Vizekanzler Werner Kogler und Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Roland Schlager
Grün kontra ÖVP

Das Patt

Nicht mehr handlungsfähig oder handlungswillig. Österreich erlebt seit Donnerstag ein politisches Patt, nachdem durch die am Vortag bekanntgewordenen Ermittlungen gegen den engsten Kreis von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Politgefüge des Landes ordentlich in Bewegung gekommen ist. Die ÖVP pocht auf die Unschuldsvermutung und ihren Willen, weiterzuregieren. Bei den Grünen scheint die Schmerzgrenze erreicht. Bis zur Sondersitzung des Nationalrats am Dienstag samt zu erwartendem Misstrauensantrag gegen Kurz gilt es nun vor allem für die Grünen, eine Grundsatzentscheidung zu treffen.

„Wer eine gute, funktionierende Regierung platzen lässt, wacht am nächsten Tag mit einem (FPÖ-Chef, Anm.) Herbert Kickl in der Regierung auf.“ Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), eine der engsten Vertrauten von Kurz und seinem innerparteilichen Aufstieg, der ja nun Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen ist, rückte am Donnerstag zu den Medien aus, um eines klarzumachen: Die ÖVP stehe eng geschlossen hinter dem Kanzler, der am Donnerstag stets eines betonte: das Gelten der Unschuldsvermutung in einem Rechtsstaat.

Köstinger: ÖVP will in Regierung bleiben

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) erklärt, dass die Ministerinnen und Minister der Volkspartei weiterhin in der Regierung bleiben wollen, und zwar ausschließlich unter der Führung von Bundeskanzler Sebastian Kurz, und dass alle Landeshauptleute und Obleute der bündischen Organisationen sich hinter den Bundeskanzler gestellt haben.

Wer vor einem Kickl in der Regierung warnt, hat ihn möglicherweise selbst erlebt. Und lädt die jetzige Situation vielleicht unfreiwillig mit „Ibiza 2“-Assoziationen auf. Ob der Gegenstand der Ermittlungen ein „Ibiza 2“ hergibt, wird auf der inhaltlichen Ebene je nach Standpunkt unterschiedlich bewertet. Auf der Ebene politischer Konsequenzen ist man aber wieder recht nah am Jahr 2019 dran und der Frage, ob bald eine neue Regierung, entweder der Marke „Konzentration“ oder „Experten“, zu bilden ist. Wenn die Grünen bei ihrer Vermutung vom Donnerstag bleiben, dass die ÖVP mit Kanzler Kurz nicht mehr handlungsfähig sei, dann wird es mit der Fortsetzung einer Koalition schwer werden.

Zeitfenster bis Dienstag

Bis Dienstag gibt es ein Zeitfenster, um eine Perspektive für den Weg aus dem Patt zu finden. Spätestens mit dem für die Sondersitzung angekündigten Misstrauensantrag gegen den Kanzler müssen die Grünen dann Farbe bekennen.

Am Donnerstagvormittag war Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) jedenfalls in eine Form von Steilvorlage gezogen, die so wirkte, als hätte er gleich eine Anleihe bei seinem deutschen Kollegen Robert Habeck und dessen FDP-Gegenüber Christian Lindner genommen: Die Kleineren wollen dort ja bestimmen, wo der Weg weitergeht. Allerdings in der Bundesrepublik in Richtung einer Regierung.

Der Druck auf die Grünen wurde größer

In einer Aussendung sah Kogler jedenfalls eine „neue Dimension“ und damit jene Schwelle erreicht, an der die Grünen „nicht zur Tagesordnung übergehen“ konnten und wollten. Man wollte mit allen anderen Parteien Gespräche führen, wie es weitergehen soll. Denn die Handlungsfähigkeit des Kanzlers sei „infrage gestellt“.

Vizekanzler Kogler möchte Stabilität schaffen

Werner Kogler (Grüne) lädt alle Parlamentsparteien zu Gesprächen. Ziel sei es, Ordnung zu schaffen, Verantwortung zu übernehmen und aufzuklären.

Vor dieser am Donnerstag doch überraschend gekommenen Festlegung Koglers (der noch am Mittwoch eine Handlungsfähigkeit der Regierung gegeben sah) war der Druck der Oppositionsparteien auf die Grünen erhöht worden. Die Grünen würden zu entscheiden haben, welches Schicksal die Regierung nähme, so die Botschaft von SPÖ, FPÖ und NEOS.

