EU will unabhängiger werden

Als Lehre aus der CoV-Krise und den außenpolitischen Alleingängen der USA will die Europäische Union weniger abhängig von anderen Weltregionen werden.

„Wir sind entschlossen, unsere Stärken zu festigen und unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken, indem kritische Abhängigkeiten verringert werden“, teilte EU-Ratschef Charles Michel nach einer Debatte auf dem EU-Gipfel in der Nacht auf heute mit. Die Staatengemeinschaft müsse ihre Fähigkeit ausbauen, unabhängig zu handeln.

Als Beispiele nannte Michel wirtschaftliche Fragen und auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Insbesondere gegenüber China, das man als Wettbewerber, Partner und systemischen Rivalen betrachte, werde die EU ihre eigenen Interessen verfolgen.

Michel nannte zudem Bereiche wie Energie, Digitales, Cybersicherheit, Halbleiter, Industriepolitik und Handel, in denen Abhängigkeiten reduziert werden sollten. Bereits auf dem nächsten EU-Gipfel am 21. und 22. Oktober wolle man auf das Thema zurückkommen.

Von USA, Australien und Briten ausgebootet

In der EU hatte zuletzt auch für grobe Verstimmung gesorgt, dass die USA in den vergangenen Monaten hinter dem Rücken der EU mit Großbritannien und Australien einen Sicherheitspakt für den Indopazifik ausgehandelt hatten.

Insbesondere die Regierung in Paris ist außer sich, weil mit dem AUKUS genannten Pakt ein 56 Milliarden Euro schwerer U-Boot-Vertrag Australiens mit Frankreich geplatzt ist.

Zudem wird Washington mit Blick auf den Abzug aus Afghanistan mangelnde Rücksicht auf Interessen der EU-Partner vorgeworfen. Hinzu kommt eine teils große Skepsis gegenüber dem konfrontativen Kurs der USA gegen China und den Versuchen, die EU ins Boot zu holen.

Westbalkan-Gipfel soll EU-Beitrittsperspektiven ausloten

Das Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs wurde in Slowenien organisiert, weil das Land derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat. Heute beginnt am selben Tagungsort ein Gipfeltreffen mit den Westbalkan-Staaten. Bei ihm werden die EU-Beitrittsperspektiven von Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und dem Kosovo ein Thema sein.

Vor dem Gipfel einigten sich die EU-Staaten nach hartem Ringen auf einen Kompromiss im Umgang mit den EU-Beitrittshoffnungen der sechs Länder. Laut dem der APA vorliegenden Entwurf für die Gipfelerklärung bekräftigt die EU ihre „eindeutige Unterstützung für die europäische Perspektive des Westbalkans“ und ihr „Bekenntnis zum Erweiterungsprozess“.

Vor allem die Regierung in Paris will sich laut Diplomaten die Möglichkeit offenhalten, die Aufnahme neuer Mitglieder zu blockieren, wenn sich die EU in den kommenden Jahren aus französischer Sicht als nicht reformfähig erweisen sollte. Die Beitrittsaspiranten haben damit weiter keine absolute Klarheit über ihre Chancen auf einen EU-Beitritt.

Kurz wünscht sich Zeitplan

Österreich würde sich einen Zeitplan für die EU-Erweiterung wünschen, sagte indes Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). „Wenn es keinen Zeitplan gibt, bedeutet es oft, dass das Tempo geringer ist, als es sein sollte“, so Kurz nach einem EVP-Treffen. Es sei aber positiv, dass es den Westbalkan-Gipfel und ein Bekenntnis der EU zur Erweiterung gebe.

Angesprochen auf Spekulationen, wonach Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seine harte Haltung zur EU-Erweiterung nicht vor der französischen Präsidentschaftswahl ändern werde, sagte Kurz: „So etwas halte ich für den falschen Zugang, wenn das der Hintergrund für die Überlegungen mancher ist.“ Wenn man sich immer erst nach Wahlen etwas traue, finde das häufig nie statt.