Die Parteizentrale der ÖVP in der Lichtenfelsgasse
ORF.at/Roland Winkler
Ministerrat für Budget?

ÖVP lässt Grüne abblitzen

Trotz der Regierungskrise will Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) das ausverhandelte Budget „in trockene Tücher“ bringen. Er schlug daher einen Sonderministerrat am Dienstag vor der geplanten Nationalratssondersitzung mit dem von der Opposition geplanten Misstrauensvotum gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor. Am Samstag gab die ÖVP den Grünen einen Korb.

Aus dem Kanzleramt gab es zu Koglers Vorstoß keine Reaktion. Ein Sprecher von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) rückte aber aus und meinte, dass der Budgetfahrplan „seit Monaten fixiert“ sei. Demzufolge wären Beschluss im Ministerrat und Budgetrede im Nationalrat am Mittwoch, der Beschluss im Plenum für 18. November geplant. „Ob dieser Fahrplan so hält, hängt von den Grünen ab und ob sie in der Sondersitzung am Dienstag staatspolitische Verantwortung übernehmen“, spielten die Türkisen den Ball zurück. Kogler argumentierte hingegen mit Verantwortung: „Wenn es allen Beteiligten um die Sache geht, steht einem Beschluss nichts im Wege.“

„Es wäre schade, wenn wichtige Projekte wie das ‚1-2-3-Ticket‘ (nunmehr eigentlich Klimaticket, Anm.) oder die Steuerreform jetzt nicht budgetiert wären“, erinnerte hingegen Blümels Sprecher die Grünen an ihre eigenen Prestigeprojekte. In mehreren Medien wurde berichtet, dass Projekte nach Berechnungen des Finanzministeriums scheitern könnten – darunter etwa die CO2-Bepreisung, der Klimabonus und die Sicherstellung der Finanzierung des Klimatickets bis 2025.

Spannung vor Nationalratssitzung

Es sieht nicht gut aus für den Fortbestand der türkis-grünen Koalition. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hält Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) für nicht mehr amtsfähig. Die Grünen wollen nur mehr ohne ihn weiter regieren, die ÖVP hingegen nur mit ihm.

Im grünen Umweltministerium stellte man sogleich klar, dass das Klimaticket wie geplant am 26. Oktober starten und auch im kommenden Jahr überall gelten wird. Die rechtliche Grundlage sei bereits beschlossen: „Diese Verträge gelten unbefristet und wurden im Einvernehmen mit dem Finanzministerium abgeschlossen. Die notwendigen finanziellen Mittel sind bereits heuer budgetiert und stehen auch im kommenden Jahr zur Verfügung.“

„Alles zur gegebenen Zeit“

Für die Grünen ist die Linie gegenüber Kurz und der ÖVP klar. Kogler legte bereits Freitagabend die Linie der Grünen fest – Kurz müsse durch eine „untadelige Person“ von der ÖVP ersetzt werden. Kurz selbst sei „nicht mehr amtsfähig“. Sollte Kurz nicht bis Dienstag von selbst gehen, wäre der Kanzler zum Rücktritt gezwungen, wenn das angekündigte Misstrauensvotum am Dienstag gegen ihn ausgeht. Entscheidend dafür sind die Stimmen der Grünen.

Die ÖVP stellte sich bisher hinter Kurz. Es gibt offenbar nach wie vor Versuche von den Grünen, innerhalb der ÖVP Partner für eine weitere Zusammenarbeit zu finden. Doch laut APA soll Kogler in seinen Gesprächen mit den Chefs und Chefinnen der Opposition keinen Zweifel daran gelassen haben, dass die Grünen dem Misstrauensantrag gegen Kurz zustimmen, sollte ihre Bedingung nicht erfüllt werden, dass Kurz an der Spitze geht. Und es sei ziemlich unmöglich, Alternativen zu Kurz an der Parteispitze zu finden, solange dieser nicht selbst bereit ist aufzugeben, meinte ein „schwarzer“ ÖVP-Vertreter gegenüber der APA.

Sigrid Maurer und Vizekanzler Werner Kogler
APA/Georg Hochmuth
Maurer (l.) und Kogler sind sich einig, dass Kurz „amtsunfähig“ sei

Von grünen Nationalratsabgeordneten war am Samstag nichts zu hören, Klubchefin Sigrid Maurer sagte: „Alles zur gegebenen Zeit.“ Ob der grüne Klub bei einem Misstrauensvotum am Dienstag in der Nationalratssondersitzung geschlossen abstimmen würde, ist nicht fix. Im Klubstatut ist laut einem Grünen-Mandatar explizit festgeschrieben, dass es in den Klubbesprechungen und -vorbereitungen keine Absprachen zum Abstimmungsverhalten gibt.

Grüne Länderchefs geben Parteispitze freie Hand

Derzeit schaut es aber danach aus, dass sich die Grünen darin einig sind, Kurz das Misstrauen auszusprechen, sollte er nicht vorher von sich aus gehen. Die grünen Länderchefs sollen am späten Freitagabend ebenfalls Geschlossenheit signalisiert haben, berichtete die APA. Kogler und Maurer sei freie Hand zugesichert worden. Uneinigkeit dürfte aber darüber herrschen, wie es weitergehen soll, wenn Kurz tatsächlich gehen sollte.

