Sitzungstisch im Großen Ministerratssaal im Bundeskanzleramt in Wien
APA/Hans Klaus Techt
ÖVP-Affäre

Grüne wollen Budget noch retten

Der Streit zwischen Grünen und ÖVP ist am Freitagabend weiter eskaliert: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sei „nicht mehr amtsfähig“, sagte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Kurz selbst wiederum sah sich und sein ÖVP-Regierungsteam als „handlungsfähig und handlungswillig“ an. Bevor die Koalition am Dienstag bei einer Sondersitzung und an einem möglichen Misstrauensantrag zerbrechen könnte, wollen die Grünen versuchen, das ausverhandelte Budget durchzubringen.

Der Vorschlag: ein Sonderministerrat Dienstagfrüh. „Die Krise an der ÖVP-Spitze ist kein Grund, die Finanzierung wichtiger Projekte zu verzögern“, sagte Vizekanzler Kogler in einer Stellungnahme gegenüber der APA. Das Budget wäre abgesichert, egal wie die für Dienstag anberaumte Sondersitzung und ein möglicher Misstrauensantrag ausgingen.

Die Budgetrede von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) soll eigentlich am Mittwoch stattfinden – einen Tag nach der Sondersitzung zur Regierungskrise. Kogler und die weiteren Regierungsmitglieder der Grünen bieten der ÖVP nun an, „gemeinsam verantwortungsvoll zu handeln und das Budget am Dienstagfrüh in einem Sonderministerrat zu beschließen“. Man stehe zu sämtlichen bereits vereinbarten Projekten der Regierung und erwarte das auch vom Koalitionspartner, so der Vizekanzler. Doch ob die Zusammenarbeit noch gelingen kann oder schon zu viel Porzellan zerschlagen ist, blieb zunächst offen.

Kurz: „Handlungsfähig und handlungswillig“

Kurz hatte am Freitagabend äußerst kurzfristig und just zu jenem Zeitpunkt zu seinem Statement im Bundeskanzleramt geladen, an dem eigentlich Kogler von seinen Beratungen mit den Chefs der anderen Parlamentsparteien berichten wollte. Die strafrechtlich relevanten Vorwürfe gegen sich selbst wies er einmal mehr als falsch zurück und meinte, sein Team sei „handlungsfähig und handlungswillig“. Als überzeugte Demokraten werde man aber selbstverständlich akzeptieren, wenn es andere Mehrheiten im Parlament gebe.

Kurz sprach von Irritationen und Verunsicherung und von SMS-Nachrichten, die teilweise Jahre alt seien. Unter diesen seien „auch einige von mir, die ich teilweise in der Emotion und der Hitze des Gefechts so formuliert habe, wie ich sie heute nicht mehr formulieren würde“, so der Kanzler. Die entsprechenden Nachrichten offenbarten weitere Einzelheiten über die Vorgänge um die Machtübernahme von Kurz in der ÖVP – mehr dazu in Weitere Details zu ÖVP-Affäre in neuen WKStA-Akten .

Kurz: „Vorwürfe schlicht und ergreifend falsch“

Es gebe in den aufgetauchten Chats auch Nachrichten von ihm selbst, die er heute „nicht noch einmal so formulieren“ würde, räumt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ein; die Vorwürfe gegen ihn seien aber allesamt „schlicht und ergreifend falsch“, er könne und wolle die Regulierung weiterhin anführen.

Zum anderen gebe es strafrechtliche Vorwürfe gegen ihn, „die schlicht und einfach falsch sind“. Er dankte allen, die sich unterstützend an ihn gewandt hätten, pochte einmal mehr auf die Unschuldsvermutung und versprach, dass er die strafrechtlichen Vorwürfe widerlegen werde. Dann ging er ab, ohne Fragen zuzulassen. Angesichts der kurzfristigen Ankündigung hatten viele Journalisten substanziellere Aussagen erwartet.

Kogler: „Erschreckendes Sittenbild“

Vizekanzler Kogler bezeichnete Kurz wenige Minuten später in seinem Statement als „nicht mehr amtsfähig“. Die ÖVP habe die Verpflichtung, jemand anderen für das Bundeskanzleramt vorzuschlagen, so Kogler in dem Statement. Ob die Grünen den Misstrauensantrag der Oppositionsparteien in der Sondersitzung des Nationalrats kommende Woche unterstützen werden, ließ er offen. „Die ÖVP hat die Verantwortung, hier einen Beitrag zu leisten“, sagte der Vizekanzler: „Es steht Korruption im Raum, es steht Missbrauch von Steuergeld im Raum.“

Kogler: „Ein schauerliches Sittenbild“

Es gehe nicht nur um strafrechtliche Vorwürfe; vielmehr würden die veröffentlichten Chatnachrichten im „Machtzentrum der ÖVP ein erschreckendes, ja schauerliches Sittenbild“ offenbaren. So kommentiert Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die aktuellen Ereignisse.

