Schüler mit Mundnasenschutz und Schultaschen laufend
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Unter Zwölfjährige

Warten auf Impfung

Jede fünfte Coronavirus-Infektion betrifft derzeit ein Kind. Für unter Zwölfjährige ist eine Impfung aber noch nicht zugelassen. Und während die einen die Impfung teils vehement ablehnen, lassen immer mehr ihr Kind ohne Zulassung impfen. Über eine „Off-label“-Impfung für Kinder zu sprechen, wäre gar nicht erst nötig, wenn sich mehr Erwachsene impfen ließen, sagt Kinderinfektiologe Florian Götzinger.

„Aufgrund des enormen und fast nicht mehr überschaubaren Interesses“ an „Off-label“–Impfungen gegen das Coronavirus sei er an die Grenzen seiner Kapazität gestoßen – das steht auf der Website des Kinderarztes Andreas Doczy, der in Wien eine Praxis betreibt. „Off-label“ heißt: noch ohne Zulassung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) und ohne Empfehlung des Nationalen Impfgremiums (NIG).

Wie groß die Nachfrage nach einer „Off-label“-Impfung ist, lässt sich auch an den Daten des elektronischen Impfpasses ablesen: In der ersten Oktober-Woche waren 1.566 Kinder unter zwölf Jahren in Österreich geimpft, 304 von ihnen vollimmunisiert, so das Gesundheitsministerium auf Anfrage von ORF.at. Und die Zahlen steigen kontinuierlich. Zum Vergleich: Bis Mitte September waren es 674 Kinder, 156 davon bereits zweimal geimpft.

Anmeldungen im Moment nicht möglich

Alleine in der letzten September-Woche impfte Doczy 149 Kinder unter zwölf. „Vormittags ist normaler Praxisbetrieb und am Nachmittag ist volles Impfprogramm“, so der Kinderarzt im Gespräch mit ORF.at. Begonnen habe er mit den „Off-label“-Impfungen Ende Juni. Im August sei die Nachfrage dann schon sehr groß gewesen. Mittlerweile kämen Eltern mit ihren Kindern auch aus anderen Bundesländern und sogar aus Deutschland.

Aufgrund des Andrangs wurden Risikokinder in Doczys Praxis bisher zuerst geimpft. Danach Kinder mit Familienmitgliedern, die ein erhöhtes Risiko haben. Danach alle anderen Kinder. Die Nachfrage sei aber mittlerweile so groß, dass er mit Risikokindern ausgelastet ist: „Die Termine sind für die nächsten sechs bis acht Wochen ausgebucht. Anfragen werden auf eine Evidenzliste gesetzt, Anmeldungen sind im Moment nicht möglich.“

„Kinder haben sich massiv eingeschränkt“

„Ich bin jetzt wirklich sehr erleichtert“, sagt eine Mutter, deren zehnjähriges Kind Ende September die erste Teilimpfung bei einer Ärztin in Wien erhielt. „Während alle anderen jetzt durch die Impfung geschützt werden können, erkranken die Kinder, die sich in den letzten eineinhalb Jahren so massiv eingeschränkt haben. Das ist ein Durchseuchungsexperiment, für das ich mein Kind nicht zur Verfügung stellen möchte“, so die Mutter gegenüber ORF.at.

Ein Bub und ein Mädchen spielen auf einem Spielplatz
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Seit über eineinhalb Jahren bringt die Pandemie viele Herausforderungen und Belastungen für Kinder

Sie habe lange überlegt und sich gut informiert – mit dem Ergebnis: „Die Impfung steht schon so kurz vor der Zulassung, alle Daten sind da.“ Auf der anderen Seite wisse man noch viel zu wenig, welche möglichen Langzeitfolgen Covid-19 für Kinder habe.

„Impfung gibt Sicherheit“

„In der Schule passiert nicht genug – es gibt zu wenige Schutzmaßnahmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Infektion kommt, sehen wir als sehr groß an. Die Impfung gibt Sicherheit“, begründet ein Vater im Gespräch mit ORF.at die Entscheidung, seine neunjährige Tochter „off-label“ gegen das Coronavirus impfen zu lassen. „Wir haben uns natürlich genau informiert. Das Besondere an dieser Impfung ist ja, dass die Studien frei zugänglich sind.“

Vom Kinderarzt seien sie vor der Impfung sehr ausführlich beraten worden. Seine Tochter, die vergangene Woche die zweite Impfung erhielt, habe sich über die Impfung gefreut. Anfang September, als seine Tochter die erste Teilimpfung bekam, sei das noch nicht schwierig gewesen. „Ich kenne aber einige, die ihre Kinder jetzt impfen lassen wollen und keinen Termin bekommen.“

NIG rät von „Off-label“-Impfung ab

Nachdem es keine Zulassung oder Empfehlung für die Impfung für unter Zwölfjährige gibt, liege die Verantwortung bei impfenden Ärztinnen und Ärzten und der gesetzlichen Vertretung der geimpften Personen, stellt das Gesundheitsministerium klar. Seitens des NIG werde zudem von einer Impfung für unter Zwölfjährige abgeraten, bevor es eine Zulassung oder Empfehlung gibt.

