Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) nach einem Ministerrat im April diesen Jahres
APA/Robert Jaeger
Schallenberg statt Kurz

Kanzlerrochade rettet Koalition

Mit einer Kanzlerrochade ist die Regierungskrise zumindest vorerst beendet worden: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gab am Samstagabend seinen Rückzug bekannt, der bisherige Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) folgt ihm im Kanzleramt nach. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) akzeptierte den Wechsel, die Grünen hatten ja eine „untadelige“ Person an der Regierungsspitze als Bedingung für die Fortsetzung der Koalition gefordert. Doch einige Fragen bleiben offen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen wurde von allen Beteiligten bereits informiert. Kogler wird am Sonntag mit Schallenberg zusammentreffen, zudem steht ein Treffen zwischen Schallenberg und Van der Bellen gegen Mittag auf der Agenda. Es werde aber keine Stellungnahme geben, hieß es von seiner Sprecherin. Erst nach der Angelobung will sich Schallenberg äußern.

Wann die Angelobung erfolgt, war noch unklar, vermutlich Anfang der Woche. Formal muss zunächst Kurz seinen Rücktritt bei Van der Bellen einreichen, dann kann der Bundespräsident den neuen Kanzler angeloben. Kurz wird am Sonntag nicht in der Hofburg erwartet, denn seinen Rücktritt kann er auch schriftlich deponieren.

Außenministerposten womöglich vakant

Der von der Opposition geplante Misstrauensantrag in einer Sondersitzung am Dienstag geht damit wohl ins Leere. Der Budgetrede am Mittwoch steht vermutlich nichts mehr im Wege. Wie mit dem eigentlich vakanten Posten des Außenministers verfahren wird, war vorläufig noch unklar.

Kogler hob bereits die bisher sehr konstruktive Zusammenarbeit mit Schallenberg hervor, der als enger Kurz-Vertrauter gilt, der aber mit der die Schlagzeilen dominierenden Inseratenaffäre nach jetzigem Wissensstand nichts zu tun hat.

Einige offene Fragen

Dennoch bleiben einige Fragen offen. So ist unklar, wie es um das Vertrauensverhältnis der Regierungspartner nach den Zerwürfnissen der vergangenen Tage bestellt ist. Zudem bleibt Kurz als künftiger Klubchef der ÖVP ein gewichtiger Machtfaktor in der Koalition. Wenngleich am Sonntag bekanntwurde, dass nicht Kurz, sondern weiterhin der bisherige Klubobmann August Wöginger am Ministerrat teilnimmt. Wöginger soll als erster Stellvertretender Klubobmann das Alltagsgeschäft führen.

Noch am Freitag hatte die ÖVP zudem erklärt, man werde nur mit Kanzler Kurz in der Koalition bleiben. Was zum Umdenken geführt hat und wie sehr eventuell die mächtigen ÖVP-Landeshauptleute auf diese Entscheidung gedrängt haben, ließ sich am Samstag nur erahnen.

Sebastian Kurz kündigt Rückzug aus Bundeskanzleramt an

Sebastian Kurz (ÖVP) will als Bundeskanzler zurücktreten und als Klubobmann ins Parlament wechseln. Das teilte er am Samstag der Öffentlichkeit mit. Sein Nachfolger soll der bisherige Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) werden.

Unklar blieb auch, wie lange der Wechsel an der Regierungsspitze andauern soll: In seiner Rede sprach Kurz zwar nicht an, dass sein Wechsel in den Parlamentsklub temporär sein soll, das stellte aber Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) per Twitter in den Raum. Kurz wechsle „bis zur Klärung der erhobenen Vorwürfe als Klubobmann in den Nationalrat“. Sie sei sich sicher, dass er „alle Vorwürfe entkräften“ könne und „bald als Bundeskanzler ins Amt zurückkehren wird“.

