Ballhausplatz in Wien
ORF.at/Roland Winkler
ÖVP-Korruptionsaffäre

Suche nach Weg aus Regierungskrise

Die neuen Ermittlungen der WKStA gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) haben die Koalition aus ÖVP und Grünen in eine Krise gestürzt. Wie es mit der Regierung weitergeht, war einen Tag nach den Razzien in ÖVP-Parteizentrale und Kanzleramt offen. Sicher ist nur: Ein Weg aus der Krise wird alles andere als einfach.

Die ÖVP hat am Donnerstag eines klargemacht: Ohne ihren derzeitigen Obmann und Bundeskanzler wird die Partei nicht in der Regierung bleiben. Von den ÖVP-Regierungsmitgliedern abwärts war das der angestimmte Tenor. Mehrfach erklärten Kurz und seine Parteifreunde in der Regierung auch, die Koalition mit den Grünen fortführen zu wollen. Und dass die Regierung selbstverständlich weiter handlungsfähig sei.

Genau das hatten die Grünen selbst allerdings am Donnerstag in Zweifel gezogen. Die Handlungsfähigkeit des Kanzlers sei infrage gestellt, ließ die grüne Spitze Donnerstagvormittag per Aussendung wissen. Mag sein, dass Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler und seine Parteifreunde zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung hegten, die Koalition mit der ÖVP ohne Kurz weiterführen zu können. Mit dem Mauerschluss innerhalb der ÖVP im Laufe des Tages wurde aber klar: Diese Option ist – nach aktuellem Stand – keine.

Politologe Filzmaier über die ÖVP

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ordnet die aktuellen innenpolitischen Geschehnisse rund um Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ein.

Am Donnerstag sprossen denn die Überlegungen, wie die heimische Politik unter diesen Vorzeichen aus der Krise kommen könnte. Die meisten Beobachterinnen und Beobachter waren sich dabei in einem einig: An Neuwahlen können derzeit weder die Grünen noch die Opposition wirklich Interesse haben. Vom Tisch ist diese Möglichkeit damit freilich nicht. Auch deshalb, weil die anderen Optionen – in Anbetracht der Mehrheitsverhältnisse – zumindest als gewagt gelten dürfen.

Misstrauensantrag am Dienstag

Fix ist mittlerweile, dass am Dienstag im Nationalrat eine Sondersitzung zu der Causa stattfinden wird. Als ausgemacht gilt auch, dass es dort zu einem Misstrauensantrag gegen Kurz kommen wird – womöglich eingebracht von allen Oppositionsparteien gemeinsam. SPÖ, FPÖ und NEOS machten am Donnerstag einmal mehr deutlich, dass sie für einen Bundeskanzler Kurz keine Zukunft mehr sehen.

Die Stimmen der Opposition allein würden allerdings nicht reichen, um den Kanzler aus dem Amt zu heben. Dazu brauchte es die Stimmen von mindestens sieben weiteren Abgeordneten der Grünen. Ob die kleine Regierungspartei sich zu diesem Schritt durchringt, ist alles andere als ausgemacht.

Beate Meinl-Reisinger (NEOS) will politischen Neustart

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger möchte einen „Tag null“ der österreichischen Politik. Sie sieht die Handlungsfähigkeit von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht mehr als gegeben an. Meinl-Reisinger fordert zudem schärfere Gesetze gegen Korruption und Bestechung.

Wenngleich am Donnerstag die erste explizite Rücktrittsforderung von grüner Seite gegen Kurz laut wurde. Gegenüber „Wien heute“ sagte der Bezirksvorsteher von Wien-Neubau, Markus Reiter, „der Rücktritt vom Herrn Bundeskanzler steht an“. Angesichts der Vorwürfe könne „so ein Bundeskanzler nicht mehr für die Republik, für Österreich richtig handeln. Da ist am besten, man tritt zurück.“ Auf Nachfrage, ob das viele seiner Parteikollegen auch so sehen würden, sagte Reiter, das wachse stündlich – mehr dazu in wien.ORF.at.