Einen Rücktritt schloss Kurz in einem Statement Freitagabend aus und wies die strafrechtlichen Vorwürfe gegen ihn zurück. Die ÖVP seit weiter „handlungsfähig“. SMS-Nachrichten hätten für Irritationen gesorgt. Unter diesen seien „auch einige von mir, die ich teilweise in der Emotion und der Hitze des Gefechts so formuliert habe, wie ich sie heute nicht mehr formulieren würde“, so der Kanzler.

Regierungskrise im Überblick

Der Streit zwischen Grünen und ÖVP ist am Freitagabend weiter eskaliert: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sei „nicht mehr amtsfähig“, sagte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Kurz bezeichnete die ÖVP weiter als „handlungsfähig“.

Kocher bringt Spieltheorie ins Spiel

Aus den Reihen der ÖVP sind nur vereinzelt kritische Stimmen zu hören. In einem „Presse“-Interview wiederholte etwa die Tiroler Landesrätin Beate Palfrader ihre Kritik. Statt sich bedingungslos hinter Kurz zu stellen, „erschiene es mir wichtiger, besser und korrekter, volle Aufklärung zu fordern“ – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Für Rätselraten sorgte am Samstag auch ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher. Via Twitter verwies er auf einen Wikipedia-Link über das „Chicken Game“ und schrieb dann in seinem Tweet, dass Staatsräson über Parteiräson stehe. In dem auf Deutsch als Feiglingsspiel bezeichneten „Chicken Game“ aus der Spieltheorie geht es darum, ob eine Seite in einer Konfrontation als erste einlenkt oder ob beide ins Verderben stürzen. Später erklärte er, sich dabei auf eine Regierung mit der FPÖ bezogen zu haben.

Kocher hatte auch die Erklärung aller ÖVP-Regierungsmitglieder unterzeichnet, dass es eine ÖVP-Beteiligung an der Regierung nur mit Kurz gebe. Kocher hatte am Freitag der „Wiener Zeitung“ gesagt, dass er „für eine Konzentrationsregierung ohne ÖVP unter FPÖ-Duldung“ nicht zur Verfügung stehe. „Was ein mögliches überparteiliches Übergangskabinett bis zu den Wahlen betrifft, ist es noch zu früh für eine Festlegung“, meinte er aber weiters.

Filzmaier: Kurz im „Alles-oder-nichts-Spiel“

Als „strategisch logisch“ bezeichnete der Politologe Peter Filzmaier das mögliche Szenario innerhalb der ÖVP, dass die schwarze die türkise Seite auf die Seite schiebt. Man müsse das in einer Matrix von größtmöglichem Nutzen und maximalem Schaden für die Parteien betrachten, so der Experte im Ö1-Mittagsjournal. Kurz befinde sich persönlich in einem „Alles-oder-nichts-Spiel“.

Er könne, wenn er weg sein sollte, nur auf eine schnelle Neuwahl hoffen, und verliert sein Amt. Für die ÖVP ergebe sich aber kein Zwang zu diesem Spiel. Die Partei könne den Kanzler- und die Ministerposten retten. Hier könne noch mehr Dynamik entstehen, bisher gebe es dafür aber wenig Anzeichen.

Rendi-Wagner trifft Kickl

Mehr Signale zeigen sich zu einer potenziellen Koalition ohne ÖVP – mit SPÖ, Grünen, NEOS und der FPÖ. FPÖ-Chef Herbert Kickl stellte am Freitag klar, dass es eine etwaige Koalition gegen die ÖVP nur mit den Freiheitlichen geben werde. Die Duldung einer Dreierkoalition aus SPÖ, NEOS und Grünen durch die Freiheitlichen wäre für Kickl keine Option. Gespräche über einen fliegenden Wechsel der ÖVP zu den Freiheitlichen schloss der FPÖ-Chef jedenfalls als „undenkbar“ aus.

Rendi-Wagner zur Zukunft der Regierung

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner geht davon aus, dass die ÖVP bald von Bundeskanzler Sebastian Kurz abrücken wird, um weiterhin mit Hilfe der Grünen an der Macht zu bleiben. Im Falle einer anderen Konstellation stünde sie bereit, ihren Beitrag zu leisten – auch als Bundeskanzlerin.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ließ Freitagabend in der ZIB2 mit einer Aussage aufhorchen, „außergewöhnliche Situationen“ brauchten „außergewöhnliche Handlungen“. Sie stehe zudem selbst als Kanzlerin zur Verfügung. Ein Vierparteienbündnis mit SPÖ, Grünen, NEOS und FPÖ bezeichnete sie als „unwahrscheinlich, aber möglich“. Damit würde sie das selbst auferlegte Verbot einer Zusammenarbeit der SPÖ mit der FPÖ auf Bundesebene kippen. Nach Informationen der ZIB soll es noch am Samstag zu einem Treffen zwischen Rendi-Wagner und Kickl kommen. Schon am Freitag traf die SPÖ-Chefin NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger.

ÖVP warnt vor Rot-Blau

Angesichts von Rendi-Wagners Aussagen warnte die ÖVP vor einer Koalition mit SPÖ und FPÖ. „Grüne und SPÖ verkaufen das Land für einen ‚Pakt mit Kickl‘“, so Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). Ganz Österreich werde Zeuge, wie Grüne und SPÖ innerhalb eines Tages jahrzehntelange Haltungen und Überzeugungen über Bord werfen.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger bezeichnete Rendi-Wagner als Kanzlerin als „absolutes No-Go“. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch konterte sofort: „Der türkise Machtzirkel leidet an Realitätsverweigerung, wenn er glaubt, einfach weitermachen zu können wie bisher.“