Kurz legt sich klar fest

Wie die anderen Parteichefs war am Donnerstag ÖVP-Obmann Kurz zu einem Einzelgespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen in die Hofburg geladen und wiederholte auf dem Weg seine Haltung. An Rücktritt denke er nicht, er stehe auch zu Koalition und Regierungsprogramm. „Wenn die Grünen also nicht mehr diese Zusammenarbeit fortsetzen wollen und sich andere Mehrheiten im Parlament suchen wollen, ist das zu akzeptieren. Wir stehen bereit, diese Zusammenarbeit fortzusetzen“, so Kurz.

Kanzler Kurz will im Amt bleiben

Trotz aller Vorwürfe und laufender Ermittlungen will Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) weiter im Amt bleiben. Auch an der Koalition mit den Grünen will er festhalten.

Interner ÖVP-Schulterschluss

Die ÖVP übt derweil den Schulterschluss hinter Kurz. Kurz selbst hatte ja die Losung ausgegeben und mehrmals wiederholt, dass er nicht an allem schuld sein könne, wogegen im Land ermittelt werde. Und dass die Unschuldsvermutung gelte. Dieses Gelten der Unschuldsvermutung wird in jedem Artikel, so auch hier, betont. Allerdings ist damit eine rechtliche Kategorie angesprochen.

In politischer Hinsicht dürfen sich Beobachter an ein Hintergrundgespräch des Kanzlers in der Akademie der Partei erinnern, das Kurz knapp nach der Einigung mit den Grünen auf eine Koalition ausgerichtet hatte. Ein Gros der heimischen Journalisten war da versammelt. Und staunte nicht schlecht, dass der Hauptteil der Zeit einem Rundumschlag auf die Arbeit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gewidmet war. Diese politische Auseinandersetzung der ÖVP mit der Arbeit der Behörde wurde in der vergangenen Woche fortgesetzt.

Die ÖVP ist jedenfalls dicht an dicht um den Kanzler versammelt. In Aussendungen stellten sich Landes- wie Bundesobleute am Donnerstag hinter den Parteivorsitzenden. „Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben“, richtete man auch den Grünen aus. Schon davor hatten sich die Bünde-Obleute in einer gemeinsamen Aussendung hinter den Parteichef gestellt. Auffällig sei bloß gewesen, so die APA, „dass einzig Seniorenbund-Obfrau Ingrid Korosec persönlich zitiert war, die konstruierte Vorwürfe beklagte“.

Grafik zu den Vorwürfen in der ÖVP-Affäre
Grafik: ORF.at

Ein Nahblick auf die ÖVP-Länder

Mit Interesse darf man in diesen Stunden auf die ÖVP in den Ländern blicken. Solidarität wird beschworen, aber man hört bei den Zwischentönen besonders hin. So sprach Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) von einer „schwierigen Situation“. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) befand die Vorwürfe als „schwerwiegend“, hatte aber auch deutlich hinzugefügt: „Wir in den Ländern haben damit nichts zu tun.“

„Die Härte der Vorwürfe ist unfassbar. Sie hat eine Dimension erreicht, die an die Grenzen des Möglichen heranreicht“, war vom steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer zu hören. Das war alles noch vor der gemeinsamen Aussprache, die die ÖVP am Abend in Wien hielt.

Wie kommt man da heraus?

Innenpolitische Beobachter rätseln, wie die Koalition nach diesem Donnerstag weitermachen könne. „Es ist die größte Krise seit Ibiza“, meinte Michael Jungwirth von der „Kleinen Zeitung“ zur ZIB – und erinnerte indirekt daran, dass die Abstände großer Krisen in Österreich immer kürzer werden. Seine Kollegin Petra Stuiber vom „Standard“ hoffte dagegen, dass die Grünen gerade jetzt in der Regierung blieben: „Nichts wäre derzeit schädlicher für Demokratie und Rechtsstaat, als wenn die Grünen diese Koalition Knall auf Fall verließen, damit ein unübersichtliches Chaos auslösten und die Ermittlungsbehörden der Justiz, die sich so weit vorgewagt haben, nun sich selbst – oder der ÖVP – überließen.“