Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler
APA/Herbert Neubauer
Korruptionsermittlungen

Kurz glaubt weiter an Koalition

Mit den schweren Vorwürfen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und enge Vertraute rückt jetzt auch die Zukunft der türkis-grünen Koalition in den Fokus. Kurz, der im ZIB2-Interview am Mittwochabend seine Unschuld betonte, sieht diese laut eigenen Worten nicht in Gefahr. Der Ball scheint aktuell aber beim Koalitionspartner zu liegen.

Auf die Frage, ob die Grünen in der Koalition bleiben würden, sagte Kurz in der ZIB2: „Ich kann mir beim besten Willen nichts anderes vorstellen.“ Er werde „selbstverständlich“ Kanzler bleiben. Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sah die Handlungsfähigkeit in einer ersten Reaktion am Mittwoch „voll gegeben“ und verteidigte zugleich die Arbeit der WKStA, die von der ÖVP zuletzt mehrfach attackiert worden war.

Kritischer äußerte sich Kogler gegenüber dem „Kurier“. „Der erste Eindruck ist verheerend“, wurde der Vizekanzler dort nach erster Durchsicht der 104-seitigen Anordnung zu den Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale, im Kanzleramt und im Finanzministerium zitiert. Dem Bericht zufolge herrschen bei den Grünen große Zweifel an einer weiteren Zusammenarbeit mit der Kurz-ÖVP. Eine Regierungsumbildung würden die Grünen laut Insidern akzeptieren.

Bundeskanzler Kurz weist Vorwürfe zurück

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wies im ZIB2-Interview die Vorwürfe gegen die ÖVP zurück. Er verwies auf die Unschuldsvermutung, kritisierte Details der Vorwürfe und sah einen Rücktritt als keine Option.

Die ZIB2 berichtete am Mittwoch von geplanten Beratungen zur Causa bei den Grünen. Öffentlich äußerte man sich dazu aber noch nicht. „Wir sind nicht diejenigen, die ad hoc entscheiden. Wir überlegen, und das wird auch heute gemacht, und wir werden dann morgen genauer wissen, wie wir weitermachen“, sagte am Mittwoch etwa die grüne Abgeordnete Eva Blimlinger.

Filzmaier: Hoher politischer Preis

Auch der Politologe Peter Filzmaier nennt die Grünen als zentralen Faktor. Er sagte in der ZIB2, Kurz könne die Affäre politisch überleben, er und das ganze Land würden aber einen hohen politischen Preis dafür zahlen müssen. Denn die Frage, ob der Kanzler in den schwerwiegenden Vorwürfen schuldig sei, werde monate-, wenn nicht jahrelang im Raum stehen. Solche Verfahren würden länger dauern.

Für Kurz stehe dann ständig die Frage im Raum, ob der Koalitionspartner zu ihm halten werde und ob nicht einer der neun anderen Beschuldigten – sollten sich die Vorwürfe als richtig herausstellen – Kurz belaste. Druck aus der eigenen Partei sieht Filzmaier dagegen derzeit nicht als Problem für den ÖVP-Chef. Und Österreich werde damit leben müssen, dass sich die Lage noch mehr polarisiere zwischen entschiedenen Gegnern und Anhängern von Kurz.

Experten zu ÖVP-Hausdurchsuchung

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier und Martin Kreutner, früherer Leiter der Antikorruptionsakademie, analysieren die Auswirkungen der Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, der ÖVP-Zentrale und dem Finanzministerium.

Möglichkeiten für Grüne und Bundespräsidenten

Die Parteispitze der Grünen werde, so Filzmaier, die Koalition nicht sprengen. Ein größerer Risikofaktor sei da schon der grüne Klub. Sechs Abgeordnete würden reichen, um bei einer Misstrauensabstimmung den Ausschlag zu geben, sollten diese mit der Opposition stimmen. Die Opposition hatte zuvor geschlossen Kurz’ Rücktritt gefordert.

Der Bundespräsident könne zwar formal die Regierung entlassen. Alexander Van der Bellen habe aber stets die Bedeutung der Unschuldsvermutung betont, so Filzmaier zudem. Daher werde er wohl weiter mahnen, aber darüber hinaus nicht aktiv werden – mehr dazu in wien.ORF.at.

Ö1-Innenpolitikleiter Edgar Weinzettl verwies in der Debatte auf die von Kogler erwähnte Handlungsfähigkeit der Regierung, die der Vizekanzler zunächst als gegeben ansah. Die grüne Basis könnte da aber zu einer anderen Einschätzung als ihr Parteichef kommen und dementsprechend Druck ausüben, so Weinzettl. Sollte der Druck auf die grünen Abgeordneten größer werden, könne es auch sehr schnell „brenzlig“ für die Regierungsmehrheit werden.

