ÖVP-Zentrale in Wien
ORF.at/Roland Winkler
Korruptionsaffäre

ÖVP macht Kurz die Mauer

Mit der Sitzung der ÖVP-Länderchefs und der Parteispitze ist ein turbulenter Donnerstag zu Ende gegangen. Den Kurs, den die Partei am Vormittag eingeschlagen hatte, hielt sie dabei am Abend weiter ein. Nach dem Treffen traten Klubobmann August Wöginger und der Tiroler Landeshauptmann Günter Platter vor die Kameras. Ihre Botschaft: Die ÖVP steht „hundertprozentig hinter Sebastian Kurz“.

Brodelt es in der ÖVP nach den Ermittlungen und schwerwiegenden Vorwürfe gegen Parteichef und Bundeskanzler Kurz? In der Außenansicht konnte diese Frage am Donnerstag nur mit einem Nein beantwortet werden. Die Unterstützung für Kurz, die Wöginger und Platter spät am Abend verkündeten, war nur noch das letzte Statement in eine Reihe sehr ähnlich klingender Erklärungen.

Man habe ein langes und gutes Gespräch geführt und es sei klar: Die Landeshauptleute stünden hundertprozentig hinter Kurz, so Platter. Man habe mit dem Parteichef Wahlen gewonnen, aber auch viel weitergebracht. Auch die Zukunft werde große Herausforderungen bringen, für die es Kurz an der Spitze brauche.

Landeshauptleute stellen sich hinter Kurz

„Alle ÖVP-Landeshauptleute stehen hundertprozentig hinter Kurz“, betonte Tirols Landeshauptmann Günther Platter. Die Verantwortung, wie es jetzt mit der Koalition weitergeht, gibt ÖVP-Klubobmann August Wöginger an die Grünen ab.

Schützenhöfer: „Härte der Vorwürfe unfassbar“

Zuvor hatte Wöginger einmal mehr erklärt, dass es eine ÖVP in der Regierung nur mit Kurz als Kanzler gebe. Auch Wöginger sah seine Partei zu hundert Prozent geschlossen stehen – nicht nur hinter Kurz, sondern auch hinter dem mit den Grünen geschlossenen Regierungsabkommen. Es liege deshalb auch an den Grünen, wie es weitergehe, so Wöginger.

Der steirische ÖVP-Landeschef Hermann Schützenhöfer war laut Ö1-Morgenjournal nicht beim Treffen der Landesvertreter. Er steht hinter der gemeinsamen Sprachregelung der Landeshauptleute. In der „Kleinen Zeitung“ sagte er aber auch, dass die „Härte der Vorwürfe unfassbar“ sei und eine „Dimension erreicht hat, die an die Grenzen geht“.

ÖVP-Minister: Nur mit Kurz in Regierung

So hatten sich untertags bereits die Regierungsmitglieder geäußert. In einer gemeinsamen Aussendung hieß es: „Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben.“ Nur durch die Führung und den unermüdlichen Einsatz von Kurz sei es möglich gewesen, eine „derart nahtlose und bestens koordinierte Zusammenarbeit über die Ressortgrenzen hinweg zu pflegen“.

Türkis-Grün in der Krise

Nach den Hausdurchsuchungen am Mittwoch haben die Grünen am Donnerstag die Regierungsfähigkeit von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) infrage gestellt. Kurz selbst weist alle Vorwürfe zurück und möchte in jedem Fall weiterregieren.

Rückendeckung kam ebenso von den ÖVP-Teilorganisationen. Mit einer Aussendung in der Nacht auf Freitag stellte sich auch der ÖVP-Parlamentsklub „einig und geschlossen“ hinter Kurz.

Kurz betont erneut Unschuldsvermutung

Der Kanzler selbst hatte rund um seinen Besuch bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärt, dass er und die ÖVP bereitstünden, um die Regierungsarbeit mit den Grünen fortzusetzen. Allerdings: „Wenn die Grünen die Zusammenarbeit nicht mehr fortsetzen und sich andere Mehrheiten im Parlament suchen wollen, ist das zu akzeptieren“, so Kurz

Sebastian Kurz beantwortet Fragen von Journalistinnen und Journalisten
APA/Herbert Neubauer
Die ÖVP versicherte am Donnerstag wiederholt, hinter Kurz zu stehen

Der Bundeskanzler pochte erneut auf die Unschuldsvermutung und wies die Korruptionsvorwürfe als falsch zurück. Es werde ihm etwas „unterstellt“. Es sei wichtig, dass die Justiz gegen jeden ermitteln könne, „unabhängig und fair“, sagte Kurz, und die Unschuldsvermutung sei stets ein Grundpfeiler der Verfassung gewesen. Er wolle sich mit „allen demokratischen und rechtlichen Mitteln wehren“.

Nur ganz leise waren am Donnerstag auch im Ansatz kritische Stimmen aus der ÖVP zu hören. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) bezeichnete die Vorwürfe als „schwerwiegend“.

Grüne zweifeln an Kurz’ Handlungsfähigkeit

Die demonstrierte Geschlossenheit der ÖVP konnte wohl auch als Reaktion auf das Vorgehen des Regierungspartners gesehen werden. Die Grünen gaben zwar noch keine konkreten Schritte bekannt, stellten am Donnerstag jedoch die Handlungsfähigkeit des Kanzlers infrage. Mit den Korruptionsermittlungen sei „eine neue Dimension erreicht. Der Eindruck ist verheerend, der Sachverhalt muss lückenlos aufgeklärt werden“, betonte Kogler: „Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund infrage gestellt“, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme von Parteichef Werner Kogler.