Vorwürfe erneut zurückgewiesen

Als Schuldeingeständnis gilt der Schritt von Kurz keineswegs. Ganz im Gegenteil kündigte er an, vom Parlament aus seine Unschuld beweisen zu wollen. Daher wird er nach ÖVP-Angaben auch selbst die Aufhebung seiner Immunität beantragen, um weitere Ermittlungen zu ermöglichen.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) geht gegen Kurz und neun weitere Personen, teils aus seinem engsten Umfeld, wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit vor. Die Vorwürfe seien „falsch, und ich werde das auch aufklären können“, sagte Kurz. Einmal mehr verlangte er auch, dass die Unschuldsvermutung für alle im Land gelten müsse.

Die bekanntgewordenen unappetitlichen SMS verteidigte Kurz damit, dass er sie „teilweise in der Hitze des Gefechts geschrieben“ habe, manche würde er so nicht mehr schreiben. „Aber ich bin eben auch nur ein Mensch mit Emotionen und Fehlern.“

„Chaos“ wäre „unverantwortlich“

Kurz sprach in seiner Erklärung, bei der keine Fragen zugelassen waren, dennoch von Unterstützung „aus allen Bundesländern“, Teilorganisationen der ÖVP und aus der Bevölkerung. Dennoch befinde man sich derzeit in einer „Zuspitzung“ zwischen den beiden Koalitionspartnern und „damit in einer Pattsituation“.

Es wäre „unverantwortlich, in Monate des Chaos oder auch des Stillstands zu schlittern“. Genauso „unverantwortlich“ wäre es laut Kurz, die Regierungsverantwortung in eine Vierparteienkoalition, ein „Experiment“, zu geben, das am Ende des Tages auf FPÖ-Obmann Herbert Kickl angewiesen wäre.

Es sollte in so einer Situation nicht um persönliche Interessen, Parteiinteressen oder politische Taktik gehen, sagte Kurz: „Mein Land ist mir wichtiger als meine Person.“ Der Schritt sei für ihn kein leichter gewesen, doch: „Es geht nicht um mich, es geht um Österreich.“

Kogler betont Budget und Steuerreform

Kogler trat rund eineinhalb Stunden nach Kurz vor die Presse, hatte aber schon zuvor per Aussendung sein Einverständnis mit der Rochade signalisiert: „Es ist die Variante gewählt worden, die wir dem Regierungspartner ÖVP vorgeschlagen haben“, sagte Kogler. „Dies bedeutet, dass wir die Regierungsarbeit fortsetzen können.“ Mit der Fortsetzung der Koalition könnten nun ein Budget verabschiedet und die Steuerreform weiterverfolgt werden.

Statement von Grünen-Chef Werner Kogler

Statement von Grünen-Chef Werner Kogler zur neuen Entwicklung in der Regierungskrise.

Lob von ÖVP-Granden, Kritik der Opposition

Die Landeschefs der Volkspartei zollten Kurz Respekt für dessen „Schritt zur Seite“, wiewohl sie daran nicht ganz unbeteiligt gewesen sein dürften. Dem Vernehmen nach wurde der Druck der ÖVP-Landeschefs am Samstag zunehmend größer, nicht zuletzt wegen der jüngst bekanntgewordenen Chats – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Kritisch zeigte sich die Opposition, die unter Schallenberg eine Fortsetzung des „Systems Kurz“ erwartet. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner erinnerte daran, dass sich der vermutlich neue Kanzler als „türkiser Überzeugungstäter“ geschildert habe. Kurz würde nun als „Schattenkanzler“ im Hintergrund weiter die Fäden ziehen. NEOS-Obfrau Beate Meinl-Reisinger meinte in Richtung Kurz: „Als Klubobmann hält er weiter alle Fäden der Macht in seiner Hand.“ FPÖ-Chef Kickl urteilte: „Kurz mag als Kanzler weg sein – aber das türkise System ist nach wie vor voll da.“