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Plan B für Regierung

Szenarien für kommenden Dienstag

Sollte ein Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag im Parlament eine Mehrheit erhalten, wird es einen Dominoeffekt geben. Das ÖVP-Team wird nach eigener Erklärung dann auch aus dem Amt scheiden. Der Bundespräsident müsste rasch eine Übergangsregierung ernennen. Die Zeit drängt dann, denn wer ein Misstrauensvotum gegen sich hat, muss seines Amtes enthoben werden. Und dann gibt es verschiedene Varianten für die Fortführung der Regierungsgeschäfte.

„Der Bundespräsident muss auf jede Situation vorbereitet sein.“ Altbundespräsident Heinz Fischer brachte es am Donnerstagabend in einer Sonder-ZIB auf den Punkt, warum im Fall der Krise ein Szenario und eine Perspektive für die weitere Führung der Amtsgeschäfte da sein müssen. Stürzt ein Bundeskanzler über ein Misstrauensvotum, ist der Bundespräsident am Zug. Er kann jemanden mit der Fortführung der Regierungsgeschäfte betrauen – bis stabilere Verhältnisse gefunden sind. Theoretisch aber auch bis zum Ende der Legislaturperiode.

Fischer hatte sich Gedanken über eine Form von Expertenregierung gemacht, die der Bundespräsidenten vorerst für sechs Monate einsetzen könnte, um „das Land zu beruhigen“ und „die Situation zu stabilisieren“. Sechs Monate seien eine lange Zeit, in der man die Situation analysieren könne. „Vielleicht sind dann auch neue Fakten und neue Erkenntnisse auf dem Tisch“, so Fischer.

Heinz Fischer: „Habe so etwas noch nicht erlebt“

Ex-Bundespräsident Heinz Fischer sagt, dass er eine so ernste Situation noch nicht erlebt habe. Bundespräsident Alexander Van der Bellen müsse auf jede Situation vorbereitet sein, auch eine komplett neue Regierung ist laut Fischer möglich. Wenn ein Misstrauensantrag im Parlament gegen Sebastian Kurz (ÖVP) bestätigt werde, muss Van der Bellen den Kanzler seines Amtes entheben.

Experte Funk skizziert den Rahmen

Wie die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen sind, skizzierte Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk gegenüber dem Ö1-Morgenjournal am Freitag: „Im Fall eines Misstrauensvotums ist der Bundespräsident verpflichtet, jene Person oder Personen zu entheben, die von dem Misstrauen betroffen sind. Das Gleiche gilt im Fall eines freiwilligen Verzichts.“

Im Fall eines erfolgreichen Votums gegen den Kanzler käme es zu einem Dominoeffekt, der nichts mit der Verfassung, aber viel mit dem politischen Bekenntnis der ÖVP-Ministerinnen und -Minister zu tun hat: Diese hatten sich mit Kurz solidarisch erklärt und würden im Fall eine Kurz-Abwahl die Regierung ebenfalls verlassen.

Entscheidend ist, und hier kommt der Zeitfaktor ins Spiel, welches Szenario nach einem möglichen Votum am Dienstag zum Greifen kommt. Dazu werden nun offenbar Gespräche geführt, die jedenfalls mehr zwischen Grünen, Opposition und Präsidentschaftskanzlei als zwischen Grünen und ÖVP vonstattenzugehen scheinen. Rasch muss Bundespräsident Alexander Van der Bellen jedenfalls entscheiden, wer die Regierung führen soll.

Zu jedem Zeitpunkt muss eine Regierung im Amt sein

„Es muss zu jedem Zeitpunkt eine im Amt befindliche Bundesregierung geben, das sieht die Verfassung vor“, so Funk. Für diesen Fall sei „Vorsorge zu treffen“, etwa durch die Betrauung jener Regierungsmitglieder, die von einem Rücktritt nicht betroffen seien: „In dem Fall wären das die Grünen. Nötigenfalls könnte auch eine Regierung aus der Beamtenschaft betraut werden. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten.“

Mehrheit gesucht

Welche Regierungsbündnisse würden sich ausgehen – welche Zusammenarbeit erscheint politisch möglich? Ist eine Zusammenarbeit von SPÖ, Grünen und NEOS mit den Freiheitlichen tatsächlich realistisch?

Für eine Übergangsregierung wäre auch ein Bundeskanzler Werner Kogler (Grüne) möglich, solange ihn nicht ein Misstrauensvotum im Parlament zu Fall bringt. Ernennen wird der Bundespräsident mit der Fortführung der Geschäfte freilich jene Person, die am ehesten eine Mehrheit auf Zeit im Nationalrat hinter sich zu versammeln weiß. Das kann eine Politikerin oder ein Politiker sein. Ebenso gut können Experten zum Zug kommen, wie man ja schon im Fall der bisher einzigen Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gesehen hat.

Grafik zu den Vorwürfen in der ÖVP-Affäre
Grafik: ORF.at

Reizwort Konzentrationsregierung

Entscheidend ist, dass es am Dienstag einen Plan B gibt, der rasch in die Tat umgesetzt werden kann. Und so bleibt bis Dienstag das im Spiel, was am Mittwoch von NEOS als erster Partei medial genannt wurde: eine Konzentrationsregierung. Über diese Variante könnte es bis Dienstag die meisten Debatten und Aufregungen geben.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat jedenfalls schon vor dem Modell einer Konzentrationsregierung der anderen Parlamentsparteien gewarnt. „Sie hat einzig und allein zum Ziel, Sebastian Kurz als Bundeskanzler zu verhindern.“ Eine derartige Konstellation würde dem Willen der Bevölkerung widersprechen, schrieb Edtstadler.

Gegen Kurz komme es in diesen Tagen zu einem „Tribunal, etwa durch die Veröffentlichung von Verfahrensdetails in seinem Ermittlungsfall“. „Ich erwarte mir als Verfassungsministerin und als ehemalige Richterin, dass das Prinzip der Unschuldsvermutung in unserem Land gelebt wird und nicht nur ein Lippenbekenntnis in Sonntagsreden bleibt oder zum berühmten Stehsatz ‚Es gilt die Unschuldsvermutung‘ am Ende der Berichterstattung verkommt.“

In einer Demokratie zähle allen voran der Wille der Wählerinnen und Wähler, so Edstadler, die an den klaren Platz eins von Kurz erinnerte. Dass Parteien gewählt werden und Mehrheiten entscheiden, weiß die Juristin der ÖVP gewiss auch. Kurz selbst hatte die Option seiner Abwahl ja als „demokratisches Recht“ bezeichnet, als er von der Hofburg zum Ballhausplatz zurückgegangen war. Entscheidend bleibt, welche Exekutive es nach den Entscheidungen der Legislative gibt.