Und weiter: „Wir müssen für Stabilität und Ordnung sorgen. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für unser Land. Wir müssen gemeinsam für Stabilität und Aufklärung sorgen, und darum möchte ich parteiübergreifend das weitere Vorgehen beraten.“

Grafik zu den Vorwürfen in der ÖVP-Affäre
Grafik: ORF.at

Praktisch wortgleich äußerte sich Klubobfrau Sigrid Maurer vor Beginn der Präsidiale des Nationalrats am Nachmittag. Zwar stehe ein Ende der Koalition keineswegs fest, meinte sie auf eine entsprechende Journalistenfrage. Aber: „Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Die Vorwürfe gegen Kurz würden schwer wiegen. Den Gesprächen mit dem Bundespräsidenten und anderen Klubobleuten wolle sie nicht vorgreifen.

Grüne Gespräche mit Klubobleuten

Für Freitag luden Kogler und Maurer die Klubobleute der Parlamentsparteien zu Gesprächen. „Es freut mich, dass alle Parteien ohne Vorbehalte zu solchen Gesprächen bereit sind“, meinte Kogler in der Aussendung. „Das ist ein wichtiges und gutes Zeichen.“ Diesen Gesprächen werde er auch nicht vorgreifen: „In so einer Situation braucht es Augenhöhe, Respekt und Vertrauen.“ Die genauen Termine gaben die Grünen nicht bekannt.

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen lud – diesmal die Parteichefs – zu sich in die Präsidentschaftskanzlei. Am Donnerstag waren zuerst Kogler, dann Kurz und schließlich SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner an der Reihe. Am Freitag folgen FPÖ-Chef Herbert Kickl und NEOS-Obfrau Beate Meinl-Reisinger.

Zadic: Ereignisse rütteln an Grundfesten der Demokratie

Donnerstagmittag stellte sich Justizministerin Alma Zadic (Grüne) nach eigenen Aussagen „schützend vor die Staatsanwaltschaft“, wie sie im Ö1-Mittagsjournal sagte. Sie verurteilte die Angriffe auf die Justiz. Sie sehe es als ihre Aufgabe, für die unabhängige Ermittlungsarbeit zu sorgen. „Die Staatsanwaltschaften in Österreich sind selbstverständlich gesetzlich verpflichtet, jedem Verdacht nachzugehen“, so Zadic.

Wer das Gefühl habe, die Hausdurchsuchungen seien zu Unrecht erfolgt, könne „selbstverständlich“ Beschwerde dagegen erheben. „Und das steht jedem zu, wir leben ja auch in einem Rechtsstaat. Aber es muss schon noch einmal gesagt werden: Die Ereignisse rütteln auch an den Grundfesten unserer Demokratie, und wir können jetzt nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen.“

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sieht hingegen in Sachen Ermittlungen gegen Kurz die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet. Durch die Veröffentlichung von Verfahrensdetails sei es zu einem „Tribunal“ gekommen. Zugleich warnte sie vor einer Konzentrationsregierung der anderen Parlamentsparteien.

Opposition fordert Kurz-Rücktritt

Die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS forderten am Donnerstag erneut den Rücktritt des Kanzlers. NEOS-Chefin Meinl-Reisinger zufolge brauche es einen „Neustart“ für Österreich. Dafür wolle man „entweder gemeinsam oder alleine“ einen Misstrauensantrag einbringen. Neuwahlen seien deshalb aber nicht zwangsläufig nötig. Auch mit den Grünen soll es Gespräche geben, so Meinl-Reisinger.

FPÖ-Chef Herbert Kickl findet Kurz „als Kanzler untragbar“. Gesprächen mit den Grünen werde man sich nicht grundsätzlich verschließen – die Grünen müssten aber ihre eigene Position klären, forderte Kickl am Donnerstag in einer Aussendung. Die Grünen müssten „deutlich sagen, ob der Kanzler und seine Partei aus ihrer Sicht noch handlungs- und damit regierungsfähig sind und ob eine Zusammenarbeit mit der ÖVP für sie noch möglich ist oder nicht“.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner fragte in einer Pressekonferenz, was noch passieren müsse, bis er sein Amt niederlege: „Er kann es nicht mehr ausführen, ohne dass Österreich Schaden nimmt.“ In der türkisen ÖVP sei jeder Anstand verloren gegangen. Vor dem Treffen mit Van der Bellen meinte sie: „Ein Weiter-wie-bisher gibt es nicht aus meiner Sicht.“ Durch die Ermittlungen der WKStA habe man ein „zutiefst verdorbenes System“ vorgefunden. In dieser ernsten Situation sei es notwendig, dass alle „konstruktiven Kräfte“ miteinander reden.

Demo vor ÖVP-Parteizentrale

Am Abend versammelten sich nach Aufrufen von Sozialistischer Jugend (SJ) und der Partei Links zahlreiche Menschen vor der ÖVP-Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse. Mit Sprechchören forderten die Demonstrantinnen und Demonstranten den Rücktritt von Kurz. Auch „Nieder mit der ÖVP“-Rufe waren zu hören.

Demonstration vor der ÖVP-Zentrale in Wien
Reuters/Lisi Niesner

Laut der SJ waren 7.000 Teilnehmer vor Ort, die Polizei sprach – zumindest zu Beginn – von 1.000 bis 1.200. SJ-Vorsitzender Paul Stich kündigte weitere Protestaktionen bis zur Sondersitzung des Nationalrats am Dienstag an.