Kritisch sieht die Situation auch die deutsche Ständige Impfkommission (STIKO): Schon bei den Zwölf- bis 17-Jährigen sei die Entscheidung zur Impfung in der Nutzen-Schaden-Abwägung schwierig gewesen. Bei den Jüngeren werde das noch schwieriger sein, so der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens Ende September in den „Stuttgarter Nachrichten“. Er erwarte in dem Zusammenhang eine „Welle des politischen Drucks“. Druck sei in dem Zusammenhang aber schlecht: „Ganz besonders auch, weil die Kinder herhalten sollen, um die Impfmüdigkeit der Erwachsenen auszugleichen.“

Jede fünfte Neuinfektion betrifft Sechs- bis 14-Jährige

Jede fünfte Coronavirus-Infektion in der letzten September-Woche betraf ein Kind im Alter zwischen sechs und 14 Jahren. Das zeigt die aktuelle Auswertung der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Laut dieser waren von den insgesamt 12.668 Infektionen 2.530 dieser Altersgruppe zurechenbar. Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 331 Fällen je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner haben die Sechs- bis 14-Jährigen zudem die 15- bis 24-Jährigen überflügelt, die während des Sommers die höchste Inzidenz aufwiesen.

Dass unter Zwölfjährige noch nicht regulär geimpft werden können, dürfte ein Grund für die steigende Infektionszahl sein. Ein anderer, dass Schülerinnen und Schüler durch Tests in der Schule durchgängig und vollständig getestet werden – dadurch gibt es kaum eine Dunkelziffer, und auch asymptomatische Infektionen werden erkannt. Und: Der Schutz für Nichtgeimpfte steht und fällt mit der Impfrate der gesamten Bevölkerung – und die ist in Österreich mit knapp 65 Prozent nach wie vor zu niedrig.

„Zwei Kinder im September auf Intensivstation“

„Würden sich deutlich mehr Erwachsene in Österreich gegen das Virus impfen lassen, müssten wir heute nicht in diesem Rahmen über die Covid-19-Impfung für Kinder sprechen“, so Florian Götzinger, Kinderarzt und Kinderinfektiologe an der Klinik Ottakring in Wien, gegenüber ORF.at. Bei den Erwachsenen seien im Moment fast alle stationären Aufnahmen mit Covid-19 ungeimpft. „Ungeimpfte Infizierte tragen außerdem am meisten zur Verbreitung des Virus bei.“

Seit Anfang September habe es an der Klinik Ottakring zwei Kinder gegeben, die auf einer Intensivstation aufgenommen werden mussten, eines davon habe eine schwere Vorerkrankung gehabt. Beide Kinder konnten mittlerweile wieder gesund entlassen werden. Bisher sei die Bettenkapazität für Kinder ausreichend gewesen, um alle Patientinnen und Patienten „optimal zu versorgen“.

Kinderinfektiologe Florian Götzinger
Florian Götzinger
Florian Götzinger ist Kinderarzt und Kinderinfektiologe an der Klinik Ottakring in Wien

Nur wenige Kinder würden schwer an Covid-19 erkranken, so Götzinger. Für diese brauche es aber bestimmte Ressourcen. „Würde eine zu rasche Ausbreitung des Virus zugelassen und es dadurch in kurzer Zeit sehr viele schwer erkrankte Kinder geben, wären die Spitalskapazitäten schnell ausgelastet.“ In Wien habe man sich vonseiten der Stadt für den Notfall auf ein solches Szenario vorbereitet.

„Schutzschild für die Kinder“

Wegen des hohen Ansteckungsgrads der Delta-Variante, sei davon auszugehen, dass es diesen Herbst und Winter bei vielen Menschen, die nicht geimpft oder genesen sind, zu einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 kommen werde, so Götzinger. „Und da gehören natürlich auch Kinder dazu.“ Inwieweit die Infektionszahlen bei Kindern in den nächsten Wochen ansteigen, hänge aber von vielen unterschiedlichen Faktoren ab.

„Erwachsene können durch ihre eigene Impfung ein Schutzschild für die Kinder bilden. Die allermeisten Ansteckungen von Kindern und Jugendlichen passieren immer noch im außerschulischen Bereich.“ Die derzeitigen Sicherheitsmaßnahmen an den Schulen hält der Kinderinfektiologe für „einen guten Kompromiss, um Kindern ein annähernd normales Schuljahr zu ermöglichen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass es nicht zu einem unkontrollierten Anstieg an Infektionen kommt“.

Wann kommt die Impfung für unter Zwölfjährige?

Eine „Off-label“-Impfung hält Götzinger für „eine ganz persönliche, gemeinsame Entscheidung der Eltern, des Kindes und der behandelnden Kinderfachärztinnen und -ärzte“. Sollte das Kind aufgrund einer schweren Grunderkrankung ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben, sei sie aber „sicher sinnvoll“. Doch wie lange müssen Kinder unter zwölf noch bis zur regulären Impfung warten? „Soweit ich weiß, wird noch diesen Herbst mit der Zulassung einer Impfung für über Fünfjährige gerechnet“, sagt Götzinger.

Kinderarzt Doczy rechnet bis spätestens Mitte November mit der Zulassung der EMA: „Danach muss sich noch das Nationale Impfgremium beraten. Und das ist auch gut so. Das NIG richtet sich aber meistens nach der EMA.“ Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass die EMA „bis Ende des Jahres oder spätestens im ersten Quartal 2022“ grünes Licht geben wird.

Biontech und Pfizer: „Starke Immunantwort“

Biontech und Pfizer teilten im September mit, nach positiven Studienergebnissen schnellstmöglich die Zulassung ihres Covid-19-Impfstoffs zum Einsatz bei Kindern zu beantragen. Bei der US-Arzneimittelbehörde FDA wurden die Daten für eine Zulassung ihres Covid-19-Impfstoffs für Kinder zwischen fünf und elf Jahren mittlerweile eingereicht. Die EMA und weitere Zulassungsbehörden weltweit sollen alsbald folgen. In der entscheidenden Studie mit Fünf- bis Elfjährigen sei das Vakzin gut vertragen worden und habe eine starke Immunantwort erzeugt, teilten die beiden Unternehmen mit.