Täter, ein Polizist, sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Coronavirus-Regeln zum Schein festgenommen und verschleppt hatte.

Die Fälle ließen das Vertrauen in die britische Polizei bröckeln und lösten eine Welle der Empörung über Gewalt gegen Frauen aus. Innenministerin Priti Patel kündigte eine Untersuchung an. Dabei soll geprüft werden, wie der Everard-Mörder trotz früherer Auffälligkeiten eingestellt wurde.

Die britische Innenministerin Priti Patel
Reuters/Toby Melville
Innenministerin Priti Patel

Für Klimaschutz, gegen Klimaschützer

Und für Debatten sorgt auch die Gratwanderung der Regierung beim Klimaschutz: So will sich Johnson als Klimaschutzvorreiter präsentieren, gleichzeitig fallen aber harte Worte gegen Klimaschützer: „Unverantwortliche Ökos“ nannte Johnson die Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe Insulate Britain, die mit ihren Protesten immer wieder große Verkehrsrouten lahmlegen.

Patel nannte sie „sogenannte Öko-Krieger, die unsere Lebensweise mit Füßen treten und die Ressourcen der Polizei verschwenden“. Nun will die Regierung härter gegen die Aktivistinnen und Aktivisten vorgehen. Die Polizei werde mehr Befugnisse bekommen, um mit der kleinen Minderheit umgehen zu können, die „Störungen und Elend in unsere Gemeinschaft bringen“, kündigte Innenministerin Patel an.