„Es ist bitter für die Grünen, die Partei der sauberen Hände, die Antikorruptionspartei“, sagte Weinzettl in seiner Analyse weiter. „Sie wissen, dass, wenn sie jetzt nicht Flagge zeigen, die nächsten Wahlkämpfe nicht mehr mit diesem Thema bestritten werden können. Das wird ihnen der politische Mitbewerber genüsslich vorhalten. Da bleibt ja wirklich nur mehr das Klimathema.“

Kurz weist alle Vorwürfe zurück

Kurz zog im ZIB2-Interview generell die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, die am Mittwoch zu Razzien auch im engsten Umfeld von Kurz führten, in Zweifel. Er betonte, alle Vorwürfe – Grundlage ist unter anderem die Auswertung von SMS-Nachrichten von Ex-ÖBAG-Chef und Ex-Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid – würden sich gegen damalige Mitarbeiter des Finanzministeriums richten. Nun solle man zuerst einmal prüfen, ob diese Vorwürfe überhaupt stimmen, so Kurz, der selbst sagte, dass er nicht davon ausgehe.

Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass für ÖVP-Parteizwecke Umfragen aus Geldern des Finanzministeriums bezahlt worden sein sollten und Berichterstattung beim Boulevardmedium „Österreich“ gegen Inserate gekauft worden sei, gebe es „kein Indiz“, dass er, Kurz, das gesteuert habe. Er sei 2016 Außenminister gewesen, so Kurz – und weder Parteichef noch Bundeskanzler.

Kurz: Keine SMS, die mich belastet

Dass die Staatsanwaltschaft im Hausdurchsuchungsbefehl Kurz faktisch verdächtigt, zu diesen Taten angestiftet zu haben, wies Kurz zurück. Er betonte mehrmals, es gebe keine SMS von ihm in den Unterlagen, die ihn belasten würde. Auf die Frage, ob er von einer Gegenleistung, wie sie Schmid in einer SMS anspricht, wisse, antwortete Kurz zunächst ausweichend. Nach mehrmaligem Insistieren sagte Kurz, er könne natürlich mit Nein antworten.

Den Verdacht der Ermittler, er habe die frühere Ministerkollegin Sophie Karmasin angestiftet, Fragestellungen für Umfragen zu ändern, wies Kurz zurück. Er habe sich mit ihr sicher manchmal über Umfragen unterhalten, doch das sei ja ganz normal, umso mehr, als sie ein Umfrageinstitut in zweiter Generation leite.

Kanzler sieht Ermittlungen „sehr gelassen“ entgegen

Kurz, der in Sachen Inseratendeals der Politik mit Boulevardmedien – nicht zum ersten Mal – auf die sehr hohen entsprechenden Ausgaben der SPÖ-geführten Stadt Wien verwies, räumte generell eine gewisse Schwierigkeit mit diesen Geschäften ein. Initiativen und mehrere Parteien wie NEOS fordern seit Jahren eine grundlegende Reform der Medienförderung und eine Abkehr oder zumindest Transparenz bei den Inseratendeals. Er könne aber „tausendprozentig“ ausschließen, jemals eine Scheinrechnung gestellt oder erhalten zu haben oder sonst wie darin involviert gewesen zu sein, so Kurz.

Hausdurchsuchung bei der ÖVP

Nach schweren Vorwürfen gegen die ÖVP wegen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit kam es am Mittwoch zu einer Hausdurchsuchung in der ÖVP-Parteizentrale, dem Kanzleramt und dem Finanzministerium.

Kurz stellte auch in Abrede, dass die Umfragen 2016 manipuliert gewesen seien. Einerseits hätten andere Umfragen ähnliche Ergebnisse geliefert, und andererseits habe die ÖVP danach beide Wahlen gewonnen, wobei sich die Meinungsforschung dabei als ziemlich treffsicher erwiesen habe. Und dass er in Chats über Meinungsumfragen informiert wurde, sei „strafrechtlich nicht relevant“.

Abschließend betonte Kurz sinngemäß einmal mehr, dass ihn keine der SMS belaste. Er sehe den Ermittlungen daher „sehr gelassen entgegen“. Und Kurz sagte, er „verstehe nicht, warum ich für jedes Unrecht verantwortlich sein soll“.