Hertha Karasek-Strzygowski, Jungbäuerin aus Münnichwies, Slowakei, um 1940
Wien Museum/Paul Bauer
Reichskammer

Wie unter den Nazis Kunst entstand

Was tun mit der NS-Kunst, die seit 1945 in den Depots der Museen lagert? In „Auf Linie“ setzt sich das Wien Museum im MUSA erstmals seit fast drei Jahrzehnten wieder mit den problematischen Sammlungsbeständen in der Bundeshauptstadt auseinander – und mit den Bedingungen, unter denen die Bilder entstanden. Das neu erforschte Archiv der NS-Reichskammer ist der Ausgangspunkt für eine aufschlussreiche, streckenweise fast zu kompakte Schau.

Seit einiger Zeit ist die Debatte darüber, wie im öffentlichen Raum in Wien mit historisch belastetem Kulturgut umgegangen wird, in vollem Gange: Straßennamen werden mit Hilfe einer Historikerkommission kontextualisiert, zur Umgestaltung des Karl-Lueger-Denkmals tagte im Frühsommer ein runder Tisch. Anders bei den NS-Sammlungsbeständen der Museen: Die propagandistischen Ölschinken, die bronzenen und steinernen Heroen, sie ließ man seit der „Kunst und Diktatur“-Ausstellung im Künstlerhaus 1994 lieber unangetastet in den unterirdischen Hallen liegen.

Der geschützte Museumsrahmen wäre eigentlich ein idealer Ort zur Aufklärung und Vermittlung. Dass die Konfrontation jedoch höchst schwierig ist – wie man solche Bestände adäquat vor den Vorhang holen kann – zeigt der Blick nach Deutschland, wo man die zur Schau gestellte Nazi-Ästhetik in den vergangenen zwei Jahrzehnten oft harsch kritisierte: Von „Mief aus dem Giftschrank“ („Spiegel“) war da die Rede, von verschwendeten Ausstellungsbudgets und falsch verstandener Adelung, aber auch von einer Beleidigung der Opfer.

Ausstellung NS-Kunstpolitik in Wien
Wien Museum/Paul Bauer
Beispiel der NS-Propaganda-Auftragswerke: Igo Pötsch, „Fahrt des Führers zur Proklamation am 15. März 1938“

Reichkammerakten erstmals beforscht

Nun also wirft das Wien Museum, renovierungsbedingt im engen Raum des MUSA, einen wohl überfälligen Blick auf die Kunstproduktion im Nationalsozialismus. Die Perspektive ist kulturhistorisch: Die Basis der Schau ist das Archiv der Reichskammer der bildenden Künste; erstmals wurden die 3.000 Mitgliederakten der mächtigen Institution, die ab 1938 die einzige zugelassene Künstlervereinigung der Bundeshauptstadt war, einer Sichtung unterzogen.

Die verpflichtende Mitgliedschaft bei der Reichskammer hatte Tausende Wiener Künstler und Künstlerinnen in ihr System gezwungen. Als zentrales Lenkungs- und Überwachungsorgan verfügte die Institution über umfassende Wirkungsbereiche und hohe Etats: Hier wurde entschieden, wer überhaupt Kunst machen darf, wer Staatsaufträge, Preise und Ehrungen bekam, und wer gegen Kriegsende etwa an Pinsel und Farbe oder begehrte Gussmaterialen gelangte.

Ausstellung NS-Kunstpolitik in Wien
Wien Museum/Lisa Rastl
Ausstellungsansicht: Die dichte Hängung dient der „Entzauberung“ der Nazi-Gemälde

Umkämpftes Zwischenkriegswien

Mit einem behutsamen Zugang – die zweigeteilte Ausstellung präsentiert zuerst vorrangig die Archivalien, dann die Bilder unter anderem aus den Beständen der Wiener Museen – blickt man im Auftaktkapitel zunächst in eine ideologisch umkämpfte Stadt vor der Nazi-Machtübernahme: 1937 fand mit der Oskar-Kokoschka-Schau im Museum für Kunst und Industrie die letzte expressionistische Großausstellung statt.

Ein Selbstporträt des Künstlers von 1935 hängt hier neben einem Brief, in dem Kokoschka die österreichische Regierung bat, seine aus reichsdeutschen Sammlungen entlehnten Bilder nicht mehr zurückzuschicken. Die Bitte blieb unerhört. Gleich nebenan wirft sich Karl Stemolaks schwarzer Diskuswerfer in Pose und ist so Exempel der beginnenden Anbiederung an das NS-Regime.

Mit sehr knapp gehaltenen Infos zu den Kunstvereinen der Zwischenkriegszeit – vom jüdisch geprägten Hagenbund bis zum Bund deutscher Maler Österreich – blickt man auf eine Vereinslandschaft, die sich ideologisch sehr unterschiedlich präsentierte. Mit dem „Anschluss“ und der Einsetzung der Reichskammer kam das abrupte Ende.

