Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
APA/Georg Hochmuth
ÖVP-Affäre

Intensive Beratungen in Regierungskrise

Das innenpolitische Tauziehen in der durch die ÖVP-Affäre ausgelösten Regierungskrise dauert an: Derzeit gibt es innerhalb und zwischen den Parlamentsparteien zahlreiche Gespräche und Treffen. Der Ausgang ist drei Tage vor der Sondersitzung des Nationalrats weiter völlig unklar. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte für den Abend erneut ein Statement an.

Unklar ist, was Kurz um 19.30 Uhr bekanntgeben wird. In dem angekündigten Statement werde er sich zur weiteren Vorgehensweise in der Bundesregierung äußern, hieß es. Es verdichteten sich allerdings die Zeichen auf einen bevorstehenden Rückzug.

Denn zuvor hatten sich die Regierungsmitglieder seiner Partei zu einer Sitzung zusammengefunden. Auch Gespräche auf Landesebene hatten im Laufe des Tages stattgefunden. Mehrere Medien spekulierten, dass Außenminister Alexander Schallenberg Kurz’ Funktion als Kanzler übernehmen soll.

Intensive Gespräche im Hintergrund

Der Samstag hatte sich von den letzten Tagen vor allem in einem Punkt unerschieden: Es gab nur wenige öffentliche Statements – wohl ein Zeichen für umso heftigere Verhandlungen und Gespräche im Hintergrund. Die Grünen wollen die Koalition nur ohne den unter Korruptionsverdacht stehenden ÖVP-Chef Kurz fortsetzen. Aus der ÖVP wurden nach der demonstrativen Mauer, die die Partei von den Bünden über die Länder Kurz zuletzt gemacht hatte, erstmals auch vereinzelt kritische Stimmen laut.

So ging die Tiroler Bildungs- und Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) öffentlich auf Distanz zum Bundesparteichef: Statt sich – wie zuletzt Länder- und Bündechefs – bedingungslos hinter Kurz zu stellen, „erschiene es mir wichtiger, besser und korrekter, volle Aufklärung zu fordern“, meinte Palfrader in der „Presse“. Als Szenario in der aktuellen „veritablen Krise“ nannte sie, „dass sich jene, die mit Vorwürfen konfrontiert sind, zurückziehen, bis eine vollständige Aufklärung passiert ist. Und wenn ich das richtig gelesen habe, zählt auch der Bundeskanzler dazu“ – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Kurz betont Unschuld

Kurz selbst dürfte das wenig beeindrucken. Das Kanzleramt war zwar am Samstag auf Tauchstation, aber erst Freitagabend hatte Kurz erneut klargestellt, dass er nicht zurücktreten will. Die Vorwürfe der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die gegen ihn und neun weitere Personen, teils aus seinem engsten Umfeld, wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt, bezeichnete Kurz als „falsch“. Auf die politischen Implikationen eines unter Korruptionsverdachts stehenden Kanzlers ging dieser nicht ein. Er betonte – anders als seine politischen Kontrahenten in der Frage – vielmehr, weiter voll regierungsfähig und -willig zu sein.

Statement von Bundeskanzler Kurz (ÖVP)

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gab nach dem Statement des Bundespräsidenten Freitagabend sehr kurzfristig selbst ein Statement ab.

Sein Büro im Kanzleramt muss er ziemlich sicher trotzdem bald räumen. Denn die Opposition hat für Dienstag eine Sondersitzung des Nationalrats einberufen, um einen Misstrauensantrag gegen Kurz einzubringen – und dieser könnte durchaus Erfolg haben.

Statement von Vizekanzler Kogler (Grüne)

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als „nicht mehr amtsfähig“ bezeichnet. Die ÖVP habe die Verpflichtung, jemand anderen für das Bundeskanzleramt vorzuschlagen, so Kogler in einem Statement Freitagabend.

Grüne halten Ultimatum aufrecht

Die Grünen würden nämlich zwar eigentlich gerne mit der ÖVP weiterregieren, aber nicht mit Kurz – und stellten quasi ein Ultimatum: Kurz solle durch eine „untadelige Person“ ersetzt werden, lautet die Forderung. Andernfalls dürften die Grünen durchaus bereit sein, dem Misstrauensantrag am Dienstag zu einer Mehrheit zu verhelfen. Vizekanzler Werner Kogler soll in seinen jüngsten Gesprächen mit den Oppositionschefs keinen Zweifel daran gelassen, dass die Grünen die Sache durchziehen würden.