„Wenn die Spitze der ÖVP sich ungerecht behandelt fühlt, soll sie sich an den Rechtsstaat wenden und nicht ständig den Rechtsstaat attackieren“, sagte der Vizekanzler und verwies nicht nur auf die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), sondern auch auf „ein erschütterndes, ein erschreckendes, ja eigentlich ein schauerliches Sittenbild“ im „Machtzentrum der ÖVP“, das sich aus den veröffentlichten Chats herauslesen lasse. Die Gespräche „mit Respekt und auf Augenhöhe“ mit den Klubchefs der anderen Parteien lobte Kogler und bekundete einmal mehr, für Stabilität, Ordnung und Aufklärung sorgen zu wollen.

„Regierungskrise, aber keine Staatskrise“

Bundespräsident Van der Bellen ergriff um 18.00 Uhr das Wort und sagte nach seinen Gesprächen mit den Parteichefs, der werde dem Parlament bei der Entscheidung über die Zukunft der Regierung nicht vorgreifen. Es handle sich allenfalls um eine Regierungskrise, aber sicher nicht um eine Staatskrise. Ratschläge werde er nicht erteilen, aber für Stabilität sorgen.

Statement des Bundespräsidenten Van der Bellen

Alexander Van der Bellen hält ein Statement zur aktuellen Lage. Er sieht die Handlungsfähigkeit von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) infrage gestellt: „Ich habe andere Erwartungen an politisch Verantwortliche.“ Der Bundespräsident verweist auf den angekündigten Misstrauensantrag im Parlament, will selbst aber „öffentlich keine Ratschläge geben“.

Er verwies darauf, dass der Nationalrat bei der Abstimmung über den angekündigten Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz entscheide, „wie es weitergeht“. Van der Bellen garantierte, dass es nicht passieren werde, dass die Republik aus dem Gleichgewicht komme. Dafür werde die Verfassung sorgen. Und er werde „mit Argusaugen darüber wachen, dass die Handlungsfähigkeit und Integrität aller Institutionen unserer Republik gewährleistet ist“.

„Ton der Respektlosigkeit“

Im Raum stünden schwerwiegende Verdachtsmomente. Der Justiz obliege es, diese aufzuklären; der Staatsanwaltschaft, Be- und Entlastendes zu ermitteln. Für die Betroffenen gelte aber die Unschuldsvermutung, betonte der Präsident.

Gleichzeitig sprach Van der Bellen von einem Sittenbild, das der Demokratie nicht guttue. Er erkannte einen „Ton der Respektlosigkeit“ in den bekanntgewordenen Chats ebenso wie in aktuellen Äußerungen, ohne ins Detail zu gehen. Er habe andere Erwartungen in das Verhalten von politisch Verantwortlichen.

An die Parteien richtete das Staatsoberhaupt einen Appell. In dieser Phase sei es wichtig, dass alle handelnden Personen zuerst an das Wohl Österreichs denken: „Denken Sie jetzt nicht daran, was Sie kurzfristig für Ihre Partei herausholen können.“

Peter Filzmaier zur Regierungskrise

Wie sind die Aussagen der Noch-Regierungspartner einzuordnen? Politologe Peter Filzmaier analysiert.

Rendi-Wagner eher gegen Expertenregierung

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zeigte sich in der ZIB2 skeptisch gegenüber einer Expertenregierung. Derzeit herrsche eine ganz andere Situation als etwa nach dem „Ibiza“-Skandal, sagte sie und plädierte abermals für eine stabile Regierung aus aktiven Politikerinnen und Politikern. Nach mehrmaligen Nachfragen sagte sie schließlich: „Wenn ich dazu einen Beitrag leisten kann, dann stehe ich zur Verfügung, auch als Bundeskanzlerin.“ Allerdings sei das wahrscheinlichste Szenario, dass die ÖVP Kurz als Kanzler „opfere“ und die Grünen einen anderen ÖVP-Kanzler akzeptieren würden.

Rendi-Wagner zur Zukunft der Regierung

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner geht davon aus, dass die ÖVP bald von Bundeskanzler Sebastian Kurz abrücken wird, um weiterhin mit Hilfe der Grünen an der Macht zu bleiben. Im Falle einer anderen Konstellation stünde sie bereit, ihren Beitrag zu leisten – auch als Bundeskanzlerin.

Kickl: Koalition gegen ÖVP nur mit FPÖ-Beteiligung

Zuvor waren angesichts der Korruptionsermittlungen gegen Kurz und sein Umfeld die Beratungsgespräche der Parteien fortgesetzt worden. Doch die Möglichkeiten für einen Ausweg aus der Regierungskrise werden zunehmend weniger. Am Freitag stellte etwa FPÖ-Chef Herbert Kickl klar: Eine etwaige Koalition gegen die ÖVP werde es nur mit den Freiheitlichen geben. Auch die Grünen schlugen klare Töne an – mehr dazu in Etwaige Koalition gegen ÖVP nur mit FPÖ.