Ausstellung NS-Kunstpolitik in Wien
Wien Museum/Paul Bauer
Links: Vorführkleid (1942) aus dem Haus der Mode; rechts: Selbstporträt von Reichskammerleiter Leopold Blauensteiner (um 1937)

Präsentation mit „größtmöglicher Entzauberung“

Das Aufnahmeprozedere in die zentralistische Zwangsgemeinschaft war rigide und oft sehr langwierig, „ein regelrechter Hürdenlauf“, so Kuratorin Ingrid Holzschuh im ORF.at-Gespräch. Gemeinsam mit Sabine Plakolm-Forsthuber hat Holzschuh in jahrelanger Forschungsarbeit die Akten aufgearbeitet und nun mit ihr die Schau verantwortet.

Anhand des Jugendstil-Künstlers Richard Teschner zeigt man hier, wie die Stilistik des Künstlers, der politische Hintergrund und die „Abstammung“ in einem aufwendigen Verfahren überprüft wurden. Auch ein entferntes jüdisches Familienmitglied genügte, um den Künstlerinnen und Künstlern die Aufnahme zu verwehren.

Die Frage, wie das Museum mit den ideologisch aufgeladenen Skulpturen und Gemälden umgehen soll, stellt sich vor allem im zweiten Teil der Ausstellung. Der Versuch einer „größtmöglichen Entzauberung“, wie Holzschuh es nennt, ging auf: Auf dem von Depotgitterwänden inspirierten Display hängen nun dicht an dicht heroische Porträts von lokalen NS-Größen, der Schauspielerin Paula Wessely und des Bergsteigers Luis Trenker, Skizzen zu Theaterumgestaltungen und Idealisierungen des bäuerlichen Lebens. Torsi und Adler sind in ihren Transportboxen domestiziert, einzelne Gemälde werden nur als Fotos, aufgenommen im Archiv, gezeigt.

Zerstückelte „Gottbegnadeten“-Skulpturen

Für Orientierung in diesem bewusst dicht gehängten Parcours sorgen knallgrüne Pickerln, die auf Vitrinen in der Mitte des Raums verweisen: Hier werden die Themen künstlerische Staatsaufträge, wichtige NS-Propagandaausstellungen, die Förderung der Marke „Wiener Mode“ und des Kunsthandwerks und die von Hitler und Goebbels verfasste „Gottbegnadeten“-Liste von 1944 abgehandelt.

Die „Gottbegnadeten“ galten als unverzichtbare Kulturschaffende und waren vom Kriegsdienst befreit, etwa Wilhelm Frass, jener Künstler, der bereits 1935 bei seinem „Toten Soldaten“ in der Krypta am Heldenplatz ein NS-Huldigungsschreiben versteckt hatte, ein über Jahrzehnte übersehenes Relikt. Von seiner monumentalen Skulptur „Die Ostmark“ zeigt man einen gipsernen Adler und einen Heroenoberkörper zerstückelt im Archivholzcontainer. Der Guss wurde kriegsbedingt nie realisiert, wie auch eine Reihe von geplanten Denkmälern und Theaterumgestaltungen, die auf Entwürfen zu sehen sind.

Ausstellung NS-Kunstpolitik in Wien
Österreichische Nationalbibliothek
Das Wiener Künstlerhaus war schon vor 1938 eine Bastion des Nationalsozialismus und wurde in der NS-Zeit zum zentralen Ausstellungsort

Lückenhafte Entnazifizierung

Mit Plakaten und Fotos von Progandaausstellungen erinnert man daran, dass Kunstausstellungen gezielt ideologisch eingesetzt wurden: „Berge, Menschen und Wirtschaft der Ostmark (1939), die antisemitische Schau „Entartete Kunst, entartete Musik“ (1939) und „Ein Maler erlebt die Reichsautobahn“ (1940), zu sehen in den Nazi-Bastionen Künstlerhaus und Secession, waren Wanderpräsentationen, die aus dem „Altreich“ nach Wien geholt wurden.

Ausstellungshinweis

Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien. Wien Museum, bis 24. April 2022, dienstags bis sonntags, 10.00 bis 18.00 Uhr. Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen.

Mit Ausstellungen wie „Das schöne Wiener Frauenbild“ (1942) sollte schließlich unter Reichsstatthalter Baldur von Schirach, der zwischen 1940 und 1945 große Nähe zur Wiener Kulturelite pflegte und vor allem Musik und bildende Kunst stark förderte, die Vorreiterrolle der Wiener Kultur in einem faschistischen Europa propagiert werden.

Ein Wermutstropfen der sehenswerten Ausstellung ist, dass sie auf allzu knappem Raum oft kaum mehr als die Eckdaten versammeln kann – und eine kunsthistorische Betrachtung des teils eng mit Rassenwahn verbundenen „nationalsozialistischen Realismus“ auch gänzlich ausbleiben muss. So hätte sich auch das Schlusskapitel zur lückenhaften Entnazifizierung nach 1945 einen eigenen Raum verdient: Vom lockeren Umgang mit der Nazi-Kunst und ihren Künstlern erzählt etwa die Gestaltung des Ehrenrings der Stadt Wien. Der Entwurf von Angewandte-Professor Oswald Haerdtl hatte seitlich zwei Hakenkreuze, bei den weiteren Ausführungen wurden diese ab 1946 einfach entfernt.