In einer Sitzung in der Nacht auf Samstag sollen die grünen Landesparteichefs Kogler und Klubchefin Sigrid Maurer jedenfalls einhellig freie Hand gelassen haben, wie aus mehreren Ländern zu hören war. Offiziell wollte sich am Samstag allerdings niemand äußern.

Tabu FPÖ

In der Frage, wie es dann weitergehen könnte, denken die Grünen offenbar auch über einen Tabubruch – Kooperation mit der FPÖ – nach. FPÖ-Chef Herbert Kickl machte bereits klar, dass es aus seiner Sicht ohne die Freiheitlichen nicht gehen wird. Eine Zusammenarbeit könnte man öffentlich etwa damit argumentieren, dass man in schwierigen Zeiten über die Parteigrenzen hinweg Verantwortung für das Land übernehme, will zumindest die APA erfahren haben.

Rendi-Wagner beriet mit Kickl

Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schloss zuletzt eine – bisher eher undenkbare – Zusammenarbeit der Roten mit den Blauen nicht aus und traf am Samstagnachmittag Kickl zum Gespräch. Details dazu wurden nicht bekanntgegeben.

ÖVP warnt vor SPÖ-FPÖ-Pakt

Die ÖVP nutzte die Gelegenheit sogleich, um ein rot-blaues Gespenst an die Wand zu malen. „Grüne und SPÖ steuern mit ihren Volten geradewegs ins Chaos und verkaufen ihre eigene Seele und das Land für einen Pakt mit Herbert Kickl“, konstatierte etwa Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), die freilich selbst einmal Teil einer Koalition mit Kickl als Innenminister war. Die Grünen verursachten mit ihrem Verhalten „bewusst Chaostage“.

ÖVP gegen Budgetbeschluss

Auch an einer weiteren Front lieferten sich die eigentlich wohl schon geschiedenen Koalitionspartner am Samstag einen Schlagabtausch: Kogler schlug nämlich vor, vor dem Misstrauensantrag doch noch schnell das fertig ausverhandelte Budget durchzuwinken, und wünschte sich dazu einen Sonderministerrat Dienstagfrüh. „Wir tragen Verantwortung, also bringen wir das in trockene Tücher“, appellierte er per Aussendung an Kurz.

Die ÖVP ließ ihn allerdings abblitzen: Ein Sprecher von Finanzminister Gernot Blümel verwies darauf, dass der Budgetfahrplan „seit Monaten fixiert“ sei. „Ob dieser Fahrplan so hält, hängt von den Grünen ab und ob sie in der Sondersitzung am Dienstag staatspolitische Verantwortung übernehmen“, spielte die ÖVP den Ball zurück.

Kocher bringt Spieltheorie ins Spiel

Für Rätselraten sorgte am Samstag auch ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher. Via Twitter verwies er auf einen Wikipedia-Link über das „Chicken Game“ und schrieb dann in seinem Tweet, dass Staatsräson über Parteiräson stehe. In dem auf Deutsch als Feiglingsspiel bezeichneten „Chicken Game“ aus der Spieltheorie geht es darum, ob eine Seite in einer Konfrontation als Erste einlenkt oder ob beide ins Verderben stürzen. Später erklärte er, sich dabei auf eine Regierung mit der FPÖ bezogen zu haben.

Kocher hatte auch die Erklärung aller ÖVP-Regierungsmitglieder unterzeichnet, dass es eine ÖVP-Beteiligung an der Regierung nur mit Kurz gebe. Kocher hatte am Freitag der „Wiener Zeitung“ gesagt, dass er „für eine Konzentrationsregierung ohne ÖVP unter FPÖ-Duldung“ nicht zur Verfügung stehe. „Was ein mögliches überparteiliches Übergangskabinett bis zu den Wahlen betrifft, ist es noch zu früh für eine Festlegung“, meinte er aber weiters.

Filzmaier: Kurz im „Alles-oder-nichts-Spiel“

Als „strategisch logisch“ bezeichnete der Politologe Peter Filzmaier das mögliche Szenario innerhalb der ÖVP, dass die schwarze die türkise Seite auf die Seite schiebt. Man müsse das in einer Matrix von größtmöglichem Nutzen und maximalem Schaden für die Parteien betrachten, so der Experte im Ö1-Mittagsjournal. Kurz befinde sich persönlich in einem „Alles-oder-nichts-Spiel“.

Er könne, wenn er weg sein sollte, nur auf eine schnelle Neuwahl hoffen, und verliert sein Amt. Für die ÖVP ergebe sich aber kein Zwang zu diesem Spiel. Die Partei könne den Kanzler- und die Ministerposten retten. Hier könne noch mehr Dynamik entstehen, bisher gebe es dafür aber wenig Anzeichen.