Schwierige Mehrheitssuche

Für einen erfolgreichen Misstrauensantrag, der keine Neuwahlen zur Folge hat, müsste im Nationalrat eine Mehrheit abseits der ÖVP gefunden werden. Tatsächlich geht das rechnerisch aber nur mit der FPÖ. Dass das – nicht nur wegen der Haltung der Partei in der noch immer virulenten CoV-Krise – eine realistische Option ist, wird von vielen bezweifelt.

Mehrheiten ohne ÖVP-Beteiligung

Sollten sich die Grünen dem Misstrauensvotum von SPÖ, FPÖ und NEOS anschließen, sind nicht zwingend Neuwahlen notwendig. Grüne, SPÖ und FPÖ hätten gemeinsam eine Mehrheit im Parlament, eine Zusammenarbeit bezeichnen Experten als unrealistisch. Grüne, SPÖ und NEOS allein kommen nicht auf mehr als die Hälfte der Sitze im Nationalrat.

Damit bliebe noch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung, die dann von der FPÖ geduldet wird. Ein solches Konstrukt als stabil zu bezeichnen trauten sich wohl nur die wenigsten. „Dann müsste Kickl als Parteichef der FPÖ alle Beschlüsse dieser neuen Regierung mittragen, und wie lange dieses Experiment gutgeht, daran darf man zweifeln“, urteilte etwa ZIB-Innenpolitik-Chef Hans Bürger in der ZIB. Auch Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk sprach gegenüber der ZIB2 von einer „ständigen Gefahr“ für eine solche geduldete Regierung.

Raum für Diskussionen würde in so einem Fall schon zuvor die Frage bieten, wer eine solche Regierung anführen würde. Als größte Partei werde die SPÖ dann den Kanzleranspruch stellen, zitierte der „Standard“ einen anonym bleibenden SPÖ-Politiker. Im Raum steht durchaus auch eine Person ohne Parteibuch. Nicht nur einmal fiel am Donnerstag der Name Brigitte Bierlein. Die ehemalige Höchstrichterin führte die Übergangsregierung aus Expertinnen und Experten, nachdem die „Ibiza“-Affäre die ÖVP-FPÖ-Koalition gesprengt hatte.

Heinz Fischer: „So etwas noch nicht erlebt“

Ex-Bundespräsident Heinz Fischer betont, dass er eine so ernste Situation noch nicht erlebt habe. Bundespräsident Alexander Van der Bellen müsse laut ihm auf jede Situation vorbereitet sein, auch eine komplett neue Regierung sei laut Fischer möglich. Wenn der Misstrauensantrag im Parlament gegen Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag bestätigt werde, muss Van der Bellen den Kanzler auf jeden Fall seines Amtes entheben.

Eine solche Expertenregierung führte am Donnerstag ebenfalls so mancher ins Feld. Auch Altbundespräsident Heinz Fischer hielt die Option in der ZIB2 für „denkbar“. So könnte eine solche vom Bundespräsidenten einmal für sechs Monate eingesetzt werden, „um das Land zu beruhigen“ und „die Situation zu stabilisieren“. Sechs Monate seien eine lange Zeit, in der man die Situation analysieren könne. „Vielleicht sind dann auch neue Fakten und neue Erkenntnisse auf dem Tisch“, so Fischer.

Parteichefs bei Van der Bellen

Das letzte Wort bei der Bestellung eines neuen Bundeskanzlers und einer neuen Regierung hat jedenfalls einer: Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Am Donnerstag sprach dieser Einladungen an alle Chefs der Parlamentsparteien aus. Noch am selben Tag erschienen Kogler, Kurz und SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner beim Staatsoberhaupt. Am Freitag folgen noch FPÖ-Chef Herbert Kickl und NEOS-Obfrau Beate Meinl-Reisinger.

Überdies teilten die Grünen mit, ebenfalls mit allen anderen Parlamentsparteien sprechen zu wollen. Für Freitag ergingen Gesprächseinladungen an die Klubobleute der anderen Parlamentsparteien. Diskussionsbedarf wird es in diesen Gesprächen zur Genüge geben. Und es ist davon auszugehen, dass sich die Beratungen nicht auf Freitag beschränken werden. Das kommende Wochenende wird viel werden – aber eines nicht: langweilig.